Weniger Sozialleistungen für Ukrainer, Unternehmenssteuern runter, von Vermögenssteuer keine Spur: Wie CDU und CSU den Koalitionsvertrag dominieren – und wo noch ein bisschen SPD zu finden ist


Hinter Markus Söder, Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Saskia Esken stehen noch einige Kabinettsaspiranten, etwa Alexander Dobrindt und der designiert Kanzleramtsminister Thorsten Frei

Foto: Florian Gärtner/Imago/Photothek


Als Markus Söder die Mütterrente lobt, brandet von hinten Applaus auf. Das ist bei einer Pressekonferenz ungewöhnlich. Doch es sind nicht die Journalisten, die klatschen, und auch nicht die Mitarbeiter aus CDU, CSU und SPD, die hier der Vorstellung des neuen Koalitionsvertrags beiwohnen.

Die Gruppe aus dem Wahlkreis eines CSU-Abgeordneten aus Bayerisch-Schwaben hat für ihren Besuch des Bundestags einen günstigen Tag erwischt, spontan hören auch sie Friedrich Merz, Lars Klingbeil, Saskia Esken und Söder zu. Dass der CSU-Chef den Satz „Wir werden die Mütterrente mit drei Rentenpunkten für alle vollenden – unabhängig vom Geburtsjahr der Kinder –, um gleiche Wertschätzung und Anerkennung für alle Mütter zu gew

