Seit 25 Jahren ist für Rammstein die Charts-Eins abonniert, und auch diesmal liefern die Berliner statistisch das “erfolgreichste Album 2022”: Fünf Wochen hielt sich “Zeit” an der Spitze allein in Deutschland, 19 in den Top Ten, bisher wurden über 440.000 Einheiten verkauft, allein 160.000 in der ersten Woche. Kündigt sich irgendwas Neues von Rammstein an, entdeckt, neben der Faszination an der Gigantomanie, auch die schwärzeste Metalpresse ihren Hang zum Regenbogen. Dass man dem von Bryan Adams fotografierten, retrofuturistischen Gebäude auf dem Cover hinterherfragt, mag noch einleuchten. Der “Trudelturm” in Berlin gibt als historisch nicht ganz unbelastetes Wissenschaftsdenkmal tatsächlich den ein oder anderen metaphorischen Zugang zu den ja gern mehrdeutigen Pyrorockern. Doch dassjede Textzeile aufgeregt als Trennungsindiz oder anderer Gossip versucht wird zu deuten, ist schon seltsam.
Dabei gibt es rein künstlerisch genug zu entdecken im Gewand des gewohnten Haudrauf-4/4-Takts. Ähnlich wie das Cover ziehen auch die vielen 80er-Science-Fiction-Keyboards in eine triste Zwischenzeit, die nach dystopischer Gegenwart riecht. Natürlich textet und singt Till Lindemann immer noch zuverlässig quasi in Fraktur, doch die Fähigkeit zur Melodie und poetischen Ästhetisierung nimmt zu. Da geht es in einigen Liedern schon etwas getragener zu, die metallisch industriellen Riffs lösen sich mitunter fast sphärisch ins Gothrock-Dunkle. Textlich schmeißen sie mal wieder etwas aufdringlich mit Sexuellem um sich, doch natürlich bleibt immer Raum für Interpretation und zunehmend auch Ironie. Neben allerlei Brachialphilosophischem zu Vergänglichkeit und Tod (Hören sie auf?) bekommt auf “Zeit” besonders der deutsche Spieß- und Besorgtbürger ziemlich was vor den Wohlstandsbu.
Unsere Jahrescharts wurden von den Musikkritikerinnen und -kritikern der “Freien Presse” zusammengestellt. HIER finden Sie alle bisherigen Platzierungen.