Von Alexej Danckwardt 

Das Drama um den Versuch des deutschen Mainstreams, jede Debatte um die Rechtmäßigkeit des Vorgehens Russlands in der Ukraine mit Mitteln der strafrechtlichen Repression zu unterdrücken, nimmt kein Ende.

Am 11. April hatte RT DE von einem der zahlreichen Strafverfahren berichtet, die bundesweit wegen sogenannter „Billigung des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges“ Russlands laufen. Diesmal mit einer oberflächlich betrachtet guten Nachricht: Der vorsitzende Richter am Landgericht Köln, der mit seiner Kammer über die Berufung der „prorussischen“ Aktivistin Elena Kolbasnikova gegen ihre Verurteilung nach § 140 des deutschen Strafgesetzbuches zu befinden hat, möchte einen Völkerrechtler als Sachverständigen hinzuziehen. 

Auf der einen Seite ist es schon mal ein Fortschritt, dass ein deutscher Strafrichter – wohl zum ersten Mal in der aktuellen Runde der Repression gegen Andersdenkende – eingesehen hat, dass er mit seiner Ausbildung allein komplizierte völkerrechtliche Sachverhalte nicht beurteilen kann. Für diese selbstkritische Erkenntnis verdient er ohne Zweifel Respekt. Die Einsicht, nicht genug zu wissen, ist immer der erste Schritt zu der Weisheit: Je mehr ich weiß, desto mehr weiß ich, dass ich nichts weiß.

Richter bestellt Sachverständigen: Führt Russland völkerrechtswidrigen Angriffskrieg oder nicht?

Andererseits macht der Richter es sich damit unnötig kompliziert. Der Fall ist eher im Verfassungsrecht denn im Völkerrecht zu lösen. Im August letzten Jahres sind wir bereits auf einige Aspekte dieser Strafnorm eingegangen. Offenbar waren wir nicht verständlich genug. 

Dabei würde ein einfaches Gedankenexperiment allen Beteiligten dieses und anderer Prozesse aus der juristischen Sackgasse heraushelfen, in die sie sich bewusst oder unbewusst reingeritten haben. Stellen wir uns vor, ein Prominenter erschießt in seiner Wohnung jemanden. Er wird verhaftet, ein Strafverfahren wegen Totschlags wird eingeleitet. Der Fall füllt die Titelseiten der einschlägigen Boulevardzeitungen, auch die „seriöse“ Presse berichtet. Selbstverständlich beginnen Diskussionen: War es Notwehr, war es keine? Würden die Anklagebehörden nun Strafverfahren gegen jeden einleiten, der meint, es sei Notwehr gewesen? 

Nein, natürlich nicht. Man würde zumindest den rechtskräftigen Abschluss des Strafprozesses gegen den Prominenten abwarten, bevor es Ermittlungsverfahren gegen Dritte nach § 140 StGB gibt. Und zwar nicht, weil die Staatsanwaltschaften nachlässig sind, sondern weil das Gesetz selbst es vorgibt.

Der Schlüssel ist in der Gesetzesnorm selbst zu finden: Das Billigen muss „in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“ erfolgen, um strafbar zu sein. Gemeint ist der Rechtsfrieden. „Es muss auch mal gut sein“ ist der zugrundeliegende Rechtsgedanke, jedenfalls im Lichte des Art. 5 Grundgesetz. Dass das und kein anderer Frieden gemeint ist, wird schon daraus sichtbar, dass nach ständiger Rechtsprechung aller höchsten Gerichte das Billigen des abstrakten Verbrechens, auch bestimmter Deliktsgruppen, losgelöst von einem konkreten Fall, nicht strafbar ist.

Der Rechtsfrieden tritt erst ein, wenn der mit der Haupttat befasste Strafprozess rechtskräftig abgeschlossen ist, wenn das höchste zuständige Gericht gesprochen hat. Erst dann ist der „öffentliche Frieden“ überhaupt in der Welt, der durch das Billigen gestört werden kann.

Es muss zumindest das Revisionsgericht (bei schweren Straftaten ist es in der Regel der Bundesgerichtshof) ausgesprochen haben, dass er die vom Tatsachengericht festgestellten Tatumstände unangetastet lässt und dem Urteil in den Schuldspruch tragenden Rechtssätzen beipflichtet. Im Einzelfall könnte es sogar erforderlich sein, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts oder des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte abzuwarten, bevor man öffentliche Debatten abwürgt.  

