In der Geopolitik gibt es kein Recht oder Unrecht, nur Realpolitik und Machtspiele. Opfer oder Täter? Das entscheidet der Sieger des Informationskriegs. Wer vollendete Tatsachen schafft, hat schon fast gewonnen. Unabhängig davon, wie groß die Unterstützung oder der Widerstand auf der Weltbühne ist. Durchsetzungsfähigkeit und Resilienz sind alles.

Ein Kommentar von Heinz Steiner

Wenn es um den Krieg in der Ukraine oder um den aktuellen Gaza-Konflikt geht, wird einem die Polarisierung der Gesellschaft deutlich vor Augen geführt. Im Falle der ehemaligen Sowjetrepublik dominiert in Deutschland die transatlantische Sichtweise, während in Sachen Gaza die Konservativen und Rechten vor allem Israel unterstützen und die politische Linke sich eher auf die Seite der Palästinenser stellt. Neutrale, bzw. ausgeglichene Sichtweisen sind selten. Warum? Weil die ganzen Debatten vor allem auf der moralischen Ebene geführt werden und nüchterne, sachliche Betrachtungen keinen Platz (mehr) haben. Dabei wäre es wichtig, die geopolitischen Tatsachen zu benennen.

Nehmen wir das Beispiel der Ukraine. Auch wenn man darüber wohl ein ganzes Buch schreiben könnte, versuche ich es ein wenig zu simplifizieren. Die ehemalige Sowjetrepublik war seit der Unabhängigkeit 1991 mehr oder weniger politisch in zwei Hälften geteilt. Der von ethnischen Ukrainern dominierte Westen und Norden orientierte sich nach Brüssel und Washington, der stärker russische geprägte Südosten und Osten nach Moskau. Ein gespaltenes Land mit sich abwechselnden kleinen Mehrheiten nach Ost und West, welches kollabieren musste. Der vom Westen unterstützte Regime Change infolge der Maidan-Proteste 2013/2014 sorgte dann für die Rückkehr der Krim zu Russland, zur Separation des Donbass und schlussendlich zum russischen Einmarsch 2022. Ein proaktives Handeln Moskaus, zumal man in den östlichen und südöstlichen Oblasten Fakten schaffen wollte, bevor die vom Westen unterstützte nationalistische Führung in Kiew dazu kam.

Unabhängig davon, mit welcher Seite man sympathisiert, verdeutlicht das russische Vorgehen nur, dass man mit der Schaffung von neuen Fakten einer alten Erfolgsstrategie folgt. Als man das Kosovo gegen den Willen Belgrads von Serbien abtrennte und die Unabhängigkeit zusprach, wurden auch neue Fakten geschaffen. Das war ebenfalls eine von größeren Mächten aufgezwungene Machtpolitik. Russland macht es mit der Krim und dem Donbass ähnlich – und verhindert dadurch auch einen NATO-Beitritt des Nachbarlandes. Solange offene Grenzkonflikte bestehen, kann die ehemalige Sowjetrepublik dem Militärbündnis nämlich nicht beitreten. Kiew müsste offiziell auf die von Russland besetzten Gebiete verzichten und einen Friedensvertrag schließen, um so den Weg in die NATO freizumachen. Moskau hat damit zwei Ziele erreicht: Erstens können die ukrainischen Nationalisten ihren Kampf gegen die russische Minderheit im Donbass nicht mehr fortführen und zweitens wird das Nachbarland so schnell nicht in die NATO aufgenommen, was die Stationierung von US-Raketensystemen nur wenige hundert Kilometer vor Moskau verunmöglicht.

Im Falle des Israel-Palästina-Konfliktes ist die Lage etwas komplizierter. Beide Seiten pflegen gerne eine Opferrolle, obwohl sie beide sowohl Opfer als auch Täter sind. Israel sieht sich seit seiner Staatsgründung existenziellen Bedrohungen gegenüber, führt jedoch in den Palästinensergebieten eine expansive Siedlungspolitik durch, welche schleichend (durch die Hintertüre) neue Fakten schafft und zur Vertreibung der dort ansässigen arabischen Bevölkerung führt. Die Palästinenser wiederum unterstützen islamistische, antiisraelische Terrororganisationen, die als legitimes Mittel gegen die israelische Besatzung betrachtet werden. Mehr Gewalt und Zerstörung führt zu einer wachsenden Radikalisierung und zu mehr Unterstützung dieser Kräfte in ihren jeweiligen Bevölkerungen. Für die Hardliner ist jede Aktion samt Gegenreaktion ein Segen, weil dies den Hass schürt und die eigenen Positionen stärkt. Todesopfer unter der Zivilbevölkerung werden dabei willentlich in Kauf genommen, weil dies „der Sache“ dient. Kollateralschäden für den erhofften Endsieg.

