Es tue ihm weh, schreibt Christoph Lang in der Begründung seines Parteiaustritts: „Waffen aus Deutschland, dazu der Druck des ukrainischen Präsidenten sowie der ukrainischen Diplomaten, sind nur dazu geeignet, weiter zu polarisieren, wo doch gerade von Deutschland aufgrund unserer Geschichte ein Signal der Zurückhaltung in Sachen Militarisierung und Krieg ausgehen könnte.“ Lang, 20 Jahre evangelischer Gemeindepfarrer in Baden, war noch nicht lange Mitglied der Grünen. Für die gerade laufende Bürgermeisterwahl in Eggenstein-Leopoldshafen hätten ihn Parteifreunde dennoch gern aufgestellt. Stattdessen schreibt ihm nun seine Grünen-Landtagsabgeordnete der Region, Andreas Schwarz: „Leider habe ich keine Argumente parat, um bei dir ein Umdenken zu erwirken.“ Schwarz, Mitglied der Regierungsfraktion in Baden-Württemberg, meint weiter: „Ich bin, was den Krieg in der Ukraine angeht, ganz bei dir, kann oftmals das bellizistische Gerede unserer führenden Grünen nicht mehr ertragen.“

der Freitag: Herr Lang, warum sind Sie vor vier Jahren bei den Grünen eingetreten?

Christoph Lang: Als ich meinen 50. Geburtstag feierte, habe ich überlegt, dass ich mich eigentlich schon lange mit den Inhalten der Grünen identifiziere. Und da die gesellschaftlichen und globalen Themen so groß geworden sind, dachte ich: Jetzt muss ich mal Farbe bekennen, Mitglied werden, das unterstützen – auch, da absehbar war, dass es zu einer Regierungsbeteiligung kommen könnte.

Die Ampel-Koalition trat vor einem Jahr an. Was war Ihr Gefühl?

Einerseits Vorfreude über die Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich Ökologie, überhaupt Themen, die mich interessieren – Gerechtigkeit, Friedenspolitik, gesellschaftlicher Zusammenhalt –, mit grüner Farbe anzureichern. Zugleich leichte Skepsis, mit dem Wissen, da muss man Kompromisse machen.

Das dürften Sie aber doch gut aus der Kommunalpolitik kennen.

Ja, mein Ortsverband war sehr engagiert und offen, für meine Anfragen als Radler zu den Radwegen etwa oder zu unserer vierspurigen Bundesstraße ohne Geschwindigkeitsbegrenzung.

Gibt es dort jetzt ein Tempolimit?

Noch nicht, es ist immer noch die reine Rennstrecke.

Im Bund haben die Grünen ein Tempolimit bisher auch nicht durchgebracht. Das ist aber nicht der Grund für Ihren Austritt.

Richtig. Der Hauptschmerz, wenn ich es mal pathetisch sagen darf, lag in dem, was verbal geäußert wurde in dem großen Konflikt durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, nicht zuletzt von Annalena Baerbock. Das kam mir plötzlich so fremd vor, diese relativ militante, scharfe und scheinbar kompromisslose Stellung. Ich fragte mich: Ist das wirklich die Partei, für die ich mich engagieren will, in der die Spitze und gerade Annalena als Außenministerin so einen Ton an den Tag legt?

Was hätten Sie von einer grünen Außenministerin erwartet?

Differenzierung. Einen Modus von Nachdenklichkeit, Zurückhaltung. Bei Robert Habeck verspüre ich die Fähigkeit dazu eher. Ich glaube, unsere Wählerinnen und die Bürger sind gar nicht so doof, als dass sie sich mit Schwarz-Weiß-Botschaften abspeisen lassen. Wir haben an vielen Stellen einen hohen Reflexionsgrad. Einfache Antworten, die sehr schnell in ein Mikro gesprochen werden, bilden all die Komplexität nicht ab.

„Einfache Antworten“?

Unter Dauerdruck formulierte steile Sätze mit „Wir werden niemals“, „Das geht gar nicht“. Das sind, was ich aus meiner sozialen Beratungstätigkeit weiß, Killersätze. Dass etwas nicht geht, ist nicht richtig. Es geht immer noch etwas anderes. Mich ärgern Botschaften wie „Wir können jetzt ja gar nicht anders und stecken viele Milliarden in die Rüstung“. Da wären die Grünen die Partei, die aus ihrer Geschichte sagen könnte: Moment, lasst uns einen zweiten Gedanken dazu verschwenden. Das furchtbare Leid für die Menschen in der Ukraine steht dabei völlig außer Frage.

