Sabotage Eine internationale Untersuchung der Nord-Stream-Anschläge durch die UN? Diesen Vorschlag Chinas lehnt die Bundesregierung ab. Die BSW-Bundestagsabgeordnete Jessica Tatti wittert „Vertuschung“. Welche neuen Erkenntnisse es dennoch gibt
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Aufnahmen der schwedischen Küstenwache vom Leck in der Nord-Stream-Pipeline
Foto: Swedish Coast Guard / Cover Images / picturealliance
Zu den besten Eigenschaften von Journalisten und Politikern zählt ohne Zweifel Hartnäckigkeit. Zwar findet eine Mehrheit der Bundesbürger wenig Sympathisches an diesen Berufen, aber sie schätzen es doch, wenn Politiker und Journalisten an unangenehmen Themen und ungeklärten Fragen dranbleiben und nicht lockerlassen – auch wenn viele Besserwisser deshalb den Kopf schütteln, die Nase rümpfen oder mit den Augen rollen. Eins dieser unangenehmen Themen ist der bis heute wohl folgenschwerste und nach 21 Ermittlungs-Monaten noch immer unaufgeklärte Anschlag auf die Energieversorgungs-Infrastruktur Europas: die Sprengung der Nord-Stream-Gaspipelines in der Ostsee.
SPD, FDP und Grüne wollen wohl nichts wissen
Die ökologischen und wirtschaftliche
nes in der Ostsee.SPD, FDP und Grüne wollen wohl nichts wissenDie ökologischen und wirtschaftlichen Schäden des Verbrechens sind immens, doch es verfestigt sich der Eindruck, dass der Hauptbetroffene des Anschlags wenig Interesse an der Aufklärung hat. Die Bundesregierung unterlässt jegliche Anstrengung, mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Sie verweist nur gebetsmühlenartig auf die „laufenden Ermittlungen“. Diese Ermittlungen sind längst in einem Sumpf aus Unfähigkeit, Desinformation und Feigheit steckengeblieben.Dänemark und Schweden, in deren Hoheitsgewässern der Anschlag am 26. September 2022 durchgeführt wurde, haben ihre Ermittlungen Anfang 2024 mit der ebenso absurden wie fadenscheinigen Begründung eingestellt, der Anschlag betreffe sie nicht. Informationen über die zwischenzeitlich gesammelten Ermittlungsergebnisse blieben sie der Öffentlichkeit schuldig. War’s das also?Keineswegs. Noch immer kommen interessante Details zum Vorschein, mal als Abfallprodukt eines Untersuchungsausschusses, mal als Zufallsfund im Rahmen eines Gerichtsprozesses. Und es gibt Abgeordnete und Journalisten, die unverdrossen nachbohren und Botschafter, die auf internationale Untersuchungen drängen. Die Bundesregierung wird das Thema jedenfalls nicht los, mag sie sich auch noch so angestrengt blind, taub und stumm stellen wie die berühmten drei Affen.Am 12. April, nur wenige Wochen nach der Einstellung der Ermittlungen durch Schweden und Dänemark, richtete die AfD-Bundestagsfraktion eine Große Anfrage an die Regierung zu den ausbleibenden Ermittlungsergebnissen. Solche Anfragen kommen stets von „Außenseiterparteien“, mal von der AfD, mal von der Linken, mal vom BSW. Die Regierungsparteien SPD, FDP und Grüne haben offenbar keinerlei Informationsbedürfnis. Und die Unionsparteien halten sich sowieso raus. Wer zu viel wissen will, macht sich verdächtig.Größter Sabotageakt in der NachkriegsgeschichteDie merkwürdige Trägheit der Mitte-Parteien in Sachen Aufklärung der Nord-Stream-Sprengung führt leider auch dazu, dass die an den Rand gedrängten, meist belächelten Außenseiter oft übereifrig agieren. Obwohl Große Anfragen laut Paragraf 100 der Geschäftsordnung des Bundestages „kurz und bestimmt gefasst sein“ müssen, schrieb sich die AfD mit ihren 99 Fragen an die Bundesregierung noch einmal sämtliche Ungereimtheiten von der Seele, die ihr an der schleppenden Behandlung des Falls aufgefallen waren. Zum Beispiel jener sonderbare Umstand, dass die Behörden bis heute keine Belohnung für sachdienliche Hinweise zur Ergreifung der Täter ausgelobt haben. In der Begründung ihrer Anfrage erwähnen die Abgeordneten deshalb ausdrücklich das „demonstrative und provokative Desinteresse“ der Regierung sowie das fortgesetzte Schweigen des Generalbundesanwalts zum Sachstand der Ermittlungen. Der Generalbundesanwalt, der sich sonst zu jedem Terrorismus-Verdacht äußere – hier, beim größten Sabotageakt in der europäischen Nachkriegsgeschichte, hält er sich vornehm zurück.Aber nicht nur die AfD bohrt in dieser offenen Wunde. Am 26. April erinnerte Chinas Botschafter bei den Vereinten Nationen, Geng Shuang, im Rahmen einer Anhörung des UN-Sicherheitsrats an den Fall Nord Stream und bekräftigte die Forderung seines Landes nach Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission unter der Schirmherrschaft der UNO. Dass weder Schweden noch Dänemark ihre Ermittlungsergebnisse offengelegt hätten, so Geng Shuang, nähre gewisse Spekulationen. Ja, man könne nicht umhin, „hinter dem Widerstand gegen eine internationale Untersuchung eine versteckte Agenda zu vermuten und gleichzeitig die mögliche Vertuschung und den Verlust zahlreicher überzeugender Beweise zu beklagen.