Im Wertewesten wird die Diskussion jedoch vor allem auf moralischer Ebene geführt. Für die (christlich-religiöse) Rechte steht Israel vor allem auch für den Kampf gegen den Islam und die Islamisierung und für die Demokratie und für die Freiheit. Die (von Moslems unterwanderte) Linke hasst hingegen ohnehin ethnische Nationalstaaten und sieht in Israel eine unterdrückerische Kolonialmacht. Doch am Ende sorgen die toxischen Narrative beider polarisierender Seiten dafür, dass eine nachhaltige und allen Seiten dienende Lösung des Konflikts in immer weitere Ferne rückt.

Auf Basis von Real- und Machtpolitik gibt es zur Lösung dieses seit Jahrzehnten andauernden Problems nur wenige nachhaltige Möglichkeiten. Keine dieser Optionen kann jedoch auf Basis moralischer Befindlichkeiten durchgeführt werden, sondern rein auf Grundlage von Macht und Gewalt. Israel kann nur dann Frieden finden, wenn es entweder den Gazastreifen und das Westjordanland durch eine exzessive Vertreibungspolitik (ähnlich wie in den ostdeutschen Gebieten nach dem Zweiten Weltkrieg) komplett ethnisch säubert, oder aber diese Gebiete offiziell annektiert und sämtlichen alteingesessenen Bewohnern die israelische Staatsbürgerschaft mit allen Rechten und Pflichten anbietet. Für die Palästinenser hingegen bleibt lediglich die Option, die arabischen Nachbarn auf ihre Seite zu ziehen und die Israelis mit militärischer Gewalt zu vertreiben. Für beide Seiten gilt, dass nur die Schaffung von Fakten den Konflikt beenden kann.

Macht bricht Recht: Moralinsaure Debatten führen zu nichts

Wir dürfen nicht vergessen, dass auf der Weltbühne das Prinzip „Macht bricht Recht“ gilt. Washington hat es (zusammen mit der NATO und anderen Verbündeten) in den letzten Jahrzehnten immer wieder vorgezeigt. Die ganzen endlosen Kriege kommen nicht von ungefähr. Die Brutkastenlüge und die offenen Lügen über die angeblichen Massenvernichtungswaffen in Saddam Husseins Irak sind altbekannt. Teile Syriens werden heute noch entgegen dem Völkerrecht von US-Truppen besetzt. Aber wen interessiert das schlussendlich? Niemanden. Ein unabhängiges Kosovo? Ist halt so. Auch die russische Krim und der Anschluss der Ostukraine an Russland werden früher oder später einfach akzeptiert werden. Neue Regierungen nach Putschen und vom Ausland initiierten Regime Changes? Damit muss man klarkommen. So funktioniert die politische Weltbühne nun einmal.

Grenzen verschieben sich, Staaten kommen und gehen – oder zerfallen bzw. werden zerschlagen. Eine Realität seit der Bildung von Staaten und Reichen, an der sich auch heute nichts geändert hat. Sehen Sie sich politische Weltkarten aus verschiedenen Jahrhunderten an – kaum ein Land der Welt hat unveränderliche Grenzen vorzuweisen. Doch anstatt dies zu akzeptieren, führt man in Deutschland hitzige moralinsaure Debatten über die Ukraine und den Gazastreifen. Schlussendlich spielen jedoch weder Moral noch „internationales Recht“ eine tragende Rolle. Es geht nur um Macht und die Durchsetzung der Interessen der involvierten Parteien. Der Stärkere gewinnt, weitestgehend unabhängig davon, wie stark die Unterstützung auf der Weltbühne tatsächlich ist.



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Von Veritatis

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