Kunstverein Nicht leicht, am Alexanderplatz in Berlin die nGbK zu finden. Drinnen erinnert vieles an die documenta fifteen. Freitag-Autorin Anja Schindler über eine Ausstellung, die ein ganz bestimmtes Gefühl bei ihr hinterlassen hat
Die Ausstellung „House of Kal“ beschäftigt sich mit der Bedeutung von Wasser und Gewässern im Zusammenhang mit Flucht, Migration und Protest
Es ist eine Rolltreppe, die vom Gehweg am Alexanderplatz aus ins erste Geschoss eines grauen DDR-Komplexes in die neu bezogenen Ausstellungsräume der nGbK führt. Gar nicht leicht zu finden, dieser neue Eingang, und so fühlt man sich, wenn man durch die Glastür tritt, fast wie ein Neuankömmling in der eigenen Stadt, gerade noch verloren an der stark befahrenen Karl-Liebknecht-Straße zwischen Fastfoodketten und Ein-Euro-Shops, das Handy mit der Kartendienst-App drehend und wendend, bis man erleichtert das Logo der nGbK entdeckt. Die erste Ausstellung, wo man bis vor Kurzem noch Burger und Pommes essen konnte – zuvor war hier ein McDonalds –, trägt den Titel House of Kal.
30 Jahre war die nGbK in Kreuzberg zu Hause, in der Oranienstraße 25. D
enstraße 25. Diesen Juli musste der Kunstverein die Räume aufgeben, weil ein Luxemburger Immobilienfonds das Gebäude gekauft hatte. Dem Stadtteil SO36, vormals Nachbarschaft für Migrant*innen, Hausbesetzer*innen und die Punk-Subkultur, haftete trotz voranschreitender Gentrifizierung immer noch der Charme der Gegenkultur an, und das passte gut zum seit der Gründung des Kunstvereins im Jahr 1969 bestehenden Anspruch, Kunst als gesellschaftlich und politisch wirksam zu verstehen. Die Gegend um den Alexanderplatz ist anonymer, weniger Wohngebiet als Konsumzone, und E-Scooter stehen ganz oben in der Gehweg-Hierarchie. Ob sich das Publikum der nGbK durch den neuen Standort verändert, wird sich zeigen.Die neuen Räume wirken unfertig. Das Stahlbetonskelett ist an vielen Stellen sichtbar und auch das Ausstellungsdesign verstärkt diesen Eindruck: Die Bildschirme für die Präsentation der Videoarbeiten stehen auf dicken Ziegelsteinen. Dafür gibt es Sitzmöglichkeiten, Topfpflanzen, Kissen und Teppiche, die den Raum mit den bodentiefen Fenstern mit Blick auf den Fernsehturm sowie den ehemals frittenfettigen Steinboden gemütlicher wirken lassen. Aber der Eindruck des Unfertigen passt, tatsächlich handelt es sich um eine zunächst auf zehn Jahre befristete Untervermietung durch die Kulturraum gGmbH im Rahmen einer Zwischennutzung.Wen die aufreibende Standortsuche und die schmutzige Luft am Alexanderplatz durstig gemacht haben, kann sich freuen, denn im Zentrum der Ausstellung House of Kal steht ein Kiosk. Für Geld gibt es hier nicht nur Limo, Bier oder Snacks, sondern auch Drucke oder Radierungen von 25 bis 250 Euro. Dieses nonchalante Miteinander von Kunst und Nicht-Kunst, verkauft an Kiosken, gab es unter dem Namen „lumbung Kios“ auch schon bei der letzten documenta in Kassel. Bei dieser ersten Parallele soll es nicht bleiben: Der Ausstellungsrundgang zeigt, dass die Schau einiges mit der documenta fifteen gemeinsam hat.Wasser und Tee gibt es am Kiosk kostenfrei. Nur leider stehen, zumindest zum Zeitpunkt des Besuchs der Autorin, keine Becher bereit, aus denen man die Getränke zu sich nehmen könnte. Mit trockener Kehle durch den Raum blickend, stellt man fest: Auch das Thema Wasser zieht sich durch die Schau. In House of Kal geht es um die Bedeutung von Ozeanen und Flüssen für Flucht, Migration und Protest. „Kal“ bedeutet in vielen südasiatischen Sprachen, darunter Hindi, Urdu und Bengali, sowohl gestern als auch morgen. In der jüngeren