Eine neue EU–Klimaschutzverordnung zwingt europäische Unternehmen, bei der Einfuhr bestimmter Rohstoffe einen CO2-Zoll zu bezahlen. Brüssel will damit den Einfluss und Druck auf die Welt erhöhen, damit auch dort das Klima geschützt wird. Bestraft wird am Ende vor allem die deutsche Industrie.

von Zan Blagojević

Brennende Wälder, bösartige Viren, hunderttausende Menschen sterben den Hitzetod. Der Klimawandel habe das Potenzial, „Europa auseinanderzureißen“. In altbekannt dystopischer Manier erschien kürzlich dieses Fazit im Klimabericht der Europäischen Umweltagentur (EEA). Das Klima müsse so schnell wie möglich gerettet werden, CO2–Neutralität bis 2050 ist das Ziel. Die führenden Köpfe in Brüssel sehen den Report der EEA – also ihrer eigenen Institution – als Aufruf zum Handeln.

Auch deshalb stimmten am 18. April vergangenen Jahres 487 EU-Abgeordnete für die sogenannte CBAM-Verordnung. CBAM steht für Carbon Border Adjustment Mechanism und bedeutet übersetzt CO2-Grenzausgleichssystem. Es handelt sich hierbei wieder um eine neue Verordnung, eine weitere bürokratische Hürde, die einen schönen Namen und trägt und weder im öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch in den etablierten Medien kritisiert wurde, gar Beachtung fand. Schleichend wird mit ihr die regulatorische Schlinge um den Hals der deutschen Industrie immer weiter zugezogen.

Denn CBAM hat es in sich: Europäische Unternehmen sollen ab 2026 Klimazölle entrichten, wenn sie bestimmte Rohstoffe aus einem Drittland (Nicht-EU-Land) importieren. Betroffen sind zunächst nur Kernrohstoffe für die Industrie, bei deren Herstellung viel Kohlenstoffdioxid in die Luft gelangt, wie etwa bei Eisen, Stahl, Aluminium, Strom, Wasserstoff, Zement oder Dünger. Später soll die Liste ausgeweitet werden und ganze Industrieprodukte betreffen. Geradezu lächerlich ist die Tatsache, dass die heimischen Unternehmen diesen Klimazoll entrichten müssen, anstatt die ausländischen. Bekannterweise heiligt für die Europäische Union der Zweck jedes Mittel, denn Ziel dieser Maßnahme soll sein, dass sogenannte Kohlenstofflecks geschlossen werden.

Europäische Konzerne, die in Europa energieintensiv produzieren, müssen aktuell über den Emissionshandel (EU ETS) Zertifikate kaufen, damit sie die Erlaubnis haben, Emissionen zu erzeugen. Jedoch können sich die europäischen Firmen energieintensive Rohstoffe und Vorprodukte auch aus dem Ausland liefern lassen, sodass in der heimischen Produktion weniger CO2 ausgestoßen wird – und weniger CO2-Abgaben gezahlt werden. Allerdings verlagert sich der Schadstoffausstoß in andere Teile der Welt, möglicherweise in Länder mit weniger strengen Umweltauflagen, wie beispielsweise Indien, Brasilien oder China. Diese Lecks sollen nun geschlossen werden. So kommen europäische Unternehmen in naher Zukunft nicht drum herum, auch bei der Einfuhr von Rohstoffen eine Klimaabgabe zu bezahlen.

EU-Kommission will überwachen und bewerten

Die Einzelheiten der CBAM-Verordnung wurden den europäischen Firmen in einem rund 266-Seiten langem Leitfaden der EU-Kommission präsentiert, brav übersetzt auf Englisch, Arabisch und Hindi. Chinesisch soll folgen. Insgesamt werden durch die Verordnung rund 240.000 Außenhandelstransaktionen pro Jahr betroffen sein, etwa 650 täglich. Dazu sollen die Klimazölle nach und nach auf alle Industriegüter ausgeweitet werden. In einem einfachen Maschinenbauteil bestehend aus vielen Schrauben und Muttern, muss demnach jede einzelne Komponente dieses Bauteils detailliert nachweisbar sein – wie es hergestellt wurde und wieviel CO2 dabei emittiert wurde.

Ein Auto beispielsweise, welches etwa eine Tonne wiegt, trägt über 600 Kilogramm Stahl in sich und besteht aus etwa 10.000 Einzelteilen. Somit wird CBAM allmählich immer mehr das Tagesgeschäft in europäischen und deutschen Konzernen übernehmen und die ohnehin schon überdimensionalen Compliance-Abteilungen weiter aufblasen. Die Dokumentationspflicht im Rahmen der Verordnung gibt es schon seit vergangenem Oktober – geschmückt mit dem Begriff der Transparenz, jedoch nur ein weiterer Mechanismus, der Wirtschaft immer mehr auf die Finger zu schauen.