Was wäre denn Ihre Alternative?

Es ist natürlich nicht an uns, der Ukraine zu sagen, was sie tun darf. Aber wenn es um Unterstützung geht, um unser eigenes Land und dessen friedens- und militärpolitische Entscheidungen, auch um die Frage, wie wir selbst uns in einer solchen Lage verhalten würden, dann ist wichtig, den Blickwinkel zu weiten: Es gibt Ideen zwischen „Wir schlagen mit aller Kraft zurück“ und „Wir wehren uns gar nicht“. Ideen wie die vom gewaltfreien Widerstand gegen Besatzung im Sinne Gandhis oder Martin Luther Kings sind nicht populär, aber ich habe mich bei meiner eigenen Kriegsdienstverweigerung intensiv mit ihnen auseinandergesetzt. Es gibt Forschung zu Alternativen zum Hochrüsten und Waffenliefern – die zumindest in Überlegungen einzubeziehen, das hätte ich mir gewünscht. Die badische Landeskirche etwa hat in Freiburg ein Friedensinstitut gegründet.

Aus der evangelischen Kirche gab es Stimmen gegen Waffenlieferungen und für Verhandlungsbereitschaft. Andrij Melnyk, einst Botschafter der Ukraine, schrieb daraufhin: „Euren heuchlerischen Verrat am ukrainischen Volk werden wir Euch, Dienern von Judas, NIE verzeihen.“

Das sind sehr scharfe Worte, aus denen, psychiatrisch gesprochen, große Kränkung und das Gefühl, im Stich gelassen zu werden, spricht. Aber es geht nicht um die individuelle Ebene, es geht um komplexe politische Fragen. Wir haben es auszuhalten, dass Positionierungen wie die aus der Kirche nicht auf Gegenliebe stoßen und scharf attackiert werden. Aber es wäre wünschenswert, wieder ins Gespräch zu kommen, anstatt die Gräben hochzuziehen und weiter zu polarisieren.

Wie haben die Leute in Ihrem Grünen-Umfeld auf Ihr Austrittsschreiben reagiert?

Im Ortsverband gab es wirklich nette Rückmeldungen, „sehr, sehr schade, dass du nicht mehr bei uns bist“, eine inhaltliche Auseinandersetzung gab es eher nicht. Ich habe das Gefühl, dass es insgesamt gegenüber dieser Debatte eine Müdigkeit gibt, auch eine Scheu, diese Themen anzusprechen im Kommunalen, wo man nachbarschaftlich zusammenlebt. Eigentlich war Andrea Schwarz die Einzige, die inhaltlich Stellung bezogen hat.

Die Grünen-Landtagsabgeordnete aus Ihrem Wahlkreis schreibt von der „Doppelmoral, die wir an den Tag legen, der Krieg im Jemen stört die grüne Führungsriege nicht, wir liefern sogar wieder Waffen an Saudi-Arabien“.

Sie gehört in etwa zu meiner Generation, vielleicht liegt es daran. Ich bin Jahrgang 1968, die etwa zehn Jahre Jüngeren wie Annalena Baerbock haben vielleicht einen anderen Blick auf deutsche Geschichte und die Verantwortung aufgrund der beiden Weltkriege und der Shoah. Ich war auch beim Ostermarsch in Heidelberg, das war sehr überschaubar, ich sah fast keine Studierenden. Es hat mich aber auch angerührt, wie Menschen jenseits der 70, die nicht mehr gut laufen können, da dann mit ihrem Rollator mitdemonstrierten.

Kommen junge Menschen in Ihre Krisenberatung in Karlsruhe?

Ja, Menschen zwischen 20 und 30 kommen spätestens seit Corona verstärkt, meist solche mit einem hohen Bildungsgrad. Die Sorgen um die Zukunft, wegen des Krieges, der Rente und vor allem des Klimas, sind sehr spürbar.

Die „Letzte Generation“ haben Grüne wie Parteichefin Ricarda Lang zuletzt deutlich kritisiert.

