Nach Donald Trumps Amtsantritt wirkte die US-Linke wie in Schockstarre. Jetzt regt sich Protest und die Socialist Democrats erleben ein Comeback. Wir fragen Bhaskar Sunkara, Gründer des Magazins Jacobin: Was tut sich da?

Das sozialistische Magazin „Jacobin“ wurde 2010 von Bhaskar Sunkara in New York gegründet und etablierte sich als zentrales Medium der US-Linken. Heute gibt es Redaktionen und Ausgaben in Argentinien, Brasilien, Deutschland, Griechenland und den Niederlanden. Im Interview erklärt Sunkara wie sich die amerikanische Linke in turbulenten Zeiten unter Donald Trump positionieren sollte. Welche Rolle spielen linke Medien im medialen Diskurs und wie kann vor allem die Arbeiterklasse sensibilisiert und stark gemacht werden?

der Freitag: Herr Sunkara, wie waren die letzten drei Monate für Sie – persönlich und beruflich?

Bhaskar Sunkara: Eigentlich gut. Oft heißt es, wie belastend politisches Engagement in turbulenten Zeiten ist, aber genau darum geht es: ein

t es, wie belastend politisches Engagement in turbulenten Zeiten ist, aber genau darum geht es: einzugreifen und hoffentlich die Welt – und das Leben der Arbeiterklasse – zu verbessern. Seien es die destruktiven Zölle oder die Angriffe auf Einwanderergemeinschaften – sie schaden vor allem denjenigen, die sich anders als wir in prekäreren Lebensverhältnissen befinden. Wenn überhaupt, sollte dieser Moment der Linken neue Ziele setzen. Wir müssen klare Alternativen zum selbstzerstörerischen Rechtspopulismus und Nationalismus formulieren können.Worüber machen Sie sich besondere Sorgen?Eine Sorge besteht darin, dass das einzige positive Erbe von Trumps erster Amtszeit – ein erneuerter Fokus auf die Industriepolitik – verspielt werden könnte. Trump wollte das Schicksal der industriellen Arbeiterklasse und deindustrialisierter Gemeinden in den Mittelpunkt politischer Debatten stellen. Die Biden-Regierung baute darauf mit rationaleren Maßnahmen auf – gezielten Zöllen, selektivem Reshoring durch den CHIPS Act und intelligenteren Lieferkettenstrategien. Dieser Ansatz trug zu einem Nettozuwachs von rund 800.000 Arbeitsplätzen im US-amerikanischen verarbeitenden Gewerbe bei, während andere Industrieländer wie Deutschland Arbeitsplatzverluste verzeichneten und der allgemeine Trend zur Automatisierung die Beschäftigung in der Industrie reduzierte. Jetzt sehen wir, wie Trump seine schlecht durchdachten Pauschalzölle durchsetzen will. Wir erleben die größte selbst verschuldete Wirtschaftskatastrophe seit dem Brexit. Trumps Ansatz könnte die orthodoxe Freimarktpolitik genau in dem Moment bekräftigen, in dem wir intelligentere Alternativen brauchen.Placeholder image-4Es existieren Vorwürfe, die Regierung hätte Chat GPT zur Berechnung der weltweit erhobenen Zölle verwendet. Wer regiert die USA tatsächlich? Donald Trump, Elon Musk oder gar KI?Es scheint wirklich so, dass zumindest zur Erstellung der Länderlisten große KI-Sprachmodelle verwendet wurden. Das eigentliche Problem ist nicht der Einsatz von KI, sondern die fehlerhafte Gleichung selbst. Ob diese nun mit Papier und Stift oder KI entwickelt wurde, ist sekundär. Die Zölle werden wahrscheinlich Sekundärexporte ankurbeln und keine kohärenten strategischen Ziele erreichen. Das untergräbt das Vertrauen der Investoren in die USA und die Strategie der Währungsabwertung zur Ankurbelung der Exporte wird fehlgeleitet – wir befinden uns nicht im Ostasien der 1970er- oder 1980er-Jahre. Die expansive Politik der USA war lange Zeit vom Status des Dollars als Reservewährung abhängig. Paradoxerweise könnte Trumps Ansatz die Erosion beschleunigen und künftige Regierungen zu Sparmaßnahmen und erneuertem Freihandel drängen – was sowohl der industriepolitischen Agenda der Linken als auch ihrem Widerstand gegen die Defizitfalken schaden würde.Wie würden Sie den aktuellen