Lieber unfrei als tot: Ole Nymoen würde niemals für sein Land kämpfen und lieber seine Klappe halten, als eine Waffe in die Hand zu nehmen. Macht er es sich da nicht zu einfach?
Ole Nymoen würde nicht zur Bundeswehr gehen. Jungen Menschen empfiehlt er: „Macht lieber einen Zivildienst“
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Als die Wehrpflicht 2011 ausgesetzt wurde, war er 13: Ole Nymoen hätte sonst zweifellos Zivildienst geleistet. Wie es aussieht, müssen junge Männer und Frauen auch in den kommenden vier Jahren nicht verpflichtend Wehrdienst leisten, im Koalitionsvertrag wird vorläufig Freiwilligkeit festgehalten – der Druck auf junge Menschen, sich bei der Bundeswehr zu melden, nimmt aber eindeutig zu. Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde heißt Nymoens neues Buch, das keinem gefallen kann, der das Land kriegstüchtig machen möchte. Doch nicht nur bei der Buchmesse in Leipzig ist der Andrang groß, wenn Nymoen – 2019 Praktikant und seither Autor des Freitag – seine Argumentation „gegen die Kriegstüchtigkeit“ vor
Autor des Freitag – seine Argumentation „gegen die Kriegstüchtigkeit“ vorstellt.der Freitag: Ole, als der Artikel erschien, auf dem dein Buch basiert, wünschte dir in den „Zeit-online“-Leserkommentaren jemand „Lagerhaft“. Ich habe aber den Eindruck, viele Menschen sind gerade sehr froh, solch ein Plädoyer gegen Kriegstüchtigkeit in diesen Zeiten lesen zu können.Ole Nymoen: Wenn man sich auf Twitter umsieht, wundert man sich, dass ich überhaupt noch lebe. Doch im echten Leben sieht es tatsächlich anders aus. Ich war neulich in Sarah Bosettis Late-Night-Show. Das Publikum dort war furchtbar entsetzt von mir, die waren so sauer, das kann man sich nicht vorstellen. Es klingt jetzt wie eine Geschichte aus dem Paulaner-Garten, aber danach kam ich raus, ein Techniker nahm mir das Mikro ab und sagte, er habe das Buch schon gelesen und fand es super. Als ich zwei weitere Kolleginnen im Hintergrund fragte, ob sie für die Meinungsfreiheit sterben würden, haben die sich totgelacht. Im Kontakt mit normalen Leuten, die nicht linksliberal sind, ist meine Haltung also wohl salonfähig. Das sieht man auch in aktuellen Umfragen: 60 Prozent der Bundesbürger sind nicht bereit, für Deutschland mit der Waffe in den Krieg zu ziehen.Jeder Vierte, der zur Bundeswehr geht, verlässt sie nach maximal sechs Monaten wieder. Wie wehrwillig ist das Land tatsächlich?Ich weiß nicht, wie hoch diese Quote im Verhältnis zu anderen Ausbildungsberufen ist. In meinem Ausbildungsjahrgang haben auch einige abgebrochen, weil sie sich totgerackert haben. Eine Mehrheit der Bevölkerung ist zwar für die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Aber sobald gefragt wird, ob jemand selbst kämpfen würde, antworten nur fünf Prozent mit Ja. So kriegstüchtig scheint man hier noch nicht zu sein.Aus deinem Buch spricht kein pragmatischer, sondern ein fundamentaler Pazifismus. Du übst nicht nur eine Kriegs-, sondern auch eine Staatskritik. Du hast eine Ausbildung beim Öffentlich-Rechtlichen absolviert, an einer staatlichen Uni studiert, bist erfolgreich – was hat dir dieser Staat getan? Warum willst du ihn nicht verteidigen?Ich sage ja nicht, dass mir ein anderer Staat als Deutschland das Leben schon wert wäre. Mir geht es um Grundsätzliches: Der Staat wird oft für seine zivilisierende Leistung gelobt, dafür, dass er es schafft, die Gewalt nach innen zu monopolisieren. Funktionale Staaten schaffen das tatsächlich. Aber warum braucht es davon dann eigentlich knapp 200? Das sind die konkurrierenden Nationen dieser Welt, die sich im Laufe der letzten Jahrhunderte mittels Kriegen herausgebildet haben. Deutschland ist das Paradebeispiel dafür, seine heutigen Staatsgrenzen sind Konsequenz der Kriege des vergangenen Jahrhunderts. Im Krieg werden Menschen aufeinandergehetzt, die sich gar nicht kennen und die meist kein Problem hätten, friedlich nebeneinanderher zu leben. Der einzige Grund, warum sie aufeinander schießen, ist der, dass sie hilflos diesen konkurrierenden Gewaltmonopolisten untergeordnet sind. Der ehrlichere Titel für mein Buch wäre: „Warum ich niemals für mein Land kämpfen wollen würde und es mich trotzdem zwingt“. Staaten zwingen ihre Bürger