Altersvorsorge Noch mehr Markt im Staat: Mit dem „Generationenkapital“, einer finanzmarktabhängigen Rente, führt die Ampel-Koalition einen Systemwechsel herbei. Eine fragwürdige Volte, die zu mehr Altersarmut führt
FDP verspricht: eine angemessene Rente und ein eigenes Reitpferd für alle!
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Eigentlich sollte sie „nach der Sommerpause“ kommen: die Börsenrente. Doch bis Redaktionsschluss war weder vom Sozial- noch vom Finanzministerium zu erfahren, wann man so weit sein werde, einen Gesetzesentwurf zu dem Vorhaben der Ampel zu präsentieren. Man berate, es liefen „regierungsinterne Gespräche“, offenbar ist man sich noch nicht einig, wie genau man das nunmehr „Generationenkapital“ genannte Steckenpferd der FDP an den Start bringen will. Was jetzt schon feststeht: Es wird die Fortsetzung einer unseligen Geschichte kapitalgestützter Altersversorgung in Deutschland sein. Und diese hat die materielle Situation alter Menschen nicht verbessert.
Nicht zufällig wurde die nach dem damaligen Arbeits- und Sozialminister benannte Ri
terielle Situation alter Menschen nicht verbessert.Nicht zufällig wurde die nach dem damaligen Arbeits- und Sozialminister benannte Riester-Rente kurz nach der Jahrtausendwende im Gefolge einer Hausse, das heißt in einem länger andauernden Börsenboom eingeführt. Die Idee, das Umlageverfahren durch den Aufbau eines Kapitalstocks zu ergänzen oder längerfristig sogar zu ersetzen, erschien vielen Versicherten attraktiv. Damals herrschte ein regelrechter Hype um die New Economy, Start-ups schossen wie Pilze aus dem Boden, und Börsenlieblinge wie die T-Aktie waren in aller Munde. Es dauerte allerdings nicht lange, bis die Goldgräberstimmung allgemeinem Katzenjammer wich. Denn sehr bald platzte die Dotcom-Blase. Mit der sich anschließenden Pleitewelle endete die Party und nach der Weltfinanzkrise 2007/08 der Traum vom ewig dauernden Geldregen für die Börsianer.Börsenrepublik DeutschlandZumindest bei einer Partei ist das Vertrauen in die Börse jedoch ungebrochen. Das kaum mehr zu leugnende Scheitern der Riester-Rente hat die FDP nicht davon abgehalten, ihre Vision einer marktgesteuerten Alterssicherung in der Börsenrepublik Deutschland konzeptionell voranzutreiben. So wurde im letzten Bundestagswahlkampf die Forderung nach einer „Gesetzlichen Aktienrente“ erhoben. Dafür müssten alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach schwedischem Vorbild zwei Prozent ihres Bruttoeinkommens über einen unabhängigen Fonds am Finanzmarkt anlegen, während der Rentenversicherungsbeitrag im Gegenzug um zwei Prozentpunkte sänke.Unerwähnt blieb, dass es sich in Schweden um eine Erwerbstätigenversicherung handelt, die Arbeitgeber an deren Finanzierung überparitätisch beteiligt sind und der Staat den Steuerzahlenden die Aufwendungen für ihre private Altersvorsorge ersetzt.Nachdem die FDP in den Koalitionsverhandlungen eine modifizierte Version ihrer Aktienrente durchsetzen konnte, will sie jetzt zu einer „teilweisen Kapitaldeckung“ der Rente übergehen. Um die nach der Finanzkrise im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse auszuhebeln, orientieren sich die Regierungsparteien dabei an Börsenzockern, die Aktien auf Pump kaufen: Mit den Krediten des Bundes soll ein von der öffentlich-rechtlichen „Stiftung Generationenkapital“ verwalteter Staatsfonds deutsche und ausländische Aktien im Wert von zwölf Milliarden Euro erwerben. Man denkt dabei an den Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung (KENFO), weil dieser schon existiert.Rente als DividendeÜber weitere jährliche Einlagen hinaus werden ihm, falls es nach Finanzminister Christian Lindner geht, Bundesbeteiligungen (an der Deutschen Post-DHL und/oder der Telekom?) übertragen. Nur was nach Zinszahlungen und Begleichung der Verwaltungskosten von den erhofften Dividenden übrigbleibt, käme Beitragszahler(inne)n sowie Rentnerinnen und Rentnern ab Mitte der 2030er-Jahre zugute. Gibt es irgendwann Verluste, muss sie der Staat ausgleichen. Außerdem soll die in Verruf geratene Riester-Rente dadurch „konsolidiert“ werden, dass ihre Anbieter das eingezahlte Geld künftig risikoreicher anlegen und auch in Aktienfonds stecken dürfen, ohne an eine Beitragsgarantie gebunden zu sein.Mit dem werbewirksamen Begriff „Generationenkapital“ für ihre modifizierte Aktienrente erinnert die Ampel-Koalition zwar an den seit der Großen Rentenreform von 1957 bekannten Generationenvertrag des Umlageverfahrens, der in seiner bisherigen Gestalt angeblich nicht mehr tragfähig ist. „Generationenkapital“ ist aber ein politischer Kosename für die neue Börsenrente, mit der alte Menschen und künftige Beitragszahler/innen von der auf dem Finanzmarkt erzielten Rendite abhängig gemacht werden sollen.Teilkapitalisierung in StaatsregieDas von SPD, Bündnisgrünen und FDP beschlossene Modell unterscheidet sich von der ursprünglichen Aktienrente dadurch, dass als Kredite gewährte Steuermittel des Staates anstelle von Beitragsmitteln der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) auf den Finanzmarkt