Das finde ich traurig, fast spießig. Junge Menschen tun in ihrer Verzweiflung durchaus kluge Dinge, und dann wird darüber ordnungspolitisch diskutiert, ohne das Anliegen dahinter ernst zu nehmen.

Zur Person

Christoph Lang, 54, wuchs im Landkreis Karlsruhe in Baden auf, wo er 20 Jahre Gemeindepfarrer war. Heute arbeitet er als Supervisor sowie personenzentrierter Coach und ist seit vier Jahren stellvertretender Leiter der Ökumenischen Krisen- und Lebensberatungsstelle brücke in Karlsruhe

r ein Umdenken zu erwirken.“ Schwarz, Mitglied der Regierungsfraktion in Baden-Württemberg, meint weiter: „Ich bin, was den Krieg in der Ukraine angeht, ganz bei dir, kann oftmals das bellizistische Gerede unserer führenden Grünen nicht mehr ertragen.“der Freitag: Herr Lang, warum sind Sie vor vier Jahren bei den Grünen eingetreten?Christoph Lang: Als ich meinen 50. Geburtstag feierte, habe ich überlegt, dass ich mich eigentlich schon lange mit den Inhalten der Grünen identifiziere. Und da die gesellschaftlichen und globalen Themen so groß geworden sind, dachte ich: Jetzt muss ich mal Farbe bekennen, Mitglied werden, das unterstützen – auch, da absehbar war, dass es zu einer Regierungsbeteiligung kommen könnte.Die Ampel-Koalition trat vor einem Jahr an. Was war Ihr Gefühl?Einerseits Vorfreude über die Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich Ökologie, überhaupt Themen, die mich interessieren – Gerechtigkeit, Friedenspolitik, gesellschaftlicher Zusammenhalt –, mit grüner Farbe anzureichern. Zugleich leichte Skepsis, mit dem Wissen, da muss man Kompromisse machen.Das dürften Sie aber doch gut aus der Kommunalpolitik kennen.Ja, mein Ortsverband war sehr engagiert und offen, für meine Anfragen als Radler zu den Radwegen etwa oder zu unserer vierspurigen Bundesstraße ohne Geschwindigkeitsbegrenzung.Gibt es dort jetzt ein Tempolimit?Noch nicht, es ist immer noch die reine Rennstrecke.Im Bund haben die Grünen ein Tempolimit bisher auch nicht durchgebracht. Das ist aber nicht der Grund für Ihren Austritt.Richtig. Der Hauptschmerz, wenn ich es mal pathetisch sagen darf, lag in dem, was verbal geäußert wurde in dem großen Konflikt durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, nicht zuletzt von Annalena Baerbock. Das kam mir plötzlich so fremd vor, diese relativ militante, scharfe und scheinbar kompromisslose Stellung. Ich fragte mich: Ist das wirklich die Partei, für die ich mich engagieren will, in der die Spitze und gerade Annalena als Außenministerin so einen Ton an den Tag legt?Was hätten Sie von einer grünen Außenministerin erwartet?Differenzierung. Einen Modus von Nachdenklichkeit, Zurückhaltung. Bei Robert Habeck verspüre ich die Fähigkeit dazu eher. Ich glaube, unsere Wählerinnen und die Bürger sind gar nicht so doof, als dass sie sich mit Schwarz-Weiß-Botschaften abspeisen lassen. Wir haben an vielen Stellen einen hohen Reflexionsgrad. Einfache Antworten, die sehr schnell in ein Mikro gesprochen werden, bilden all die Komplexität nicht ab.„Einfache Antworten“?Unter Dauerdruck formulierte steile Sätze mit „Wir werden niemals“, „Das geht gar nicht“. Das sind, was ich aus meiner sozialen Beratungstätigkeit weiß, Killersätze. Dass etwas nicht geht, ist nicht richtig. Es geht immer noch etwas anderes. Mich ärgern Botschaften wie „Wir können jetzt ja gar nicht anders und stecken viele Milliarden in die Rüstung“. Da wären die Grünen die Partei, die aus ihrer Geschichte sagen könnte: Moment, lasst uns einen zweiten Gedanken dazu verschwenden. Das furchtbare Leid für die Menschen in der Ukraine steht dabei