Ausstellungsvergangenheit Berlins spielte Wasser als Element der Transition und des Fluiden des Öfteren eine Rolle, so beispielsweise in zwei Ausstellungen im Gropiusbau, die bis Mitte August einen anti-eurozentrischen Blick auf ozeanische Kulturen erprobten: die Soloausstellung Daniel Boyds und die Gruppenschau Indigo Waves, in der es um den Indischen Ozean als Bindeglied zwischen Afrika und Asien ging.Der Titel der Schau House of Kal ist der Name einer nomadischen Gemeinschaft von Kunstschaffenden und Aktivist*innen aus Südasien, der südasiatischen Diaspora und dem (post-)migrantischen Europa, die sich selbst als „trans*ozeanisch“ beschreibt. Seit 2020 erproben sie queere, feministische und dekoloniale Methoden kollektiver Kunstproduktion. Bislang gibt es das House of Kal an drei Standorten, in Karatschi, Colombo und Berlin. Die Mitglieder arbeiten an Publikationen, Performances, Musik, Videos und betreiben einen Radiosender. Nicht nur das Kollektive, sondern auch die Radiostation ist übrigens eine weitere Gemeinsamkeit mit der documenta, in Kassel hieß sie „lumbung Radio“.Rund um den Kiosk zeigt die Ausstellung fünf künstlerische und aktivistische Positionen. Labels gibt es nicht, wodurch die Orientierung nicht ganz leichtfällt. Das liegt aber vielleicht auch daran, dass diese Ausstellung – wie die documenta fifteen – keine klassische Kunstschau ist, wie die westliche Kunstgeschichte sie erfunden hat, sondern eher eine Präsentation gemeinschaftlichen, politischen Widerstands: Die Aktivistinnengruppe Women* in Exile beispielsweise, deren Arbeit in der Schau vorgestellt wird, setzt sich für die Rechte geflüchteter Frauen* in Deutschland ein. Das geschieht oftmals auf dem Wasserweg: Ein Video zeigt, wie die Gruppe 2014 auf selbstgebauten Flößen durch Deutschland reiste, um geflüchtete Frauen* in Geflüchteten- und Abschiebezentren zu besuchen, und 2018 unterstützte sie eine Demonstration gegen die AfD in Berlin von einem Floß auf der Spree aus, wozu Gespräche in gedruckter Plakatform ausliegen, die man mitnehmen kann.Für das in westlicher Kunstgeschichte geschulte Auge ist das Video rituals for coastal commons des Kollektivs The Many Headed Hydra ästhetisch am interessantesten. Vielleicht ist es aber auch schlicht die Arbeit, die am weitesten von politischem Aktivismus entfernt ist und damit keine (informative) Präsentation, sondern eine offenere (künstlerische) Repräsentation, bei der nicht eindeutig ist, auf welches Ereignis oder politisches Ziel sie referiert. Ausgangspunkt für die visuelle Erzählung sind Gewässer, die einmal Allgemeingut waren und privatisiert wurden. Indem sich Wasser durch Länder, Städte, Körper und Gebäude hindurchbewegt, egal ob das Gebiet privat, öffentlich oder der Zutritt vielleicht gar verboten ist, entzieht sich dieses fluide Element der menschlichen Kontrolle.Die Künstler*innen und Aktivist*innen aktivieren während der Laufzeit den Ausstellungsraum durch Radiosendungen, Musik, Filme und Workshops. Ein Gefühl, das einen bereits beim Besuch der documenta beschlich und das auch hier aufkommt, wenn man die Ausstellung „nur so“ besucht – also ohne eine solche Veranstaltung: Man ist noch zu früh oder schon zu spät. Eben gab es noch Becher, jetzt nicht mehr, und gestern wurde hier eine Radiosendung produziert, aber gerade leuchtet die „On Air“-Lampe nicht und der Aufnahmetisch wirkt verloren. Besucht man die Ausstellung ohne „Aktivierung“, dann wirkt das hier vorgestellte kollektive Kunst- und Politikmachen zuweilen fast so anonym wie der Alexanderplatz, auf den man wieder ausgespuckt wird.Placeholder infobox-1