Es ist relativ einfach, Chef einer linken Partei in einem kleinen Land wie Griechenland zu werden. Es braucht den Charme des Kandidaten, einen Hauch von Populismus und ein Gespür für soziale Medien. Stefanos Kasselakis (35) ist dies mit einer von amerikanischen Wahlkämpfen inspirierten Kampagne innerhalb von wenigen Wochen gelungen.
Der linke Autor Dimitris Psarras beschreibt die Beunruhigung, die das plötzliche Auftauchen des griechischen Amerikaners bei den Kadern der Allianz aus Marxisten, ehemaligen Kommunisten, Ökologen und Sozialdemokraten ausgelöst hat, mit den Worten: „Es ist so, als ob Netflix gekommen wäre, die Partei übernommen hat und sie nun in eine Serie verwandelt. Die Leute haben keine Ahnung, worum es bei Kasselakis geht oder ob
ht oder ob er überhaupt ein Programm hat. Natürlich stehen sie unter Schock.“Die griechische Linke ist erfahren im Umgang mit politischen Beben: Am 25. Januar 2015 gewann Alexis Tsipras mit Syriza die Parlamentswahlen und wurde zum ersten linken Premier Griechenlands. Er verschreckte Politiker in ganz Europa und gab Linken in der ganzen Welt Hoffnung. Heute wissen wir, dass seine Rebellion gegen das EU-Schuldendiktat gescheitert ist. Die griechische Linke befindet sich seither in einer schier unüberwindbaren Sinnkrise.Nach einer verheerenden Wahlniederlage in diesem Jahr gegen die Nea Dimokratia (ND) musste ein Nachfolger für Tsipras her. Die Party wurde von einem unerwarteten Gast gecrasht: Kasselakis ging als letzter Bewerber ins Rennen, gewann die erste Wahlrunde und dann die Stichwahl gegen die ehemalige Arbeitsministerin Effi Achtsioglou. Der Self-Made-Millionär Stefanos Kasselakis ist ein untypischer LinkspolitikerKasselakis hat einen für Linke untypischen Lebenslauf. Der offen homosexuell Lebende wurde 1988 in Athen geboren und konnte dank seiner Leistungen in einem Mathematikwettbewerb mit einem Stipendium im Rücken in die USA auswandern. Er studierte Internationale Beziehungen und Finanzen in Pennsylvania, arbeitete bei Goldman Sachs – und präsentiert sich heute als Reeder und Self-Made-Millionär aus Miami. Wie um alles in der Welt konnte ausgerechnet ein Mann dieses Kalibers jemanden wie Alexis Tsipras ablösen? Es sei, wie der Journalist Yannis Almpanis schreibt, eine Apotheose der Post-Politik, dass ein Unbekannter ohne große Bindung an die Partei und mit wenig Wissen über die politischen Verhältnisse in Athen zum Führer der Opposition wird. Aber der Zerfall klassischer Politik erklärt den Triumph von Kasselakis nur teilweise. Viel mehr bestätigt er auch die Transformation der einstigen Bewegungspartei zu einem auf ihren bisherigen Vorsitzenden Tsipras zugeschnittenen Dienstleister. Wer in kurzer Zeit die Macht ergreifen möchte, um die Gesellschaft zu verändern, verändert hauptsächlich sich selbst – dies ist die Regel. Seitdem Tsipras Regierungschef wurde, hat sich Syriza äußerst zentralistisch entwickelt und von linken Positionen verabschiedet. Der Kampf um Werte und soziale Rechte wurde ersetzt, durch den um Erhalt von Macht in einer Zweiparteien-Demokratie, wie sie in Griechenland seit dem Ende der Militärdiktatur existiert. Die jetzige hohe Beteiligung bei der Wahl eines neuen Vorsitzenden ist zwar ermutigend, trotzdem fehlt der Partei weiter die Verankerung auf kommunaler sowie gewerkschaftlicher Ebene.Der neue Syriza-Chef hat Unterstützer auch unter alten ParteimitgliedernKasselakis hätte nicht gewonnen, wenn nicht die meisten seiner Wähler davon überzeugt gewesen wären, dass er den Segen von Tsipras und eines Teils des alten Parteiapparats hatte. Die Schlammschlacht, die sich Kasselakis und Achtsioglou zwischen den Wahlgängen lieferten, lässt vermuten, dass die Spaltung von Syriza immer noch ein denkbares Szenario ist. Viele sehen in Tsipras den eigentlichen Sieger, der sich offiziell herausgehalten hat, aber bei seinem ersten Treffen mit Kasselakis kaum ein Lächeln verbergen konnte.Ein Blick auf Kasselakis Unterstützerkreis genügt, um zu wissen, dass seine Wahl alles andere als ein Zufall war. Dazu gehörte der bekannte ehemalige Minister Pavlos Polakis, der in der Partei als politisches Schwergewicht gilt. Nikos Pappas, ein Vertrauter von Tsipras, war einer der Kandidaten, die in der zweiten Runde den Newcomer unterstützt haben. Und nicht zuletzt war auch der Cousin des Ex-Premiers, Giorgos Tsipras, auf Kasselakis’ Seite. Der Parteitag im November wird zeigen, was diese Unterstützung wert war.Kasselakis hat das Ziel, Syriza zu modernisieren und zu Griechenlands US-Demokraten zu machen – über seine Inhalte ist weniger bekannt. Macht er dabei die Rechnung ohne den Wirt? Jedenfalls ist der Zustand der griechischen Linken seit der endgültigen Niederlage von Syriza im Kampf um ein besseres Griechenland desolat. Premier Kyriakos Mitsotakis hält trotz der Abhörskandale und Naturkatastrophen sowie seines autoritären Regierungsstils nach Orbán’scherArt die absolute Mehrheit. Er hat das Werk von Tsipras als sein eigenes verkauft: Die Erfolgsstory von der Rückkehr Griechenlands an die Finanzmärkte, gefeiert von Financial Times bis The Economist.