transferiert werden sollen, wodurch kein individuelles Ertragskonto, sondern ein kollektives Vorsorgevermögen entsteht und der GRV-Beitragssatz zunächst konstant bleibt. Handelte es sich bei der Riester-Reform um eine Teilprivatisierung der Altersvorsorge, so geht es diesmal um eine Teilkapitalisierung in Staatsregie. Erneut werden Bundesmittel als Booster für die Börsen und zur Subventionierung von Finanzmarktakteuren missbraucht.Mit dem Generationenkapital wird das vermeintliche Demografie-Problem der Altersvorsorge nicht gelöst. Generationen haben keine Spardose, in die sie durch Aufbau eines Kapitalstocks für ihr Alter einzahlen können. Bevor das an der Börse angelegte Generationenkapital eine nennenswerte Rendite abwerfen kann, muss ein Kapitalstock aufgebaut werden, was Jüngere stark belastet. Trotzdem tut die Ampel-Koalition so, als ginge es bei ihrer Rentenreform um mehr Generationengerechtigkeit. Dabei handelt es sich um einen politischen Kampfbegriff, der einen „Um-“ bzw. Abbau des Sozialstaates legitimieren hilft. Der sich infolge Pandemie, kriegsbegleitender Energiepreisexplosion und Inflation verschärfende Verteilungskampf wird so zu einem „Generationenkrieg“ umgedeutet.Aufgrund des zunehmenden Anlagevolumens wird der Kurswert von börsennotierten Unternehmen zunächst tendenziell weiter steigen, was deren Spitzenmanager wegen ihrer oft daran geknüpften Vorstandsvergütungen ebenso freuen dürfte wie die (Groß-)Aktionäre. Betreiber und Befürworter des Projekts denken jedoch zu wenig an die längerfristigen Folgen einer Börsenrente, etwa in Bezug auf die zu erwartende Überhitzung des Aktienmarktes und die weitere Entkopplung von Finanz- und Realwirtschaft.Der Staat fördert ReichtumHauptleidtragende sind Menschen, die einer zusätzlichen Altersvorsorge am meisten bedürften: Minijobber/innen, Bürgergeldbezieher/innen und Sozialhilfeempfänger/innen. Sie finanzieren das Generationenkapital zwar durch indirekte Steuern mit, haben aber später nichts oder wenig davon, weil sie keine oder zu geringe Rentenanwartschaften erwerben. In einem Leistungsvergleich mit der umlagefinanzierten Altersrente schneidet eine Börsenrente höchstens dann besser ab, wenn man unberücksichtigt lässt, dass sie Geldleistungen für Hinterbliebene (Witwen, Witwer und Waisen) ebenso wenig umfasst wie Erwerbsminderungsrenten oder Rehabilitationsmaßnahmen für die Versicherten. Auch hierdurch verschärft sich die soziale Ungleichheit im Land, handelt es sich doch um staatliche Reichtumsförderung statt Armutsbekämpfung.Obwohl die Ampel-Koalition versprochen hat, das Rentenniveau zu stabilisieren und das gesetzliche Renteneintrittsalter nicht weiter anzuheben, führt ihre Politik letztlich zu mehr Altersarmut. Denn das Generationenkapital ist ein Trojanisches Pferd, welches die FDP – sie nennt es zu Recht einen „Systemwechsel“ – in die Gesetzliche Rentenversicherung einschleust. Das bewährte Umlageverfahren wird dadurch nicht ergänzt, wie die Ampel-Koalition behauptet, sondern zersetzt. Wenn die SPD im Gesetzgebungsverfahren zustimmt, opfert sie ihre Grundsätze und ihr Bekenntnis zur Stärkung der Gesetzlichen Rentenversicherung auf dem Altar der Regierungsbeteiligung.Als wären die materiellen Folgen einer Umverteilung von unten nach oben nicht schlimm genug, geben auch die mentalen Folgen der „kapitalgedeckten“, sprich finanzmarktabhängigen Altersvorsorge zu denken. Was die Liberalen als „Stärkung der Aktienkultur“ begrüßen, führt nämlich dazu, dass viele Bürger/innen beim Stichwort „Rente“ künftig eher an die Rendite börsennotierter Unternehmen denken werden. Möglicherweise schrecken Arbeitnehmer/innen demnächst sogar vor eigentlich notwendigen Maßnahmen wie einer Anhebung von Kapital- und Gewinnsteuern für Konzerne zurück, weil sie bei daraufhin sinkenden Dividenden um ihre eigene Altersrente fürchten.Neoliberale StandortlogikMit dem Generationenkapital erreicht die Finanzialisierung des größten Sozialversicherungssystems, wie sie die Riester-Rente bedeutete, eine neue Ebene. Denn bisher bestand für Lohnabhängige zwar die Möglichkeit, mit staatlicher Unterstützung (Prämien und Steuergutschriften) Geld auf den Finanzmärkten anzulegen, um den Wegfall sozialer Leistungen im Alter zu kompensieren. Nun dringt die Tätigkeit eines institutionellen Kapitalanlegers auf das Feld der Gesetzlichen Rentenversicherung selbst vor, also von der zweiten und dritten Säule in die erste Säule der Altersvorsorge ein. Damit wird auch diese von den Marktgesetzen der neoliberalen Standortlogik erfasst. Eine neue Qualität hat die anstehende Reform auch insofern, als die staatlich geförderte Altersvorsorge auf dem Finanzmarkt durch „Riestern“ freiwillig war, jetzt aber durch Stiftung und Staatsfonds institutionalisiert werden soll.Bisher hat nur eine kleine Minderheit der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten jemals Aktien erworben. Trotzdem will man alle per Gesetz zu „Nutznießenden“ des Finanzmarktes machen, ohne dass sie den geringsten Einfluss auf die Art und den Umfang der Kapitalanlagen erhalten.Placeholder authorbio-1