völlig außer Frage.Was wäre denn Ihre Alternative?Es ist natürlich nicht an uns, der Ukraine zu sagen, was sie tun darf. Aber wenn es um Unterstützung geht, um unser eigenes Land und dessen friedens- und militärpolitische Entscheidungen, auch um die Frage, wie wir selbst uns in einer solchen Lage verhalten würden, dann ist wichtig, den Blickwinkel zu weiten: Es gibt Ideen zwischen „Wir schlagen mit aller Kraft zurück“ und „Wir wehren uns gar nicht“. Ideen wie die vom gewaltfreien Widerstand gegen Besatzung im Sinne Gandhis oder Martin Luther Kings sind nicht populär, aber ich habe mich bei meiner eigenen Kriegsdienstverweigerung intensiv mit ihnen auseinandergesetzt. Es gibt Forschung zu Alternativen zum Hochrüsten und Waffenliefern – die zumindest in Überlegungen einzubeziehen, das hätte ich mir gewünscht. Die badische Landeskirche etwa hat in Freiburg ein Friedensinstitut gegründet.Aus der evangelischen Kirche gab es Stimmen gegen Waffenlieferungen und für Verhandlungsbereitschaft. Andrij Melnyk, einst Botschafter der Ukraine, schrieb daraufhin: „Euren heuchlerischen Verrat am ukrainischen Volk werden wir Euch, Dienern von Judas, NIE verzeihen.“Das sind sehr scharfe Worte, aus denen, psychiatrisch gesprochen, große Kränkung und das Gefühl, im Stich gelassen zu werden, spricht. Aber es geht nicht um die individuelle Ebene, es geht um komplexe politische Fragen. Wir haben es auszuhalten, dass Positionierungen wie die aus der Kirche nicht auf Gegenliebe stoßen und scharf attackiert werden. Aber es wäre wünschenswert, wieder ins Gespräch zu kommen, anstatt die Gräben hochzuziehen und weiter zu polarisieren.Wie haben die Leute in Ihrem Grünen-Umfeld auf Ihr Austrittsschreiben reagiert?Im Ortsverband gab es wirklich nette Rückmeldungen, „sehr, sehr schade, dass du nicht mehr bei uns bist“, eine inhaltliche Auseinandersetzung gab es eher nicht. Ich habe das Gefühl, dass es insgesamt gegenüber dieser Debatte eine Müdigkeit gibt, auch eine Scheu, diese Themen anzusprechen im Kommunalen, wo man nachbarschaftlich zusammenlebt. Eigentlich war Andrea Schwarz die Einzige, die inhaltlich Stellung bezogen hat.Die Grünen-Landtagsabgeordnete aus Ihrem Wahlkreis schreibt von der „Doppelmoral, die wir an den Tag legen, der Krieg im Jemen stört die grüne Führungsriege nicht, wir liefern sogar wieder Waffen an Saudi-Arabien“.Sie gehört in etwa zu meiner Generation, vielleicht liegt es daran. Ich bin Jahrgang 1968, die etwa zehn Jahre Jüngeren wie Annalena Baerbock haben vielleicht einen anderen Blick auf deutsche Geschichte und die Verantwortung aufgrund der beiden Weltkriege und der Shoah. Ich war auch beim Ostermarsch in Heidelberg, das war sehr überschaubar, ich sah fast keine Studierenden. Es hat mich aber auch angerührt, wie Menschen jenseits der 70, die nicht mehr gut laufen können, da dann mit ihrem Rollator mitdemonstrierten.Kommen junge Menschen in Ihre Krisenberatung in Karlsruhe?Ja, Menschen zwischen 20 und 30 kommen spätestens seit Corona verstärkt, meist solche mit einem hohen Bildungsgrad. Die Sorgen um die Zukunft, wegen des Krieges, der Rente und vor allem des Klimas, sind sehr spürbar.Die „Letzte Generation“ haben Grüne wie Parteichefin Ricarda Lang zuletzt deutlich kritisiert.Das finde ich traurig, fast spießig. Junge Menschen tun in ihrer Verzweiflung durchaus kluge Dinge, und dann wird darüber ordnungspolitisch diskutiert, ohne das Anliegen dahinter ernst zu nehmen.Placeholder infobox-1



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Von Veritatis

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