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Und was ist die höchste Autorität in völkerrechtlichen Fragen, die den zu schützenden Rechtsfrieden bei Fragen globaler Bedeutung, bei Fragen von Krieg und Frieden schafft? Die Vollversammlung der Vereinten Nationen, wie der Vorsitzende Richter am Landgericht Köln hat anklingen lassen?

Falsch! Die Vollversammlung ist ein rein politisches Organ, sie schafft weder Völkerrecht noch Rechtsfrieden. Was dort geäußert oder mehrheitlich beschlossen wird, ist kein Völkerrecht, sondern auch nur eine Meinung darüber, was Völkerrecht ist. Die Mehrheitsmeinung ist nicht immer richtig, wie uns die Geschichte lehrt. Sonst wäre die Erde eine Scheibe, die Sonne würde sich um sie drehen und Hitler wäre eine gute Wahl des deutschen Volkes gewesen.

Aus guten Gründen schützt Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes nicht nur die Mehrheitsmeinung, sondern jede Meinung, ja sogar in erster Linie die „abstruse“ Mindermeinung der wenigen „Verblendeten“. Manchmal stellt sich eben, nachdem Galileo Galilei gerichtet und Kopernikus zensiert wurden, heraus, dass die Erde keine Scheibe ist und sich um die Sonne dreht. 

Sie glauben nicht, dass die Resolutionen der UN-Vollversammlung kein Völkerrecht sind? Dann schauen wir doch zusammen in Artikel 38 Absatz 1 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs (IGH), der in allen Lehrbüchern des Völkerrechts ohne Ausnahme im Kapitel „Quellen des Völkerrechts“ zitiert wird. Drei primäre Quellen sind dort aufgezählt und zwei Hilfsmittel, derer sich die Richter des IGH bei ihren Entscheidungen bedienen dürfen: 

„Der Gerichtshof, dessen Aufgabe es ist, die ihm unterbreiteten Streitfälle nach Völkerrecht zu entscheiden, wendet an:

a) die internationalen Abkommen allgemeiner oder besonderer Natur, in denen von den im Streit befindlichen Staaten ausdrücklich anerkannte Normen aufgestellt sind;

b) das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung;

c) die von den zivilisierten Staaten anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze;

d) unter Vorbehalt der Bestimmung des Artikels 59 die gerichtlichen Entscheidungen und die Lehren der anerkanntesten Autoren der verschiedenen Völker als Hilfsmittel zur Feststellung der Rechtsnormen.“

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Das ist nach allgemeiner Auffassung der abschließende Katalog der Quellen des Völkerrechts, Resolutionen der UN-Vollversammlung sucht man darin vergebens. 

Aber vielleicht sagt die Charta der Vereinten Nationen, ihrerseits ein internationales Abkommen im Sinne des oben zitierten Katalogs, etwas anderes? Die Befugnisse der Generalversammlung sind in den Artikeln 10 und 11 der Charta aufgeführt: 

Artikel 10

Die Generalversammlung kann alle Fragen und Angelegenheiten erörtern, die in den Rahmen dieser Charta fallen oder Befugnisse und Aufgaben eines in dieser Charta vorgesehenen Organs betreffen; vorbehaltlich des Artikels 12 kann sie zu diesen Fragen und Angelegenheiten Empfehlungen an die Mitglieder der Vereinten Nationen oder den Sicherheitsrat oder an beide richten.

Artikel 11

(1) Die Generalversammlung kann sich mit den allgemeinen Grundsätzen der Zusammenarbeit zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit einschließlich der Grundsätze für die Abrüstung und Rüstungsregelung befassen und in Bezug auf diese Grundsätze Empfehlungen an die Mitglieder oder den Sicherheitsrat oder an beide richten.

(2) Die Generalversammlung kann alle die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit betreffenden Fragen erörtern, die ihr ein Mitglied der Vereinten Nationen oder der Sicherheitsrat oder nach Artikel 35 Absatz 2 ein Nichtmitgliedstaat der Vereinten Nationen vorlegt; vorbehaltlich des Artikels 12 kann sie zu diesen Fragen Empfehlungen an den oder die betreffenden Staaten oder den Sicherheitsrat oder an beide richten. Macht eine derartige Frage Maßnahmen erforderlich, so wird sie von der Generalversammlung vor oder nach der Erörterung an den Sicherheitsrat überwiesen.