zum Dienst an der Waffe, ob die wollen oder nicht. Sie hetzen für Staatszwecke Menschen aufeinander, die sich gar nicht kennen. Das halte ich für verkehrt.Auf die Idee der sozialistischen Weltrepublik könnte man sich mit mir wahrscheinlich einigen. Mit einem Gewaltmonopol ohne Staatenkonkurrenz hätte ich kein ProblemDu kannst dir wirklich gar keine Art von gelungener Staatlichkeit vorstellen, die du zu verteidigen bereit wärst?Ich bin ein klassischer Sozialist, auf die Idee der sozialistischen Weltrepublik könnte man sich mit mir wahrscheinlich einigen. Mit einem Gewaltmonopol ohne Staatenkonkurrenz hätte ich kein Problem. Doch der Staat, wie er heute ist, wird oft damit gerechtfertigt, dass er den Krieg aller gegen alle verhinderte. Ich glaube da nicht so richtig dran. Persönlich bin ich materiell abgesichert genug, um nicht mit dem Messer in der Hand auf meine Mitmenschen losgehen zu müssen. Ein Großteil der innerstaatlichen Gewalt wäre mit der Armut beseitigt. Selbst wenn wir dann annehmen, es gibt immer noch ein paar Verrückte, die andere umbringen wollen, würde dafür ein globaler Gewaltmonopolist genügen. Es braucht keine knapp 200 davon.Und wenn ein solcher Verrückter über deinen Gartenzaun steigt, um deine Freundin zu vergewaltigen, der globale Gewaltmonopolist aber gerade nicht zugegen ist?Dann ergebe ich mich nicht. Ich würde mich auch zu wehren versuchen, wenn im Kriegsfall jemand vor mir steht und mich umbringen will. Aber solche Fragen suggerieren, die Verteidigung meiner Freundin und die Verteidigung einer Staatsgrenze seien ein und dasselbe. Nach allem, was ich mitbekommen habe, hat sich meine Freundin noch nicht in eine Staatsgrenze verwandelt. Kein Staat verteidigt sich, um die Witwen und Waisen zu retten. Ein Staat ist nicht einfach die Schutzmacht seiner Bürger. Sonst würde er sich fragen: Könnte ich, wenn ich meine Souveränität abtrete, dafür Menschenleben retten und Verwüstung verhindern? Aber kein Staat stellt sich diese Frage.Wenn du auf die Kriegsökonomie in Russland blickst und an die Möglichkeit eines großen Krieges denkst, löst du das für dich einfach mit der Abtretung der Souveränität?Ich finde es natürlich beängstigend, wenn Russland einen immer größeren Teil seines Bruttoinlandsprodukts für Rüstung ausgibt und mir ist klar, dass dies nicht unbedingt stattfindet, um nach Ende des einen Krieges nie wieder einen anderen zu führen. Ich nehme es ernst, wenn die sogenannte regelbasierte Weltordnung zur Disposition steht. Aber diese Ordnung basierte darauf, dass die USA als Weltpolizei über eine Art Gewaltmonopol ohne Konsequenzen für dessen Anwendung verfügen. Ich bezweifle übrigens, dass die USA ernsthaft ein über 80 Jahre aufgebautes Netzwerk der Hegemonie mit unzähligen Militärbasen, Waffen und Soldaten in Europa einfach fallen lassen. Aber mir machen ebenso die Leute Angst, die hierzulande für Aufrüstung trommeln. In Die Lage der Nation habe ich neulich allen Ernstes gehört: Wenn die USA das nicht mehr machen, muss Europa bereit sein, die Huthi „in die Steinzeit zu bomben“. Das sagt einer der Moderatoren des wichtigsten deutschen Polit-Podcasts mittlerweile. Mir macht das Angst. Dummerweise bin ich denen ja genauso ausgeliefert, wie wenn jetzt Russland hier ankommt.Ich stelle keine Forderung. Ich will den Leuten nur sagen: Ihr seid diesen Staaten ausgeliefert. Die Interessen, die im Krieg verfolgt werden, sind im Regelfall nicht eureRussland kommt ja vielleicht nicht gleich hier an. BND und Militärs, so berichten deutsche Medien, gehen davon aus, dass es die NATO-Bündnispflicht mit kleinen Operationen, etwa im Baltikum, austesten könnte. Du führst in deinem Buch vor Augen, wie schwer es eigentlich ist, Krieg zu definieren. Würdest du Souveränität dann gleich bei solch einer kleinen Aktion abtreten, um den großen Krieg zu verhindern?Ich würde mich auf jeden Fall nicht ins Gefecht stellen. Mein Buch ist kein konstruktiver Ratgeber für das Verhalten eines Staates in einer bestimmten Situation. Ich stelle keine Forderung. Ich will den Leuten nur sagen: Ihr seid diesen Staaten ausgeliefert. Die Interessen, die im Krieg verfolgt werden, sind im Regelfall nicht eure. Heute sitzen ganz normale Bürger vor der Tagesschau und