Turboeinbürgerung wird abgeschafft, Rückweisungen an der Grenze, Familiennachzug ausgesetzt, Abschiebeoffensive: Friedrich Merz macht den feuchten Traum der AfD in der Migrationspolitik wahr


Laut Koalitionsvertrag wollen Union und SPD Grenzkontrollen fortsetzen

Thomas Niedermüller/Getty Images


„Es geht um die Zukunft der Menschen in unserem Land“, sagte CDU-Chef Friedrich Merz auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des Koalitionsvertrags. Dass damit allerdings nicht alle Menschen in Deutschland gemeint sind, wird bei einem Blick in den Koalitionsvertrag „Vertrag für Deutschland“ schnell offensichtlich.

Das Migrationsthema und die Asylpolitik beherrschten den Wahlkampf zu weiten Teilen, sie waren bis in die letzten Verhandlungstage hinein noch eines der strittigen Kapitel zwischen den Partnern. Nun ist also der Koalitionsvertrag da. Von dem „modernen Einwanderungsland“ des Koalitionsvertrags der Ampel-Regierung ist wenig übrig geblieben. Im Gegenteil: Nun heißt das Kapitel „Sicheres Zusammenleben, Migration und Integration&

ieben. Im Gegenteil: Nun heißt das Kapitel „Sicheres Zusammenleben, Migration und Integration“ und beginnt mit Ausführungen zur inneren Sicherheit. Hat sich die CDU-Position am Ende durchgesetzt?Klar ist, dass der Abschnitt „Asyl“ die Handschrift der CDU und ihrer Forderungen für eine verschärfte Asylpolitik trägt. Sie erinnern sich bestimmt an den Fünf-Punkte-Plan der CDU, den der Bundestag Ende Januar mit den Stimmen von AfD und FDP annahm. Von einem „anderen, konsequenteren“ Kurs in der Migrationspolitik ist hier zu lesen. Wie der aussehen soll? Zwei Schlagworte aus dem Vorwort zum Kapitel illustrieren die neue Linie am besten: „Migration ordnen und steuern“ und „irreguläre Migration zurückdrängen“, als Dreh- und Angelpunkte des Koalitionsvertrags. Familiennachzug wird gekipptSo sollen in Abstimmung mit den „europäischen Nachbarn“ Zurückweisungen an den Grenzen auch bei Asylgesuchen möglich sein. Laut Pro Asyl stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Oktober 2024 klar, dass Zurückweisungen an der deutschen Grenze widerrechtlich sind. Der Zugang zu einem rechtsstaatlichen Verfahren sei zu gewähren, bis die Grenzkontrollen, bis zu einem funktionierenden Außenschutz, sprich: bis das ebenfalls unter Jurist*innen umstrittene Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) europaweit greift, also Mitte 2026. Ungarn und Polen haben bereits angekündigt, dieses System nicht anwenden zu wollen.Aber auch die reguläre Migration, wie schon aus dem Sondierungspapier der Union und SPD ersichtlich, soll wohl deutlich eingeschränkt werden: Der Familiennachzug, ein integrierender Faktor für Neuankömmlinge, und Bundesaufnahmeprogramme – etwa für Afghanistan – werden gekippt. Stattdessen soll es eine digitale Bundesagentur für Einwanderung geben, die den schön klingenden Namen „Work-and-Stay-Agentur“ tragen soll: „Gastarbeiter“ sagt man ja nicht mehr.Auch neu: die Liste der sicheren Herkunftsländer soll um Indien, Marokko, Algerien und Tunesien erweitert werden. Der Mediendienst Migration stellt dazu fest, dass 2024 nur wenige Tausend Asylbewerber*innen aus diesen vier Herkunftsstaaten stammen. Migrationsverbände forderten eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe – vergeblichNoch während der Koalitionsverhandlungen wandten sich Ende März 13 Bundesdachverbände von Migrationsorganisationen in einem offenen Brief an die Parteispitzen der Union und der SPD. Sie forderten nach einem reichlich aufgeheizten Wahlkampf „voller Ausgrenzung“ politische Konsequenzen und somit mehr „Repräsentanz, Schutz und Zusammenarbeit auf Augenhöhe“. Gökay Sofuoğlu von der Türkischen Gemeinde Deutschland hat den offenen Brief mitunterzeichnet und sieht den Koalitionsvertrag der Großen Koalition nicht auf der Höhe der Zeit: „Ich sehe im Koalitionsvertrag der CDU und SPD wenig Schritte, wie eine Einwanderungsgesellschaft gestaltet werden soll, und eher eine Antwort auf die aktuellen Diskussionen.“Kontraproduktiv erscheint Sofuoğlu auch die Rückabwicklung der sogenannten Turbo-Einbürgerung. „Wie will man Menschen dazu bewegen, sich hier besonders einzubringen?“, fragt Sofuoğlu. Erst vor knapp einem Jahr wurde die Einbürgerung nach bereits drei Jahren eingeführt: „Für Menschen, die sich besonders gut integrierthaben, ist eine Einbürgerung bereits nach drei Jahren möglich. Das gilt zum Beispiel, wenn sie im Job herausragende Leistungen erzielen oder sich ehrenamtlich engagieren, sehr gut Deutsch sprechen und den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie eigenständig bestreiten können“, ließ das Bundesinnenministerium verlauten. Das soll nun nicht mehr gelten.Migrantenverbände fordern Vielfalt im KabinettDass die kommende Koalition die „Turbo-Einbürgerung“ zurück abwickelt, ist ein Zeichen an die rechte Ecke dieses Landes: Es kann nicht jede und jeder hier einfach deutsch werden. Dass die im Vorfeld viel diskutierte Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft von Doppelstaatlern bei strafrechtlichen Verstößen weggefallen ist, ist allerdings ein gutes Zeichen.Denn offensichtlich handelte es sich bei der CDU-Forderung um einen Verfassungsbruch, der im Wahlkampf oft und gern in die Diskussion um Migration eingebracht wurde. Neu ist allerdings der Entzug des Aufenthalts, etwa bei einem „tätlichen Angriff auf Vollzugsbeamte“ oder „antisemitisch motivierten Straftaten“. Was das genau heißt und wie diese Forderungen im Alltag umgesetzt werden, lässt sich bereits in Berlin beobachten: Hier wurden vier Pro-Palästina-Aktivisten ohne strafrechtliche Verurteilung der Aufenthaltstitel entzogen. Sie sollen bis zum 21. April das Land verlassen. Trotz dieser eklatanten Verschärfungen in der Asyl- und Migrationspolitik stellt SPD-Chef Lars Klingbeil bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags fest: „Wir sind ein Einwanderungsland“. Ob diese Lippenbekenntnisse allerdings ausreichen? Mamad Mohamad, Geschäftsführer beim Verein Lamsa, dem Landesnetzwerk der Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt, fordert: „Wer den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken will, muss unsere Realitäten auch im Kabinett widerspiegeln. Repräsentanz ist kein Luxus – sie ist die Grundlage für Vertrauen in die Demokratie.“Auch wenn der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) als Kulturstaatsminister gehandelt wird, ist nicht klar, „wie viel Vielfalt“ künftig unter den Ministerinnen und Staatssekretären herrschen wird, meint Sofuoğlu. „Wie viele werden Ostbezug haben, migrantisch sein oder auch jüdischen Glaubens?“. Eine berechtigte Frage.



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Von Veritatis

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