Zustand der amerikanischen Linken beschreiben?Die amerikanische Linke ist heute eine sichtbare und reale politische Kraft. Jahrelang war sie vage in der Wissenschaft und in kleinen Gruppen der Zivilgesellschaft vertreten, das hat sich aber verändert. In einem parlamentarischen System wie dem deutschen könnte sie 20 bis 25 Prozent der Stimmen erhalten. In New York City liegt der sozialistische Bürgermeisterkandidat in Umfragen auf dem zweiten Platz. Dennoch ist die Linke – in den USA und international – weit weniger in der breiteren Arbeiterschaft verwurzelt als früher. Historisch gesehen bildeten Berufe wie Postangestellte, Lehrer und Krankenpfleger den Kern der Mitte-Links-Bewegungen. Der Wiederaufbau einer solchen breiten sozialen Basis ist entscheidend.Placeholder image-3Sie sehen das als langfristigen Prozess, der strategischer Planung bedarf?Auf jeden Fall. Aktuell sehen wir Initiativen wie „Fighting Oligarchy“ mit Alexandria Ocasio-Cortez und Bernie Sanders. Ob das ein großer Erfolg war, werden wir sehen, aber zumindest wurde bestätigt, dass sie nicht nur Wahlkampf-Politfiguren sind. Sie präsentieren eine moralische und ethische Politikidee und reisen an Orte wie Nebraska, um der Arbeiterklasse zu vermitteln, dass es eine Alternative zur Oligarchie gibt. Die Medienberichterstattung zeigt, wie Progressive in traditionell feindseligen Regionen aktiv mit Wählern interagieren. Es geht um eine starke symbolische Botschaft: Wir konkurrieren um den Kampf der Ideen. Wir lehnen niemanden ab. Kein Bundesstaat, keine Bevölkerungsgruppe wird abgeschrieben. Bemerkenswert ist, wie AOC den Fokus auf wirtschaftliche Belange verlagert hat. Nach der Wahl bemühte sie sich, Menschen zu erreichen, die sie einst unterstützten und nun Trump gewählt haben. Kurz nach der Wahl hat sie ihre Pronomen aus ihrer Webseiten-Bio entfernt. Eine symbolische Maßnahme, um sich neu zu positionieren: Ungleichheit, Gesundheitsreform, Arbeit und Gewerkschaften stehen nun im Vordergrund. Über Bernie Sanders sagt man gerne: „Ich bin nicht seiner Meinung, aber er glaubt an das, was er sagt.“ In Zeiten geprägt von tiefem Zynismus gegenüber etablierten Politikern ist das das größte Kompliment, das man bekommen kann.Politische Partizipation kann nicht durch Verbreitung von Angst gefördert werden, vor allem, wenn es um den Aufbau einer Massenbewegung der Arbeiterklasse geht.Die Straßenproteste gegen die jetzige Regierung gewinnen nur langsam an Dynamik. Wie erklären Sie sich das?Teilweise liegt das daran, dass Trump heute mehr Legitimität genießt als 2017 – er gewann tatsächlich die Mehrheit der Stimmen, die Republikaner kontrollieren beide Häuser, und es gibt ein klareres demokratisches Mandat. In der Linken herrscht berechtigte Sorge über den wachsenden Autoritarismus, insbesondere über die Kriminalisierung von Protesten. Wir erleben, dass pro-palästinensische Demonstranten, oft mit Studentenvisa oder unbefristeter Aufenthaltserlaubnis, wegen Aktivismus die Abschiebung droht. Staatliche Eingriffe gibt es aber auch in Europa. Großbritannien kann journalistische Veröffentlichungen aus Gründen der nationalen Sicherheit einschränken und in Deutschland und Frankreich wird ebenfalls rigoros und hart gegen pro-palästinensischen Aktivismus vorgegangen. Viele im linken Lager neigen zu Alarmismus. Ich halte es für kontraproduktiv, zu behaupten, wir lebten in einem faschistischen Regime und die Regierung würde bei jedem Friedensaktivisten an die Tür klopfen. Das erweckt den Eindruck, als müssten wir in den Untergrund abtauchen. Partizipation kann aber nicht durch die Verbreitung von Angst gefördert werden, vor allem, wenn es um den Aufbau einer Massenbewegung der Arbeiterklasse geht.Placeholder image-2Tech-Oligarchen dominieren heute auch die Medienwelt. Elon Musk mit X, Jeff Bezos mit der „Washington