Bis zum kommenden August sind Schätzungen des CO2-Ausstoßes in der Produktion dieser Rohstoffe erlaubt, dann ist eine genaue Prüfung verpflichtend. Diese ist mit enormem Aufwand verbunden: Unternehmen berichten von bunten Excel-Tabellen mit tausenden Spalten und Zeilen und intensiven Diskussionen mit den Handelspartnern im Ausland. Die Anreizstruktur verändere sich, da ausländische Unternehmen möglichst wenig Dokumentationsaufwand betreiben wollen.

In China beispielsweise gibt einen freiwilligen CO2-Zertifikatehandel, in Indien gar keinen. Brüssel bereichert sich also an dreckiger Produktion im Ausland – und die eigenen Unternehmen sollen dafür geradestehen. „Die Kommission wird Überwachungs- und Bewertungsregelungen für das CO2-Grenzausgleichssystem einführen, einschließlich Maßnahmen gegen Betrug, und diese im Einklang mit den politischen Zielen evaluieren.“, heißt es in der Verordnung. Wenn ausländische Exporteure sich also weigern, ihren CO2-Ausstoß zu prüfen und dokumentiert an die europäischen Firmen zu übergeben, dann drohen den unseren eigenen Unternehmen saftige Strafen.

Protektionismus statt Freihandel

Inmitten aktueller Diskussionen um Wettbewerbsverzerrungen und möglicher Zölle gegen chinesische Konzerne (insbesondere Automobilhersteller), bemüht sich die Europäische Union eigentlich um Freihandelsabkommen. Erst kürzlich trat ein neuer Deal mit Neuseeland in Kraft. Vor allem aber rückt der sogenannte Globale Süden als Interessenssphäre zunehmend in den Fokus der Europäischen Union. Im Handel mit Ländern wie beispielsweise Argentinien, Brasilien oder Indonesien, sollen immer mehr Barrieren abgebaut werden, Zölle heruntergeschraubt werden.

Von der Vorstellung getrieben, allein in Europa und insbesondere in Deutschland lasse sich das Weltklima retten, sind diese Freihandelsabkommen mit Ländern der dritten Welt allerdings mit großen Umweltauflagen verbunden – mehr Regenwaldschutz in Südamerika oder weniger Verbrauch von Palmöl in Indonesien. Das wird in diesen Regionen oft als übergriffig empfunden: Brasilien bezeichnete zuletzt das europäische Engagement als „grünen Neokolonialismus unter dem Deckmantel des Umweltschutzes.“ Der Präsident von Paraguay Santiago Peña wies zuletzt in Verhandlungen die Wünsche der EU als „inakzeptabel“ zurück, sie sollten auf „Eis gelegt werden.“

Unabhängig der Wortwahl südamerikanischer Diplomaten haben sie in der Sache recht, denn Freihandel hat bekannterweise einen positiven Wohlstandsfaktor, sowohl für das Exportland als auch für das Importland – und reduziert wirtschaftliche Abhängigkeiten. Stattdessen nimmt die EU-Kommission Ermittlungen gegen europäische Konzerne entlang der gesamten Wertschöpfungskette auf und stellt sie somit unter Generalverdacht, den CO2-Zertifikatehandel zu umgehen. Die Einführung der CBAM-Verordnung stellt außerdem eine Doppelbelastung dar, weil die eigenen Konzerne nun sowohl bei Exporten als auch bei Importen den CO2-Preis bezahlen müssen.

Doch das Klima lässt sich damit nicht retten: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung zeigt in einer Szenariorechnung, dass ohne die CBAM-Maßnahme weltweit etwa 3 Prozent der Treibhausgase eingespart werden können – mit CBAM gerade einmal 3,3 Prozent. „Daher kann ein klimapolitischer Alleingang der EU die globalen Emissionen nicht substanziell senken.“, heißt es in der Studie. Auch die Asiatische Entwicklungsbank kommt zum gleichen Ergebnis und teilt mit, CBAM schade den Entwicklungsländern und führe wahrscheinlich nicht zu einer nennenswerten CO2-Reduktion.

EU-Funktionäre und auch deutsche Politiker interessiert das recht wenig, denn „CBAM ist eine Möglichkeit, entsprechend Einfluss zu nehmen. Unser Hebel ist größer, als manche denken.“, sagte Grünen-Abgeordneter Anton Hofreiter am 23.07.2023 in einem Interview mit der Welt. Dieser Hebel ist das Werkzeug einer besorgniserregenden Entwicklung, hin zu einer planwirtschaftlichen und zentral aus Brüssel gesteuerten Wirtschaft. Denn es war die Politik, auf dessen Initiative seit der Abkoppelung von russischer Energie vermehrt Gas aus Indien oder anderen Ländern importiert wird – für einen viel höheren Preis und längeren Transportrouten durch das Rote Meer, die am Ende zu mehr Umweltschäden führen.