denken, als wären sie der Staat. Die fragen sich dann, welche Waffen geliefert werden müssen. Ob es vielleicht doch in Ordnung ist, Streumunition und Antipersonenminen wieder zu erlauben. Welche Selbstverteidigung legitim ist und ob 100 tote Zivilisten auf einen toten Terroristen zu viele oder zu wenige sind. All diese widerwärtigen Fragen stehen nur im Raum, weil die Staatsmächte dieser Welt ihre Völker aufeinanderhetzen. So zu tun, als hätte man etwas zu entscheiden, wo man reine Verfügungsmasse ist, halte ich für den kategorialen Fehler.Du schreibst, du würdest nicht für deine Meinungsfreiheit sterben. Aber du kannst dich ihrer bedienen, weil andere sie mit der Waffe in der Hand verteidigen.Es wäre albern zu leugnen, dass ich mit dem Gut der Meinungsfreiheit etwas anfangen kann. Ich lebe davon, öffentlich meine Meinung kundzutun. Trotzdem, ganz ehrlich: Mir wär’s das Leben nicht wert. Ich würde dann lieber nicht mehr so frei reden können, irgendeinen anstrengenden Job ausüben und mein privates Glück daheim suchen. Das wäre mir immer noch lieber, als tot zu sein.War das schon immer deine Haltung?Nein, das hat sich in den vergangenen zwei, drei Jahren herausgebildet. Es stimmt ja: Ich musste mir solche Fragen lange nicht stellen, weil die USA den Krieg aus Deutschland ferngehalten haben und wir die Friedensdividende eingefahren haben. Aber meine Haltung hat sich schon sehr verfestigt, auch weil ich weiß, dass meine Meinungsfreiheit nicht nur eine Gabe der Nettigkeit ist. In den 1950ern wurden Leute, die gedacht haben wie ich, in der Bundesrepublik noch in den Knast gesperrt. Das lernt man in der Schule zwar nicht, aber es reichte ja, ein paar Flugblätter zu verteilen oder Kommunist zu sein, um mit Partei- und Berufsverbot belegt zu werden. Vorsichtig gesagt, war das eines modernen Rechtsstaats nicht ganz würdig. Heute darf die Klimaaktivistin Lisa Poettinger in Bayern nicht ihr Referendariat antreten, weil sie beim Protest gegen die Automesse IAA von „Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima“ gesprochen hat. Das sei laut Kultusministerium der kommunistischen Ideologie zuzuordnen und mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar. Mich kann man als Pausenclown auftreten lassen, weil man sagt, der ist uns eh nicht gefährlich. Würde eine Mehrheit der Leute denken wie ich, würde es hierzulande wohl weniger liberal zugehen.Leute werden mittels Wehrpflicht herangezogen, um im Ernstfall für den Staat zu sterben. Ich rate den Leuten davon abIch weiß gar nicht, ob du denen, die sehr ernsthaft auf „glaubwürdige Abschreckung“ drängen und dafür zur Wehrpflicht zurück wollen, so ungefährlich bist. Wobei im Koalitionsvertrag das schwedische Modell festgehalten wird: Wer 18 Jahre alt wird, soll eine Einladung zum Wehrdienst erhalten, mit einer Dauer zwischen 6 und 23 Monaten. Männer müssten ihn beantworten, Frauen nicht. Weiter heißt es, der Dienst soll „zunächst“ auf Freiwilligkeit basieren. Noch ist die Bundeswehr gar nicht in der Lage, so viele Leute auszubilden. Aber es wird versucht werden, im Laufe der Zeit immer größere Teile der Jahrgänge in die Kaserne zu bekommen, ja. Ich kann den jungen Leuten nur empfehlen: Macht lieber einen Zivildienst.Wäre so eine Wehrpflichtigen-Armee nicht auch gerechter? In einer Berufs-Armee müssen doch stets die Ärmsten am ehesten an die Front.Das ist doch eine schöne Aussicht: Es wird gerecht gestorben! Aber ich kann mir vorstellen, dass uns das in den nächsten Jahren ernsthaft erzählt wird: Während Friedrich Merz die Bürgergeld-Empfänger drangsaliert – sie heißen bald wohl: Grundsicherungs-Empfäger – und den Reichen die Steuern senkt, sollen wir es uns gleichzeitig als große Solidaritätsaktion vorstellen, wenn alle gleichberechtigt sterben müssen. Sozial gerechte Vernutzung des staatlichen Menschenmaterials. Nein, das ist nichts, was ich mir wünschen würde. Patrick Sensburg, der Chef des Reservistenverbandes, hat im ZDF ganz explizit gesagt, wofür die Wehrpflicht da ist: Ein Krieg wird mit dem stehenden Heer begonnen und mit der Reserve beendet. Er sagt klar, zu welchem Zweck Leute mittels Wehrpflicht herangezogen werden: Um im Ernstfall für den Staat zu sterben. Ich rate den Leuten davon ab.