Bei den Vorbereitungen zum Kulturhauptstadtjahr in Chemnitz knirscht es: Die Stimmung ist angespannt. Droht sie zu kippen? Eine Betrachtung.
Es ist ein schmaler Grat zwischen der Notwendigkeit, Defizite zu benennen, und der Gefahr, damit schlechte Stimmung zu zementieren. In genau dieser Klemme steckt derzeit Chemnitz. Im Jahr 2025 wird sie den von der EU vergebenen Titel “Kulturhauptstadt Europas” tragen. Die Euphorie bei der Bekanntgabe 2020 war riesig. Bald darauf wurde die Kulturhauptstadt-GmbH gegründet, die für die Umsetzung des Programms mit zahlreichen Projekten und Veranstaltungen zuständig ist. Die Vorbereitungen laufen längst, zumal etliche Projekte weit vor 2025 beginnen. Doch die Stimmung ist, gelinde gesagt, angespannt. Vereine und Institutionen, die sich einbringen wollen, sprechen in sozialen Medien, bei Diskussionsrunden und auf Veranstaltungen immer öfter über ihre Probleme mit der GmbH. Der Frust, so scheint es dabei, wächst auf beiden Seiten.
Etliche Kritiker wollen, auch für diesen Text, nicht öffentlich genannt werden, wenn sie Tacheles reden. Zu groß ist die Befürchtung, missverstanden zu werden, das vermeintlich letzte Porzellan zu zerdeppern oder als jene dazustehen, die Rechtsextremen in die Hände spielen. Die nämlich haben angekündigt, das Kulturhauptstadtjahr zu einem neuen 2018 machen zu wollen. Damals kam Chemnitz durch rechte Krawalle weit über Deutschland hinaus in die Schlagzeilen.
Die lange Liste der Kritik
Dennoch, der Unmut bei denen, die sich für das Kulturhauptstadtjahr mit eigenen Ideen engagieren oder Anträge für Projekte stellen wollen, ist groß. Kritisiert werden vor allem mangelnde Ansprechpartner in der GmbH, ausbleibende Reaktionen auf An- oder Nachfragen, Unklarheiten bei Finanzierungsfragen, daraus folgend zu langsame Abläufe. Auch die zu geringe Wahrnehmung lokaler Künstler und kleinerer Vereine wird beklagt. Zudem wird deutlich: Auch zwischen Stadtverwaltung – die bezüglich des Kulturhauptstadtjahres für städtebauliche Veränderungen zuständig ist – und GmbH scheint es Kommunikationsprobleme darüber zu geben, wer wie viel Geld aus dem Topf von vornehmlich Bund, Land und Stadt wie ausgeben darf. Und wie lang das Geld reicht. Hinzu komme, so Kritiker, die “blumige” Sprache, der “Agentur-Sprech” der GmbH. Zum einen tauchten ständig wichtig klingende Wörter auf, die aber nicht jeder verstehe – ein schönes Beispiel dafür sind die Makerhubs, eine Art Kreativ- und Gründerzentren. Zum anderen fehlten bei der Beschreibung von Vorhaben konkrete Informationen, mit denen man auch etwas anfangen könne. Wenn einer blumig quatsche, fasst ein Mann aus der lokalen Kulturszene zusammen, der zu den Kritikern der GmbH gehört, schüttle der gemeine Chemnitzer nun mal den Kopf und denke sich: Der kommt wohl nicht von hier. Der Chemnitzer lege lieber los. Mittlerweile werden manche der Defizite bezüglich Erreichbarkeit und Kommunikation auch bei GmbH und Stadtverwaltung eingeräumt. Dennoch gehört zur Wahrheit dazu, dass manch Kritiker auch übers Ziel hinausschießt und sich auch nicht alle Beteiligten an die Kritik anschließen.
Ansprechpartner beispielsweise fehlten, weil die GmbH Mühe hatte, Stellen zu besetzen, mittlerweile ist sie da besser aufgestellt. Man kann auch nicht sagen, dass nichts vorwärtsgeht: Projekte wurden angeschoben, erste Etappen umgesetzt, Veranstaltungen fanden statt. Das Programm, das verwirklicht werden soll, fiel auch nicht von oben auf Chemnitz herab. Es wurde in der Stadt mit zahlreichen Akteuren von hier entwickelt. Zudem informiert die Internetseite der Kulturhauptstadt halbwegs klar über Prozeduren, derzeit sind unter anderem die Open Calls gelistet, die öffentlichen Ausschreibungsverfahren. Erklärt ist, unter welchen Schwerpunkten Ideen eingereicht werden können und welche Fristen gelten. Es gibt auch größere Kulturstätten in der Stadt, die klar sagen: Im Großen und Ganzen läuft’s gut mit der GmbH. Da heißt es eher: Man befürchte, dass Menschen, die außerhalb von Chemnitz über die schlechte Stimmung lesen, doch die Lust vergehen muss, diese Stadt zu besuchen!
