Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger
Bekanntlich bin ich kein Freund der Unions-Parteien, und solange sie nicht einen klaren und eindeutigen Bruch mit der verheerenden Merkel-Zeit vorgenommen haben, wird sich daran auch nichts ändern. Dennoch gilt auch für sie der Satz, dass eine Aussage unabhängig von ihrem Urheber und nur nach ihrem Inhalt zu bewerten ist. Würde beispielsweise Robert Habeck den Entschluss fassen, die Entwicklung der Kernenergie in Deutschland zu fördern, wäre man gut beraten, ihn dabei zu unterstützen und die Idee nicht schon deshalb abzulehnen, weil sie von der falschen Seite kommt – wie alle wissen oder wissen könnten, sind von dieser Seite allerdings keine vernünftigen Vorschläge zu erwarten, das Beispiel wird für immer ein fiktives bleiben.
Nun hat im Mai die Unionsfraktion im Bundestag einen Antrag zur Bekämpfung des politischen Islams vorgelegt, und obwohl ihn Friedrich Merz und Alexander Dobrindt unterschrieben haben, ist er einen Blick wert. In der Einleitung wird von den „Zusammenkünften und Aufzügen“ gesprochen, „bei denen die Abschaffung unserer freiheitlichen Demokratie zugunsten eines islamischen Kalifats und der Einführung der Scharia gefordert wurde“. Man stellt fest, dass „Aufrufe zu Gewalt, Gewaltverherrlichung, antisemitische Hetze und Forderungen nach der Errichtung eines Kalifats und der Einführung der Scharia als Rechtssystem in Deutschland“ dabei keine Seltenheit sind, und moniert: „Kritische Stimmen, die bereits seit Jahren vor einer sich ausbreitenden Radikalisierung in Deutschland lebender Muslime warnten und warnen, wurden von der Bundesregierung systematisch ausgegrenzt.“ All das mündet in der Forderung an die Bundesregierung, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der diesen Tendenzen entgegen tritt.
Die wesentlichen Punkte des geforderten Entwurfs hat die Bundestagsverwaltung recht treffend zusammengefasst, weshalb ich mich hier auf das Zitieren der amtlichen Mitteilung beschränken darf. „In dem Antrag forderte die Unionsfraktion, dass sich künftig strafbar macht, wer – etwa durch die Forderung eines islamistischen Gottesstaates – öffentlich zur Abschaffung der freiheitlich demokratischen Grundordnung aufruft. Auch sah der Antrag vor, dass die betreffende Person in einem solchen Fall die deutsche Staatsangehörigkeit verliert, sofern sie noch eine weitere Staatsangehörigkeit besitzt.
Ein von der Bundesregierung geforderter Gesetzentwurf sollte nach den Vorstellungen der Unionsabgeordneten gleichzeitig regeln, dass im Falle der öffentlichen Forderung nach einem islamistischen Gottesstaat eine zwingende Regelausweisung eingeführt wird, die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu versagen ist und Leistungsansprüche im Asylbewerberleistungsgesetz und im Sozialrecht erlöschen. Zudem forderte die CDU/CSU in dem Antrag die Bundesregierung unter anderem auf, Vereine und Organisationen zu verbieten, die in Deutschland ein islamistisches System errichten möchten.“
Ich sehe mich nicht in der Lage, diesen Vorschlägen trotz ihrer zweifelhaften Herkunft zu widersprechen. Wer laut nach dem Kalifat schreit, sollte erstens die Folgen dafür tragen und hat zweitens die Staatsbürgerschaft eines Landes, dessen grundlegende Prinzipien er verabscheut und abschaffen will, abzugeben. Es erschließt sich auch nicht, warum er sich überhaupt noch im Lande befindet und Sozialleistungen von eben diesem so sehr verachteten Staat bezieht. Dass man auch die entsprechenden Organisationen, „die in Deutschland ein islamistisches System errichten möchten“, ihrer Wirkungsmöglichkeiten berauben will, ist nur zu verständlich.