Die gesamte grüne Transformation – das Beharren auf den Ausbau erneuerbarer Energien, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen für insbesondere die energieintensive Industrie Deutschlands – ist mit einfachsten ökonomischen Gesetzen nicht vereinbar: Der Ausbau erneuerbarer Energien hat dazu geführt, dass ihr Preis immer weiter sinkt. Diese Preisentwicklung signalisiert der Wirtschaft, dass noch mehr in Wind und Solar investiert werden muss – die Nachfrage steigt. Im gleichen Zuge sinkt logischerweise die Nachfrage für fossile Energieträger, für Öl und Gas.

Die Organisation der Ölkartelle (OPEC) – einige Mitglieder sind Europa gegenüber natürlich nicht freundlich eingestellt – wird dann die Fördermenge erhöhen und den Preis senken. Aufstrebende Schwellenländer wie die BRICS-Staaten rund um China, Indien oder Brasilien werden nun günstiger und umweltschädlicher produzieren – wofür letztlich unsere eigenen Konzerne blechen müssen.

Die verheerenden Folgen für Deutschland

„CBAM sorgt für faire Wettbewerbsbedingungen bei der klimafreundlichen Grundstoffproduktion in der EU“, heißt es in einer Pressemitteilung des Umweltbundesamtes, der zentralen Behörde für Umwelt und Klimaschutz in Deutschland. „Ziel ist es, die Bedingungen für die Produktion inner- und außerhalb der EU anzugleichen.“ Anmaßend und naiv versucht die EU-Kommission die chinesische oder indische Wirtschaft ebenfalls zu einer grünen Tranformation zu drängen. Diese sind jedoch teils staatlich gelenkt und haben in erster Linie das Ziel, möglichst viele Menschen aus der Armut in den Mittelstand zu befördern, notfalls mit brauner Energie. Die fehlerhafte Anreizstruktur zwischen den Handelspartnern und das Drangsalieren der Regulierer aus Brüssel wird am Ende vor allem die deutsche Wirtschaft treffen.

Als größte Volkswirtschaft Europas und drittgrößte weltweit ist unsere Industrie vom Außenhandel abhängig. Im vergangenen Jahr hat die deutsche Wirtschaft Waren und Güter im Wert von fast 1,6 Billionen Euro exportiert – das sind über 60 Prozent des gesamten EU-Außenhandels und fast dreimal so viel wie Frankreich. Deutschland importiert so viele Waren und Güter, wie der gesamte Rest der Europäischen Union. Im vergangenen Jahr waren es über 1,3 Billionen Euro.

Deshalb darf nicht vergessen werden, dass Deutschland im Gesamtbild der Weltwirtschaft immer noch exzellente Zahlen schreibt. Zur Erinnerung: China exportiert etwa doppelt so viel wie Deutschland, jedoch bei einer siebzehnfach größeren Bevölkerung. Die CBAM-Verordnung trifft deshalb auch auf große Kritik aus Wirtschaft und Industrie: „Was Brüssel da erschaffen hat ist ein Bürokratie-Godzilla“, sagte einst ein Mitarbeiter vom drittgrößten Chemie– und DAX-Konzern Evonik. CBAM sei eine „kaum zu bewältigende Aufgabe.“

Die Kosten für Regeltreue (Compliance) seien jetzt schon exorbitant hoch und werden sicherlich nicht sinken, wenn ab kommenden August eine genaue Prüfung der emittierten Treibhausgase bei der Produktion ermittelt und berichtet werden muss. Dazu kommt eine Erschwerung von Finanzierungsmöglichkeiten am Kapitalmarkt: Unternehmen, die abhängig sind von Rohstoffen aus dem außereuropäischen Ausland werden Schwierigkeiten bekommen, ESG-Kriterien zu erfüllen und somit im Zuge von schwachen Ratings (Bewertungen) schwerer an Fremdkapital kommen.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Prof. Dr. Gunther Friedl von der Technischen Universität München. „Mit der schrittweisen Ausweitung der EU-Gesetzgebung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung werden neben den Großunternehmen auch kleine und mittelständische Unternehmen bereits durch ihre Rolle als Zulieferer mittelbar immer weitreichendere Transparenz- und Berichtspflichten erfüllen müssen.“ Das macht es für Banken unattraktiver, Kredite zu vergeben, sollte die Nachhaltigkeitsberichterstattung ungenügend sein.

Die Unsicherheit, ausländische Zulieferer würden sich weigern Nachhaltigkeit penibel zu dokumentieren, wird sicherlich zu einem Risikoaufschlag bei deutschen Importeuren führen und die Preise für Zwischenprodukte steigen lassen. Die Inflation könnte weiter steigen. Ebenfalls ist zu vermuten, dass weniger Produkte importiert werden, auf die die deutsche Industrie angewiesen ist. Dann können auch Engpässe drohen.

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Von Veritatis

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