Die Umfrage ging in den sozialen Medien herum: 21 Prozent der Deutschen wünschen sich mehr weiße Spieler in der Nationalmannschaft, und 17 Prozent finden es schade, dass der Kapitän der Mannschaft türkische Wurzeln hat. Die Mannschaft antwortet klar und entrüstet. Joshua Kimmich findet schon die Fragestellung rassistisch, und Trainer Julian Nagelsmann will nie wieder etwas von so einer „scheiß Umfrage“ hören. Dabei verbergen sich hinter diesem Fünftel der Befragten all jene gar nicht so ewig Gestrige, die eine relativ junge Wandlung zu einem multiethnischen Deutschsein ablehnen – was uns längst bekannt sein sollte.
Eigentlich war die Umfrage Teil eines Dokumentarfilms der ARD zur Fußball-Europameisterschaft mit dem Titel
t bekannt sein sollte.Eigentlich war die Umfrage Teil eines Dokumentarfilms der ARD zur Fußball-Europameisterschaft mit dem Titel „Einigkeit und Recht und Vielfalt“, in dem deutsche Nationalspieler mit Migrationshintergrund zu Wort kommen. Ihre Geschichten werden erzählt, und auch ihre Erfahrungen mit Rassismus. Dazu dann die Umfrage, die losgelöst von der Doku eine ganz andere Wirkung entfaltete. Die meisten reagierten schockiert.Dieses Schockiertsein wird zu einem Dauerzustand – warum eigentlich? Es ist nicht lange her, da stand die teils rechtsextreme AfD selbst bundesweit bei über 20 Prozent. Mindestens so groß ist der Teil der Bevölkerung, der die Verwandlung Deutschlands von zu einer offen multiethnischen Nation mit einem ablehnenden Unbehagen begleitet. Dieses Fünftel ist auch nicht glücklich mit dem, was im Fußball als Deutschland symbolisiert wird. Wer wissen will, wie dieses Fünftel tickt, kann sich die Kommentarspalten auf Bild.de durchlesen: Hier wenden sich viele resigniert von der Nationalmannschaft ab. Für sie ist das multiethnische Zusammenleben tatsächlich eine neue Entwicklung. Absurd?Noch 2006 behauptete die CDU: „Deutschland ist kein Einwanderungsland“Immerhin sind wir das Land, in dem Wolfgang Schäuble noch 2006 in Angela Merkels CDU den Satz losließ: „Wir waren nie ein Einwanderungsland und wir sind’s bis heute nicht“. Wir sind das Land, in dem bis Anfang der 1990er Jahre in fast jedem Stadion rassistische Sprechchöre zum Alltag gehörten. In dem noch bis vor einer Generation die Mehrheitsgesellschaft davon ausging, die Migranten seien hier Ausländer zu Besuch und gingen irgendwann wieder. Das Land, in dem noch vor nicht langer Zeit viele Orte für Migranten „no go areas“ waren.Ich erinnere mich noch gut, wie Anfang der 1990er der Bahnhof von Dortmund für uns Kids abends zu gefährlich war. Heute ist am Bahnhof von Dortmund spätabends fast nur noch migrantische Jugend anzutreffen, so wie auch in jeder Fußgängerzone, egal, in welchem noch so kleinen urbanen Zentrum Deutschlands. Diese Wandlung vollzog sich schnell, innerhalb gerade mal einer Generation.Während die große Mehrheit diesen Wandel als bereichernd ansieht und für die ein Deutschland ohne diesen Wandel nicht mehr vorstellbar ist, sind es nicht wenige, die sich eigentlich etwas anderes wünschen – und wenn sie mal betrunken unter sich sind, lauthals „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ rufen.Sami, Miroslav und Mesut: Vorreiter des multiethnischen Deutschseins66 Prozent, besagt die Umfrage der ARD, freuen sich darüber, dass mehr Menschen mit Migrationshintergrund in der Nationalmannschaft spielen. So herrscht in den Kommentarspalten sogar konservativer Medien wie dem Focus weitgehende Einigkeit, dass für die Nationalmannschaft Leistung zählt, und nicht die Hautfarbe. Deutschland häutet sich um, und dieser Wandel ist unaufhaltsam und unumkehrbar.Fußball ist dabei ein, wenn nicht sogar der Vorreiter einer multiethnischen Gesellschaft. In den zehntausenden Fußballclubs kommen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammen. Sie arbeiten, kämpfen, leiden und feiern zusammen. In der Kabine zählt die Hautfarbe nicht, das hören wir immer wieder von den Stars der Nationalmannschaft. Über die ethnisch-kulturellen Unterschiede hinweg entsteht eine gemeinsame Identität des Teams im Verein. Hier wird das neue Bild einer transkulturellen Gesellschaft sichtbar und tagtäglich erlebt.Bei der symbolischen Repräsentation war Fußball (neben der Popkultur) der erste Ort, wo vor einem breiteren Publikum Menschen anderer Ethnien als deutsch präsentiert, repräsentiert und wahrgenommen wurden. Dies begann beim Sommermärchen der WM 2006 und war mit dem WM-Sieg 2014 vollendet: Spätestens dann war es auch den Letzten hier und weltweit klar, dass deutsche Menschen auch Sami, Miroslav und Mesut hießen.Der DFB: Zwischen CDU-Leitkultur und MultikultiDabei war der Deutsche Fußball Bund DFB fast immer von Konservativen angeführt: Von Leuten aus einer CDU, die als Staatspartei das Märchen eines, wenn nicht monoethnischen, dann doch monokulturellen, von der christlichen Leitkultur bestimmten Deutschlands bis noch vor gar nicht so langer Zeit als Staatsräson vertrat. Aber am Ende, in der alltäglichen Arbeit des Vereinsalltags, und in der symbolischen Repräsentation eines transkulturellen Teams, leistete der DFB mehr für die multiethnische Harmonie und Anerkennung der Migranten als alle Bundesregierungen nach 1945 zusammen.Also sollte diese Umfrage uns nicht schockieren. Das neue Deutschland und das neue Deutschsein waren und bleiben umkämpft. Die aktuelle Auswahl des DFB ist ein Schlaghammer auf das verkrustete Bild eines weißen Deutschlands, das zwar längst Geschichte ist, aber in vielen Köpfen noch weiter als rassistisches Motiv weiterbesteht.Spannend war in der Umfrage übrigens die Parteipräferenz bei den Antworten. Natürlich war die AfD die Partei Nummer 1 unter der „wir wollen mehr Weiße“-Fraktion, aber nur etwa die Hälfte ihrer Wähler stimmten dafür – die andere Hälfte nicht. Diese Hälfte ist also noch erreichbar, und jeder Erfolg dieses Teams treibt sie hoffentlich ein kleines Stück weg von dem völkischen Wahn eines weißen Deutschlands.