Jeder des Lesens Kundige konnte verstehen, dass es in diesem Antrag nicht um solche Muslime geht, die sich im Rahmen der deutschen Gesetze bewegen und nicht auf der Straße nach einem Kalifat schreien, sondern mit ihrer Religion niemanden sonst belästigen. Es geht nur um Radikalislamisten, die nichts Besseres zu tun haben, als die „Abschaffung der freiheitlich demokratischen Grundordnung“ – sofern sie überhaupt noch existiert, aber das ist ein anderes Thema – aus sich heraus zu schreien. Allem Anschein nach zeigt sich aber inzwischen, wie sehr Franziska Brantner, parlamentarische Staatssekretärin im Ministerium für Wirtschaftsabbau und Klimaillusionen, doch recht hatte, als sie im Oktober 2023 meinte: „Selbst wenn eine deutsche Staatsbürgerin oder Staatsbürger des Lesens nicht mächtig sein sollte, hat er alle Möglichkeiten, auch in diesem Deutschen Bundestag zu sein, weil wir hier eben nicht darauf setzen, dass jemand irgendeine Art von Bildungsabschluss haben muss.“
Dass es mit den Bildungsabschlüssen im Bundestag nicht weit her ist, wissen wir schon länger. Dass aber selbst die Lesefähigkeit so schwach ausgeprägt ist, war mir bisher neu. Denn welche Redebeiträge bekam man im Hinblick auf den vorliegenden Antrag zu hören? Die erwähnte Zusammenfassung des Bundestages hat sie dokumentiert. Sebastian Hartmann von der SPD beispielsweise äußerte, man bekämpfe Extremismus gleich welcher Art „mit allen Mitteln“, aber man dürfe dabei „nicht über einen Kamm scheren“. „Es gebe in der Bundesrepublik Millionen Muslime, die rechtstreu seien und etwa in Sicherheitsbehörden oder Hilfsdiensten für diesen Staat einstünden. Daher müsse man mit dem Antrag der Union „kritisch ins Gericht gehen“. Während es der Union um Aktionismus gehe, handele die Regierungskoalition.“ Es war aber klar, dass hier keineswegs über einen Kamm geschert werden sollte, im Gegenteil: Die Autoren der Unionsfraktion haben in ihrem Antrag in einer für sie bemerkenswerten Klarheit herausgestellt, um wen und um was es ging: Hartmann hat es nur nicht verstanden oder durfte und wollte es nicht verstehen. Was er übrigens damit meinte, dass die Regierungskoalition im Hinblick auch auf islamischen Extremismus handle, ist nicht unmittelbar klar; es müssen wohl sehr geheime Handlungen gewesen sein, die bisher nicht ans Licht des Tages gedrungen sind.
Von ‚Musliminnen und Muslimen im Allgemeinen‘ hat kein Mensch gesprochen
Auch Lamya Kaddor von den Grünen, über die schon vor langer Zeit Henryk M. Broder ein freundliches Urteil gefällt hat, durfte sich zu Wort melden. Immerhin: Sie bezeichnete den Islamismus als „eine ernstzunehmende Bedrohung für die Menschen im Lande einschließlich der Muslime“, aber: „Anträge, die „ein schwieriges Verhältnis zu Musliminnen und Muslimen im Allgemeinen offenbaren“, könnten dabei nicht zum Ziel führen.“ Sie hat es auch nicht begriffen, wie oft muss man es noch sagen: Von „Musliminnen und Muslimen im Allgemeinen“ hat kein Mensch gesprochen. Doch sie kann es noch besser. „Die „permanente Anfeindung“, der man als Muslim ausgesetzt sei, könne dazu führen, „dass man sich von unserem Gemeinwesen abwendet“. Wachsende islamistische Radikalisierung und antimuslimischer Rassismus bedingten einander ein Stück weit. Die Komplexität des Themas zeige sich gerade bei dem Attentat von Mannheim, das sehr wahrscheinlich islamistisch motiviert gewesen sei.“ Der antimuslimische Rassismus – was immer das auch sein mag, bisher war mir nicht klar, dass Muslime eine eigene Rasse bilden – trägt einen Teil der Schuld, und wie es scheint, hat er auch bei dem widerlichen Anschlag von Mannheim eine Rolle gespielt, weil sich ja die Komplexität des Themas auch und gerade bei ihm zeige. Das Thema mag komplex sein, Kaddors Aussage darf man eher im unterkomplexen Bereich ansiedeln.
