Am Eingang des Berliner Brücke-Museums hängt ein großformatiges Bild. Es zeigt eine ältere Frau, die Arme stützt sie resolut in die Hüften. Sie trägt eine orangefarbene Bluse und schaut einem durch ihre Brille mit einer Mischung aus Resignation, Nachsicht und Entschlossenheit scheinbar direkt in die Augen. Es ist ein betörend schönes Werk: in Orange, Lila, Blau und Weiß, nicht (nur) gemalt, sondern aus verschiedenen bunten Stoffen genäht, aus Geblümtem, Satin und Spitze. In einer besseren Welt wüssten wir alle sofort, wer auf diesem Bild von Małgorzata Mirga-Tas zu sehen ist. Dann wäre Zilli Reichmann eine Ikone wie Sophie Scholl oder Anne Frank. Doch bis heute kennen die wenigsten Menschen die Lebensgeschichte von
on Reichmann, auch Schmidt genannt. Wissen nicht, dass die 1924 in Thüringen geborene Sintezza drei Konzentrationslager überlebte, dass der Großteil ihrer Familie – wie auch ihre erst vierjährige Tochter Gretel – in Auschwitz ermordet wurde und dass sie ihr Leben lang um Anerkennung und Wiedergutmachung kämpfte – und noch als über 90-Jährige öffentlich über die Verbrechen an der Gemeinschaft der Sinti*zze und Rom*nja referierte.Die polnische Künstlerin Małgorzata Mirga-Tas, 1978 in Zakopane geboren und selbst Bergitka-Romni, hat es sich zur Aufgabe gemacht, prominente Frauen aus der Rom*nja-Community zu repräsentieren. Dabei beschränkt sie sich nicht nur auf Figuren von welthistorischem Interesse wie Reichmann, sondern zeigt immer wieder auch Heroinen des Alltags. In ihrer Installation für den polnischen Pavillon auf der Venedig-Biennale 2022 – sie war in der über 120-jährigen Geschichte der Kunstschau das erste Mitglied der globalen Rom*nja-Community, das dort einen Länderpavillon bespielte – zeigte sie unter dem von der feministischen Theoretikerin Silvia Federici inspirierten Titel Re-enchanting the World mythische, historische und alltägliche Szenen aus dem Leben europäischer Rom*nja, immer mit Fokus auf weibliche Biografien.Dem Brücke-Museum ist es gelungen, Mirga-Tas, die derzeit auch Fellow des Berliner Künstlerprogramms des DAAD ist, für ihre erste Einzelausstellung in Deutschland zu gewinnen. Und man kann Direktorin Lisa Marei Schmidt gar nicht dankbar genug für diese Programmation in dem kleinen Midcentury-Juwel des Architekten Werner Düttmann sein, das fast märchenhaft schön im wohlhabenden Berliner Südwesten gelegen ist, umgeben von Villen, Wald und Wasser. „Lebensbejahend, sinnlich schön“, sagt sie über die Werke der sich auch als Aktivistin verstehenden Künstlerin. Tatsächlich ist man auf den ersten Blick gefangen von diesen vor Buntheit, vor Detailreichtum, vor Liebe zu und Respekt vor den Dargestellten überbordenden Textil-Kunstwerken. Begeistert vom Ideenreichtum, wie hier verschiedenste Stoffe kombiniert werden, wie applizierte Rüschen, Gürtelschnallen oder Plastikblumen aus der Fläche hervortreten und als 3-D-Erlebnis ins Reale (ein)greifen.Małgorzata Mirga-Tas zeigt den traditionell kooperativen Arbeitsprozess von FrauenDer Titel der Ausstellung, Sivdem Amenge. Ich nähte für uns, ist dabei ganz wörtlich zu verstehen, denn Mirga-Tas ist fest in ihrer Community verwurzelt und legt großen Wert darauf, den traditionell kooperativen Arbeitsprozess der Frauen fortzuführen und in ihrer Kunst auch abzubilden: In Werken wie Three Sisters zeigt sie, wie Frauen in einer Kette gemeinsam Textilarbeiten verrichten – ganz so, wie Mirga-Tas mit weiblichen Verwandten und Bekannten häufig ihre Kunst produziert. Tätigkeiten wie Nähen und Flechten, die wegen ihrer Assoziation mit Hausarbeit und Femininität im Kunstkontext lange abgewertet wurden, stellt sie ganz bewusst ins Zentrum ihrer Praxis – und weist damit auch subtil darauf hin, dass Kunst von Rom*nja-Artists bis heute statt in Kunstinstitutionen eher in volkskundlichen Sammlungen ausgestellt und exotisiert wird.Die Exotisierung und Fremddefinition von Rom*nja ist ein weiterer zentraler Punkt der Ausstellung. Mit Werken wie O Fotografis, auf dem ein neugieriger Eindringling ungefragt eine Romni in ihrer Siedlung fotografiert, kontert Mirga-Tas den voyeuristischen Blick von außen, setzt ihm eine so selbstbestimmte wie selbstbewusste Eigendarstellung ihrer Gemeinschaft entgegen. Und sie kommentiert historische Werke aus der Sammlung des Brücke-Museums, die heute mit ihrer fetischisierenden Perspektive problematisiert werden müssen (an dieser Stelle sei ausdrücklich der konstruktive Umgang des Hauses mit seiner eigenen Sammlung gelobt): So „korrigiert“ Mirga-Tas beispielsweise die rassistischen und sexualisierenden Lithografien aus Otto Muellers Z***-Mappe aus dem Jahr 1927 mit ihrem Werk Morning Tea, auf dem ihre Mutter und Schwester in eleganten Morgenmänteln Tee aus dekorativem, blau-weiß gepunktetem Geschirr trinken. Der vermeintlichen Wildheit der von Mueller häufig draußen und halb nackt dargestellten Rom*nja stehen hier zwei distinguierte Damen gegenüber, die in einem geschützten, privaten Innenraum die gemeinsame Zeit genießen.Mirga-Tas repräsentiert mit ihrer gleichzeitig hyperlokalen wie auch globalen, kompromisslos solidarischen und dekolonialen Perspektive eine neue Avantgarde post-nationaler Identität – und wird mit ihrer umwerfend schönen wie auch radikal politischen Kunst hoffentlich den Weg für viele weitere „Sisters“ ebnen.Placeholder infobox-1