“ Der Botschafter redete allerdings gegen eine Wand. Denn er fügte hinzu, auch Russland müsse an einer solchen Untersuchung beteiligt werden.US-Geheimdienstmitarbeiter in Mecklenburg-VorpommernEnde Juni gab Thomas Krüger, Obmann der SPD-Fraktion im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern, zu Protokoll, zwei Zeugen von Umweltverbänden hätten ausgesagt, dass Vertreter von US-Geheimdiensten bei ihnen vorstellig geworden seien mit dem Ziel, die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zu verhindern. Begründet hätten sie ihre Einmischung mit der Wahrung von US-Interessen. Außerdem sei ein Mitarbeiter des US-Energieministeriums auf den Chef der Ostseestiftung zugekommen und habe ihn bedrängt, etwas gegen Nord Stream zu unternehmen. Auch in anderen Ländern habe der US-Vertreter versucht, den Widerstand gegen Nord Stream zu organisieren. Im Bergamt Stralsund, das für die Genehmigung der Pipeline zuständig war, sei der Mann ein und aus gegangen. Krügers Fazit: „Die US-Regierung hat während der Trump-Administration zur Durchsetzung ihrer Interessen sich auch direkt in Mecklenburg-Vorpommern mit geheimdienstlichen Mitteln gegen Nord Stream 2 gestellt.“Die Reutlinger BSW-Bundestagsabgeordnete Jessica Tatti richtete deshalb Anfang Juli zwei kurze Anfragen an die Bundesregierung. Sie wollte wissen, welche Kenntnisse diese über die Tätigkeit ausländischer Geheimdienste in Sachen Nord-Stream-Beeinflussung habe und wie sich die Regierung zum chinesischen Vorstoß, eine internationale Untersuchungskommission im Rahmen der UNO einzurichten, verhalte. Das Innenministerium antwortete knapp von oben herab: „Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor.“ Das Justizministerium orientierte sich am „Nö“-Stil des Kanzlers: „Die Bundesregierung unterstützt den Vorschlag einer internationalen Untersuchung unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen nicht.“Was ist denn nun mit der „Andromeda-Spur“?Für die Abgeordnete Tatti, Parlamentarische Geschäftsführerin der BSW-Gruppe im Bundestag, gleicht dieses Verhalten einem Affront. „Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Bundesregierung überhaupt nicht wissen will, wer für den verheerenden Anschlag auf die deutsche Energie-Infrastruktur verantwortlich ist“. Und weiter: „Am meisten irritiert mich, dass die deutsche Regierung den chinesischen Vorschlag einer internationalen Untersuchung durch die Vereinten Nationen ablehnt. Selbst bei den Ermittlungen nicht zu Potte kommen und zugleich solch einen Vorschlag ablehnen – das sieht schon sehr nach Vertuschung aus“.Auch von der vielversprechenden „Andromeda-Spur“, die einst „aus Ermittlerkreisen“ durchgesickert war, hört man nicht mehr viel. Die in Rostock von einer sechsköpfigen ukrainischen Crew angemietete Segelyacht Andromeda, die rund um die Ostsee so viele Spuren hinterließ, dass es schon verdächtig nach Ablenkungsmanöver aussah, ist irgendwie aus dem Blickfeld geraten. Die Investigativteams von Zeit, SZ und ARD, die mit ihrer Theorie noch vor einem Jahr ganz nah an der Lösung des Falls zu sein schienen, sind bei der Verifizierung der abenteuerlichen Story offenbar an einem toten Punkt angelangt. Auch die abseitige Russland-Spur wird nur noch mühsam, etwa vom polnischen Geheimdienst, von übereifrigen Hobby-Ermittlern und vom CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter, im Rennen gehalten.Nun warten alle, welche nichtssagenden Antworten die Bundesregierung in den kommenden Tagen auf die Große Anfrage der AfD-Fraktion geben wird, ob die Brandmauer des Schweigens auch in der darauffolgenden Plenumsdebatte hält. Sicher ist nur eins: Das Thema wird so lange zur Wiedervorlage gebracht werden, bis die Antworten ausreichend erscheinen und Täter und Tathergang ermittelt sind. Ohne die Hartnäckigkeit von Politikern und Journalisten wird kein befriedigendes Ergebnis erzielt werden können.