Wenden wir uns nun der dritten Ampelpartei und ihrer Vertreterin zu, nämlich Linda Teuteberg von der FDP. „Gebraucht werde konkretes Handeln. Dabei halte ihre Fraktion Maßnahmen wie die Schließung extremistischer Moscheen wie das Islamische Zentrum Hamburg für wichtig, ebenso wie Verbote von Vereinen wie „Muslim Interaktiv“. Gefährder und Straftäter müssten konsequent abgeschoben werden. Dabei erwarte ihre Fraktion, dass die Bundesregierung „alle Anstrengungen unternimmt, um jedenfalls Gefährder und Straftäter wieder nach Afghanistan abschieben zu können.“ Das klingt nicht übel, und fast möchte man glauben, dass ihre Fraktion der Union zustimmen werde. Und auch in ihren nächsten Sätzen wird sie keineswegs unklarer: „Auch müsse ohne Denkverbote über eine Erweiterung der Ausweisungsmöglichkeiten insbesondere bei der Billigung terroristischer Taten gesprochen werden. Ebenso sei die Terrorfinanzierung stärker in den Blick zu nehmen.“
Es kam, wie es kommen musste
Nun könnte der unbefangene Leser hoffen, dass sich wegen der unterschiedlichen Auffassungen zum Unionsantrag eine mittelgroße Kluft innerhalb der Ampelkoalition auftut, die in absehbarer Zeit zu ihrem Zerbrechen führen sollte. Es geht nichts über eine schöne Illusion. Irgendwann kam es nämlich zur Abstimmung, die so gestaltet war, dass es um die Ablehnung der Unionsvorlage ging und nicht um ihre Annahme. Wer also mit „Ja“ stimmte, der war gegen die Vorschläge der Union und wollte die Regierung nicht auffordern, die nötigen Gesetze zu erlassen, wer sich aber zum „Nein“ entschied, unterstützte den Antrag zur Bekämpfung des politischen Islams.
Es kam, wie es kommen musste. „In namentlicher Abstimmung votierten am Donnerstag, 6. Juni 2024, 406 Abgeordnete für die Ablehnung der Vorlage. 241 stimmten gegen die Ablehnung; daneben gab es eine Enthaltung.“ Mit deutlicher Mehrheit wurde die Vorlage abgelehnt. Glücklicherweise muss man es nicht bei dieser pauschalen Auskunft bewenden lassen, man kann sehr genau sehen, welche Fraktion wie entschieden hat. Die folgende Graphik zeigt, wie es war.
Wie schon erwähnt: Ja-Stimmen stehen für die Ablehnung der Vorlage, Nein-Stimmen für die Annahme. Union und AfD haben der Vorlage somit zugestimmt, sie waren für härtere Maßnahmen gegen den politischen Islam; dazu noch sieben fraktionslose Abgeordnete. Dass SPD und Grüne sie abgelehnt haben, war nicht überraschend, sie waren entweder nicht in der Lage, den Text zu lesen, oder zu verbohrt, um auch nur einen Millimeter von ihrer Ideologie abzurücken. Und die FDP hat wieder einmal ihr besonderes Talent gezeigt, große Worte zu machen und sich dann nicht daran zu halten, denn alle anwesenden FDP-Mitglieder stimmten für die Ablehnung der Vorlage, darunter auch der in Worten so widerspenstige Wolfgang Kubicki, der am Ende immer gern dabei ist, wenn es darum geht, treu zur Koalition zu stehen, und natürlich Linda Teuteberg, die im Verlauf ihrer Rede so klang, als hätte sie etwas verstanden.
Von den Linken will ich nicht reden, an sie ist jedes Wort verschwendet. Doch man sollte die Gruppe BSW nicht aus dem Auge verlieren, das „Bündnis Sahra Wagenknecht“, das geschlossen mit der ganzen Kraft seiner neun anwesenden Mitglieder die Vorlage ebenfalls im Nirwana verschwinden ließ. Eben jenes Bündnis, dessen Namensgeberin nicht müde wird, sich für eine Begrenzung der Migration auszusprechen und eine härtere Migrationspolitik einzufordern, weigert sich, einen Vorschlag anzunehmen, der wenigstens einen Teil der schlimmsten Auswirkungen unbegrenzter Migration einzudämmen versucht. Wagenknecht selbst war übrigens im Hause und hat mitgestimmt. Glaubwürdigkeit geht anders. Wer meint, er müsste ihre Partei dennoch wählen, soll es tun, darf sich dann aber nicht über die Folgen wundern.
So geht es zu im Deutschen Bundestag: Abgeordnete, die nicht in der Lage sind, den Sinn eines Textes zu erfassen, oder es nicht dürfen, und solche, die genau das Gegenteil dessen tun, was sie oft und laut von sich geben. „Politik ist nicht nur Denksport, Politik ist auch Handeln“, meinte einmal Helmut Schmidt. Inzwischen ist beides falsch. Denn das Denken ist den Politikern schon lange abhanden gekommen, und handeln will man nur noch, wenn man den Bürgern so viel Schaden wie möglich zufügen kann.
Hier wendet sich, um mit Friedrich Schiller zu sprechen, nicht nur der Gast mit Grausen, sondern auch der Wähler. Zumindest sollte er es tun.
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.
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