Grundsätzliche Missverständnisse
Dabei scheint es auch grundsätzliche Missverständnisse zu geben: Darunter jenes, dass die GmbH jeden, der das selbst als hinreichend begründet sieht, in das offizielle Programm aufnehmen und finanzieren müsse. “Manche gehen von einem idealisierten Demokratiebegriff aus, nachdem jeder alles bekommt”, sagt der Vertreter einer großen Kultureinrichtung. “Aber es geht bei Demokratie um mehrheitsgetragene Kompromisse.” Die GmbH nehme nicht alle Ideen auf, nicht etwa, weil sie meine, als Klügste zu wissen, was gut und schlecht ist, sondern weil die Ressourcen begrenzt sind, darunter Geld, Personal und Zeit. Ein nächstes Missverständnis: Die GmbH manage die ganze Stadtentwicklung. Auch das wurde bereits mehrfach erklärt: Sie schiebt Entwicklungen nur an. Sie soll nur Motor sein dafür, dass sich Einwohner, Künstler, Vereine auch langfristig über 2025 hinaus mit Themen beschäftigen, mit denen der Titel jetzt Impulse setzt, Themen wie gelebte Nachbarschaft und die Zukunft des gesellschaftlichen Miteinander, das Stärken demokratischer Prozesse und des europäischen Gedankens. Dass sich Menschen interessieren für das, was vor ihrer Haustür geschieht. Das soll langfristig ja auch unabhängig von der GmbH passieren. Es ist der Grundgedanke des Titels: Das Jahr soll Katalysator sein, um Stadtentwicklungsprozesse anzuschieben, um Einwohner zu motivieren, da mitzumachen.
Wer das Arbeitspensum Stefan Schmidtkes – er ist als GmbH-Geschäftsführer für die Umsetzung des Programms zuständig – unterschätzt, ist auf dem Holzweg, und nur weil er als Geschäftsführer auch bezahlt wird, heißt das nicht, dass ihm alles vor die Füße gekippt werden kann. Tatsächlich wird ihm immer häufiger Dünnhäutigkeit nachgesagt. Das kann gefährliches Fahrwasser fürs Projekt werden – denn was passiert, wenn er hinschmeißt?
Zirkusdirektion mit Scheinwerfern?
Den Kritikern reichen all diese Gedanken nicht. Die GmbH sei wie ein Fremdkörper, sagt der bereits erwähnte Mann aus der Kulturszene. Es fehle dort an Empathie und Liebe zur Stadt. Vielleicht könne, so sein Vorschlag, ein Runder Tisch helfen, an den die Vereine eingeladen werden, die sich bisher nicht eingebunden fühlten. Vielleicht könnten Mitarbeiter der GmbH auch für ein paar Tage in Vereinen mithelfen, um ein Gefühl für die Menschen und ihre Anliegen zu bekommen.
Bisher sei in der Organisation sicher etliches schiefgelaufen, sagt ein anderer Akteur, “aber wir können jetzt entscheiden: Wollen wir weiter rumdiggschn oder das abhaken und den Pops hochkriegen”. Man könne es vielleicht so sehen: “Die GmbH ist die Zirkusdirektion, die hier ein Gastspiel gibt, und wir Chemnitzer müssen die Scheinwerfer nutzen und selbst was draus machen.”
Das erforderliche Einsehen auf beiden Seiten
Eigentlich ist es ja ganz herausragend, wenn Menschen ungeduldig von einem Bein aufs andere treten, weil es ihnen nicht schnell genug geht. Das heißt: Sie wollen. Sie brennen. Aber damit dieses Interesse nicht verloren geht, bedarf es an Einsehen auf allen Seiten. Die GmbH muss sich der Kritik öffnen und verstehen, dass Chemnitzer nicht zu hippen Berlinern umgemodelt werden wollen, wie das einer der Kritiker formuliert, sondern offene Ohren für ihren eigenen Weg brauchen. Und die Kritiker müssen gleichwohl einsehen, dass die hochkomplexe Umsetzung des Kulturhauptstadtjahres keine Angelegenheit ist, die sich hemdsärmelig ehrenamtlich stemmen lässt.
Oder wie einer der Akteure sagt: Es muss jetzt ein Ruck durch diese Stadt gehen!