Der vom Atlantik bis zum Roten Meer reichende Sahel gilt schon lange als erster und am meisten vom Klimawandel bedrohter menschlicher Lebensraum. Seit den 1980er Jahren vernichten Dürreperioden Viehbestände und Ackerböden. Auch rücksichtsloser Abbau von Bodenschätzen durch internationale Großkonzerne hat daran Anteil. Unter den sich nach 1990 zum neoliberalen Mantra des schlanken Staates bekehrenden Regierungen kam die postkoloniale Agenda des nationalen Zusammenschlusses vieler kleiner Völkerschaften ins Stocken. Die außerhalb der wenigen halbwegs modernisierten Zentren lebenden Gemeinschaften blieben sich selbst überlassen. Schul- und Berufsbildung sowie Gesundheitsfürsorge waren rückläufig. Oft zeigte der Staat nicht einmal meh

mehr durch seine Polizei Präsenz. Ein Teil der ihrer traditioneller Ressourcen beraubten Bevölkerung fand neue Verdienstquellen, häufig im Drogenhandel zwischen den Atlantikhäfen und Ägypten. Mit schnelleren Pick-ups als die Ordnungskräfte der Sahelstaaten ausgerüstet, florierten die Geschäfte. Marsch auf BamakoMit dem Ende des algerischen Bürgerkriegs (1991 – 2002) wurde der Sahel zum idealen Rückzugsgebiet islamistischer Kombattanten. Den „Emir“ Mokhtar Belmokhtar, der seit 1994 mit al-Qaida im Sudan in Verbindung stand und 1998 mit Unterstützung Osama bin Ladens die Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat (Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf) gegründet hatte, zog es Ende 2002 nach Mali. Über den Schmuggel von Treibstoff und Zigaretten, ab 2003 auch mit Lösegeld für entführte Touristen, finanzierte er terroristische Einheiten. Das blieb nicht konfliktfrei, da Belmokhtars streng salafistisch geprägte Mission auf den eher liberalen sufistischen Islam im Sahel traf.Dennoch konnte er sich offenbar immer wieder Rückhalt lokaler Bevölkerungsgruppen sichern. Der „Emir“ half in der Tradition islamischer Wohlfahrtsverbände, die Lebensbedingungen erträglicher zu machen. Seine nun vorzugsweise aus lokalen Kämpfern bestehenden Gruppen operierten in den Folgejahren als al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM) in Mauretanien, Südalgerien und Nordmali, ab 2008 auch in Niger. Dort gelang es AQIM-Verbänden 2011, eine französische Spezialeinheit in der Hauptstadt Niamey anzugreifen.Nach dem Zusammenbruch des Gaddafi-Regimes 2011 versorgte sich Belmokhtar mit Waffen aus libyschen Arsenalen und versuchte, den Norden Malis unter seine Kontrolle zu bekommen. Die dort lebenden Tuareg wollten dagegen einen von der Regierung in Bamako unabhängigen Staat Azawad gründen. Zunächst kam es zum blutigen Konflikt zwischen ihnen und Belmokhtars Gesinnungsfreunden. 2013 aber stießen Letztere zum Bündnis der Nationalen Bewegung zur Befreiung des Azawad (MNLA), die sich aus malischen und nigrischen Tuareg sowie anderen islamistischen Gruppen rekrutierte – darunter auch Boko Haram aus Nordnigeria. Diese Allianz vertrieb 2013 die schlecht ausgerüstete und demotivierte malische Armee aus dem Norden des Landes und führte einen zunächst erfolgreichen Feldzug, der sogar die Hauptstadt Bamako bedrohte. Gestoppt werden konnte er nur durch den Einsatz französischer Luft- und Bodentruppen. Mokhtar Belmokhtars RückzugDa Belmokhtar eine direkte Konfrontation mit den Franzosen als Fehler erkannte, zog er sich rechtzeitig in den Südwesten des ebenfalls in einen Bürgerkrieg geratenen Libyen zurück. Dort gründete er eine neue Basis, die erneut in vielen Sahelstaaten aktiv wurde. Ab 2014 dann erhielt Belmokhtar Anerkennung und Beistand von Ayman al-Zaouahiri, dem Chef des Islamischen Staates (IS) in Syrien und der Levante – ab 2015 nannte er sich „Emir von al-Qaida in Westafrika“. Seine Gefolgschaft verübte Anschläge in Bamako und Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso. Gesucht und verfolgt von Khalifa Haftars Truppen im Süden Libyens wurde Belmokhtar im Juni 2015 schließlich tödlich verwundet. 