Wir lesen: Die Vollversammlung kann sich befassen und sie kann Empfehlungen abgeben. Nichts weiter. Daraus folgt, dass ihre Beschlüsse nicht verbindlich sind, und das ist die allgemeine Auffassung in der Völkerrechtslehre. 

Völkerrechtlich bindend waren bislang laut UN-Charta nur die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, aber nachdem neulich der UN-Botschafter der USA die überraschend beschlossene Resolution zum Waffenstillstand im Gaza-Streifen prompt für nicht bindend erklärte, ist wohl selbst das nicht mehr unumstritten. 

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Übrigens, die im Statut des IGH erwähnten „Lehren der anerkanntesten Autoren der verschiedenen Völker“ sind nur Hilfsmittel, die das höchste Weltgericht berücksichtigen darf, nicht muss. Nicht dass der in Köln bestellte Sachverständige sich erdreistet, seine Person zur höchsten Autorität im Völkerrecht zu erklären. Auch seine Meinung ist nur eine Meinung wie jede andere, völlig unabhängig von seinem innerstaatlichen Rang und dem Ausmaß seines Egos. 

Was ist dann also die höchste Autorität im Völkerrecht, die berufen ist den Rechtsfrieden zu schaffen, den anschließend – und keineswegs davor – sich das deutsche Strafgesetzbuch erdreisten darf zu schützen? Das obige Zitat aus seinem Statut deutet es schon an: Es ist der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen.

Der IGH hat aber noch nichts zu der völkerrechtlichen Einordnung der russischen Intervention in der Ukraine gesagt. Seine dieses Jahr verkündeten Entscheidungen in Klageverfahren der Ukraine gegen Russland zeigen nur eines: dass nichts so eindeutig ist, wie es dem autoritär agierenden deutschen Mainstream erscheint.

Vor allem hat der IGH die russischen Behauptungen des Völkermordes in der Ukraine nicht prima facie zurückgewiesen, wie es Kiew wollte, und wird sich in den nächsten Jahren mit den Argumenten und Beweisen Russlands befassen. Allein die Tatsache, dass die Ukraine Donezk über Jahre und bis heute von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten hat (das haben die deutschen Medien natürlich nicht berichtet, es wird dadurch jedoch nicht weniger wahr), wird Kiew ins Schwitzen bringen. Von dem jahrelangen rein terroristischen Beschuss von Zivilisten im Donbass, Äußerungen ukrainischer Beamter und Politiker bis hin zu Präsident Selenskij, die Vertreibung und Vernichtung ankündigten, ganz zu schweigen. 

Dem IGH stehen viele Jahre Factfinding bevor und wir werden in einem weiteren Artikel in den nächsten Tagen anreißen, warum Russlands Intervention mit einem hohen Grad an Sicherheit völkerrechtlich gerechtfertigt ist. Ich verstehe jedoch nicht, warum der Kölner Richter – Richter müssen schon zum Selbstschutz faul sein – die Arbeit des einzig dazu berufenen internationalen Spruchkörpers vorwegnehmen will. Warum er vom einfachen deutschen Strafverteidiger einen Vortrag zu Russlands Argumentation fordert, der notwendigerweise mehrere Tausend Seiten umfassen müsste. Will er auch Tausende Zeugen aus Donezk und Lugansk vernehmen, Militärexperten beiziehen, klassifizierte Unterlagen in Washington anfordern?

Sein Job heute ist wesentlich leichter als er denkt. Er besteht darin zu sagen: In diesem Stadium – solange der IGH nicht abschließend geurteilt hat – sind kontroverse Diskussionen zulässig, stören den nicht vorhandenen (Rechts)Frieden nicht und unterfallen deshalb schon tatbestandlich nicht § 140 Nr. 2 StGB. Von Artikel 5 Grundgesetz sind sie ohnehin geschützt, dazu braucht er hoffentlich keinen Verfassungsrechtler als Sachverständigen.

Na klar, Mut braucht es dazu angesichts der neuen deutschen Staatsräson … 

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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.

Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.

Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.





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Von Veri

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