zu gewährleisten“ feiert, finden die Seniorinnen und Senioren aus Bayern super. „Jetzt könnt ihr sehen, ich hab recht gehabt“, sagt Söder zu Klingbeil und Esken.Überhaupt hat an diesem Tag eigentlich nur die Union zu feiern. Sie hat sich in den meisten Bereichen auf ganzer Linie durchgesetzt. Das ist schon daran zu erkennen, dass die SPD-Spitzen Klingbeil und Esken große Teile ihrer Statements auf längst Beschlossenes verwenden – die von Bundestag und Bundesrat verabschiedete Grundgesetzänderung: Das Sondervermögen für die Infrastruktur sei ein großer Erfolg, 500 Milliarden Euro, viele Menschen im Land hätten lange auf so etwas gewartet, Brücken, Schulen, Schienen, endlich könne das Land die Auflösung seines Sanierungsstaus angehen.Der Koalitionsvertrag trägt eindeutig eine schwarze Handschrift. Sogar den Grundstein für eine neue Wahlrechtsreform hat Friedrich Merz wie seiner Partei versprochen in diesem Koalitionsvertrag gelegt – nachdem infolge der Reform der Ampel 16-Direktmandatssieger der Union kein Mandat im Bundestag erhielten.Hartz IV und MigrationTiefschwarze Handschrift trugen schon die früh geeinten Punkte wie der Abschied vom Bürgergeld und die Rückkehr zum Prinzip von Hartz IV: Für alle ohne Vermittlungshemmnisse beim Zugang zum Arbeitsmarkt gilt wieder der Vermittlungs- und nicht der Qualifizierungsvorrang. Das heißt, diese Erwerbslosen sollen ungeachtet ihrer Qualifikationen und den Bedingungen schnell wieder arbeiten, statt sie weiterzubilden. Sanktionen sollen verschärft, die Karenzzeit, in der Erwerbslose eigenes Vermögen nicht aufzehren müssen, abgeschafft werden.In der Migrationspolitik bleiben die Grenzkontrollen, Zurückweisungen sollen sich auch auf Asylsuchende erstrecken, freiwillige Aufnahmeprogramme werden beendet, der Familiennachzug wird ausgesetzt, die Bundespolizei erhält mehr Befugnisse für mehr Abschiebegewahrsam und mehr Abschiebungen, die reguläre Migration aus dem Westbalkan soll auf 25.000 Menschen pro Jahr begrenzt werden.Ukrainerinnen und Ukrainer, die nach ihrer Flucht nach Deutschland hier direkten Zugang zum Bürgergeld erhalten hatten, werden künftig nach dem Asylbewerberleistungsgesetz behandelt und müssen ihre Bedürftigkeit nachweisen. Schon 2022 hatte Merz von „Sozialtourismus dieser Flüchtlinge nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine“ gesprochen.Heizungsgesetz, Lieferketten, StaatsbürgerschaftDas Heizungsgesetz wird abgeschafft und soll durch ein „technologieoffenes Gebäudeenergiegesetz“ abgelöst werden.Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wird abgeschafft.Das neue Staatsbürgerschaftsrecht bleibt zwar, Einbürgerungen sollen aber nicht schon nach drei, sondern frühestens nach fünf Jahren möglich sein.Das Selbstbestimmungsgesetz soll bis Ende Juli 2026 evaluiert werden.Das Informationsfreiheitsgesetz soll reformiert werden, immerhin nicht nur mit einem „Mehrwert“ für die Verwaltung, die bei geringeren Auskunftspflichten weniger Arbeit hätte, sondern auch für Bürgerinnen und Bürger.Vermögenssteuer und EhegattensplittingAuch in der Wirtschaftspolitik ist im finalen Koalitionsvertrag gelandet, was in den Papieren der Arbeitsgruppen noch mit Blau als Unions-Präferenz markiert gewesen war. Die Union hatte die schrittweise Absenkung für Körperschaftssteuer von 15 auf zehn Prozent gefordert, die SPD eine Verminderung um nur einen Prozentpunkt ab 2029 verlangt.Nun soll die von großen Unternehmen gezahlte Steuer von 2028 an fünf Jahre lang jedes Jahr um jeweils einen Prozentpunkt sinken. Kleinere und mittlere Unternehmen sollen bei der Wahl ihrer Art der Besteuerung größere Freiheiten erhalten und so entlastet werden. Gegen den „Investitions-Booster“ wird auch die SPD nichts haben: Unternehmen sollen Ausrüstungsinvestitionen in diesem und in den beiden nächsten Jahren um satte 30 Prozent jährlich abschreiben dürfen. Auf ein Paket zur Senkung der Strompreise um mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde hatten sich beide Seiten schon länger geeinigt, unter anderem durch die Senkung der Stromsteuer.Steuerideen hatten auch die Sozialdemokraten so einige noch in den Verhandlungsergebnissen der Arbeitsgruppen von Ende März platziert: Revitalisierung der Vermögenssteuer, Reform der Erbschaftssteuer, Anhebung von Spitzen- und Reichensteuersatz, sogar „Veräußerungsgewinne aus dem Verkauf nicht selbstgenutzter privater Immobilien“ sollten künftig „auch nach Ablauf der Spekulationsfrist von zehn Jahren besteuert“ werden.All diese Punkte tauchen im Koalitionsvertrag rein gar nicht mehr auf. Ebenso ist es mit dem Ehegattensplitting, das Paare begünstigt, in denen meist der Mann sehr viel und die Frau nichts oder wenig verdient: Die SPD wollte zumindest bei neu geschlossenen Ehen aus dieser Regelung, die die Erwerbsbeteiligung von Frauen weniger lukrativ und das Ernährermodell attraktiv macht, aussteigen.Unterhaltsvorschuss: Mehr Druck auf säumige VäterImmerhin verspricht der Koalitionsvertrag für getrennt lebende Mütter eine kleine Verbesserung: Das Kindergeld soll nurmehr hälftig auf den Unterhaltsvorschuss angerechnet werden. Vätern, die ihre Unterhaltsvorschussschulden nicht bezahlen, sollen künftig Führerscheinentzug, verschärfte Auskunftspflichten und niedrigere Pfändungsfreigrenzen drohen.Bei Schwangerschaftsabbrüchen soll die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung erweitert werden.So mühte sich zwischen den drei anderen Parteichefs die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, auf Inhalte des Koalitionsvertrags hinzuweisen, die für Frauen vorteilhaft seien, vor allem auf den Mindestlohn, der auf 15 Euro pro Stunde steigen können soll. Das helfe deshalb vor allem Frauen, weil sie vor allem in niedriger entlohnten Berufen arbeiteten.Ob dies genügt, die SPD-Basis zu überzeugen, wird sich in den nächsten Wochen zeigen: Während bei CDU und CSU ein kleiner Parteitag bzw. der Vorstand entscheiden, haben es bei der SPD nun die Mitglieder in der Hand, über das Zustandekommen der schwarz-roten Bundesregierung zu befinden. Stimmt die Basis zu, soll es um den 7. Mai herum zur Wahl des Kanzlers im Bundestag kommen. Der Druck der AfD-Umfragewerte: Gejagte?Der große Knall zu Anfang, das Sondervermögen und die Aufweichung der Schuldenbremse zur Finanzierung der Aufrüstung, stellt einen Bruch dar mit der bisherigen Finanzpolitik, die staatlicher Kreditaufnahme enge Grenzen setzt. Für jene Finanzpolitik aber stand stets CDU-Chef Merz. Folglich setzte dem das Schuldenpaket ordentlich zu. An der CDU-Basis rumort es.Parteiaustritte wie in Kühlungsborn, Protestbriefe wie der von der Jungen Union und dem Kreisverband in Köln, Forderungen nach einem Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag etwa aus Brandenburg, zuletzt aus dem CDU-Kreisverband Harz der Ruf, die Brandmauer einzureißen und das Kooperationsverbot mit der AfD zu beerdigen. In Ostdeutschland ist die CDU bei dieser Bundestagswahl der AfD auf breiter Front unterlegen.Doch all das war ebenso wie die kursierenden Umfragen, in denen die AfD gleichauf oder vor der Union rangierte, und Zollkrieg die weltpolitische Lage überhaupt nicht einfach nur Druck auf CDU-Chef Merz. Sondern auch auf die SPD. Vor allem Bayerns Ministerpräsident Söder ließ in den vergangenen Wochen kaum eine Gelegenheit aus, um die beginnende Legislatur als letzte Chance zu beschwören, bevor eine Regierungsbildung gegen die AfD nicht mehr möglich sein könnte. Dieser Druck, dass sich die Union als Wahlsiegerin in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen und Kanzlerkandidat Merz behaupten müsse, hat gewirkt.



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Von Veritatis

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