2017 vereinten sich seine Gruppen mit anderen Islamisten zur Groupe de soutien à l’Islam et aux Muslumans, die heute zu al-Zaouahiris al-Qaida-Filialen in Nordafrika gehört.Belmokhtar war nur einer der mächtigen Emire im Sahel. Auch wenn er teilweise heftigen Konkurrenzkämpfen ausgesetzt war, offenbart sein Beispiel die bis in den Nahen Osten reichende transnationale Vernetzung sowie die pragmatische Flexibilität von Allianzen islamistischer Gruppen, die untereinander wie mit der lokalen Bevölkerung verbunden sind. Vermutlich flossen diesen Netzwerken im Sahel über Jahrzehnte auch Milliarden Dollar aus dem saudischen Königreich zu. Jedoch waren sie nie stark genug, einen eigenen islamischen Staat zu gründen, selbst wenn Belmokhtars Kämpfer die offiziell bestehenden Staaten effektiv schwächen und ganze Bevölkerungsgruppen für sich vereinnahmen konnten.Der 2013 auf die UNO zurückgehende Versuch, sie militärisch einzuhegen, hat sich als wirkungslos erwiesen. Hier liegt ein Vergleich mit dem algerischen Bürgerkrieg nahe. Obwohl der Westen dem offiziellen Staat nicht beisprang und durch Verweigerung dringend benötigter Kredite sogar die islamistische Seite stützte, gelang es dennoch, deren Machtanspruch abzuwehren. Der tiefere Grund dafür war, dass sich zuvor die algerische Nation im antikolonialen Kampf herausbildete und anschließend durch sozialstaatliche Elemente gestärkt wurde. Zwar kam das nicht allen Teilen der Bevölkerung ausreichend zugute, weshalb sich viele zunächst den Islamisten zuwandten, aber die Errichtung eines dem Iran ähnlichen Regimes in Nordafrika wurde verhindert. Es konnte viel zivilgesellschaftliches und militärisches Potenzial mobilisiert werden, das einer sozialen Moderne zugewandt war. Nationen bilden sich im Sahel erst jetzt herausVergleicht man Algerien mit Staaten in der Sahelzone, so erlangten die ihre Unabhängigkeit schneller und unter weniger dramatischen Umständen. Ihre Regierungen und Eliten waren bereit, mit den alten Kolonialmächten weiterhin stark zu kooperieren. So kam es zu dem Phänomen, dass sich die Herausbildung von Nationen im Sahel erst in den vergangenen Jahren zu vollziehen beginnt. Dies geschieht unter dem Eindruck kulturell wie sozial nur auf kurze Sicht attraktiver islamistischer Alternativen und erfolgloser internationaler Militäroperationen. Ein gewichtiger Teil der Bevölkerung und Armeekader – obwohl oft in westlichen Ländern ausgebildet – wird sich bewusst, dass der weitere Zerfall ihrer Staaten nur durch enorme eigene Motivation und Anstrengung abzuwenden ist. Gegen die islamistischen Gruppen und den an sie gebundenen Drogenhandel vorzugehen, reicht nicht.Die verschiedenen, zum Teil von den Islamisten auch gegeneinander in Stellung gebrachten Volksgruppen können zu staatlichen Institutionen nur Vertrauen fassen, wenn die für Sicherheit wie funktionierende Bildungs- und Gesundheitssysteme sorgen. Das wiederum ist nur möglich, sollten die Regierungen Souveränität über ihre Rohstoffe gewinnen und die Weichen für eine gemeinnützige Wirtschaft stellen. Nicht zufällig fordern Intellektuelle des Sahel gerade jetzt eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte, darunter Formen der Versöhnung, die jahrhundertlang Friedenslösungen zwischen den Sahelvölkern ermöglicht haben.



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Von Veritatis

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