Post“ und Mark Zuckerberg mit Facebook und Instagram. Der Umgang damit kann unterschiedlich ausfallen.Kapitalisten kontrollieren die sozialen Medien, aber es gibt alternative Kommunikationswege wie E-Mail, Messenger oder den direkten Zugang zu Websites wie Jacobin oder The Nation. Wir sehen, dass Menschen nach alternativen Quellen suchen und diesen auch vertrauen. X wegen Musk zu boykottieren kommt ihm letztendlich zugute. Es drängt politisch engagierte Nutzer zu Plattformen wie Blue Sky, während das rechte Publikum bleibt und die politisch indifferente Mitte noch mehr rechten Inhalten ausgesetzt wird. Moralismus der US-Linken bringt uns nicht weiter. Er hatte in seiner Geschichte Stärken, wie die Opposition gegen den Ersten Weltkrieg oder das Eintreten für Bürgerrechte. Der Moralismus ist fest in den Universitäten angekommen und wurde durch die amerikanische Wissenschaft exportiert. Aber wenn es um politische Strategie geht, könnte ein rationalerer, europäischer, sozialdemokratischer Ansatz hilfreicher sein.Ich bin nicht von einer breiten globalen Verschiebung in Richtung Autoritarismus überzeugt. Die Türkei oder Ungarn betrachte ich als Einzelfälle.Könnte das aktuelle politische Klima eine Chance für linke Medien sein, insbesondere das Abdriften der Rechten in Richtung Autoritarismus?Ich bin nicht von einer breiten globalen Verschiebung in Richtung Autoritarismus überzeugt. Die Türkei oder Ungarn betrachte ich als Einzelfälle. Die USA und Deutschland verfügen über robuste demokratische Systeme. Unser Kampf zielt eher darauf ab, eine soziale Basis rund um klare wirtschaftliche Botschaften wiederherzustellen, als die Demokratie an sich zu verteidigen. Eine starke, auf wirtschaftliche Themen fokussierte Arbeiterschaft ist der Schlüssel zum Erhalt demokratischer Rechte. Schauen Sie sich Südkorea und Brasilien an, wo demokratische Übergänge hart erkämpft wurden und Versuche, sie zu untergraben, erfolglos blieben. Ich bin zutiefst besorgt über die Rechte von Einwanderern, aber die Verbreitung von Angst vor Massenrepressionen ist nicht konstruktiv. Wir sollten Vertrauen fördern und Menschen helfen, politische Risiken zu meistern, ohne auf übertriebene Warnungen zurückzugreifen.Die Trump-Administration führt auch einen Krieg gegen Kultur und Kunst, die seit Langem auch eine wichtige Soft Power sind. Welche Auswirkungen hat es, wenn sie von ihrer eigenen Regierung als radikal links diffamiert werden?Als Amerikaner mit eingewanderten Eltern sehe ich, dass die amerikanische Kultur, ob gut oder schlecht, weltweit hegemonial ist. In Südindien sieht man Menschen in Michael-Jordan-Shirts – das ist Soft Power in Aktion. Das eigentliche Problem sind die weitreichenderen Auswirkungen. Die Rechte kritisiert „verschwenderische“ Ausgaben, wie die Finanzierung der Sesamstraße im Irak, als ob es nach Hunderttausenden von Toten und der Zerstörung und Zerschlagung des Landes eine große Sünde wäre, Bildung für irakische Kinder zu unterstützen. Das finde ich als Internationalist beunruhigend. Kurz gesagt: Die USA werden ein kulturelles Zentrum bleiben. Sei es mit dem nächsten Marvel-Blockbuster oder dass wir Talente aus dem globalen Süden anziehen. Nur könnten die von uns benötigten Einwanderer aus der Arbeiterklasse auf noch größere Hürden stoßen, um ins Land zu kommen. Ich sehe nicht die Kultur in Gefahr, aber unsere wirtschaftliche Zukunft. So könnten wir in 50 Jahren Ländern wie Frankreich ähneln – ein Land mit hohem Einkommen, das einst die Welt dominierte, aber nach wie vor eine zentrale Rolle in der globalen Kultur spielt.Placeholder image-1Bhaskar Sunkara ist 1989 geboren und Gründer von Jacobin und Catalyst: A Journal of Theory and Strategy. Er schreibt unter anderem für die New York Times und The Nation, 2019 veröffentlichte er The Socialist Manifesto: The Case for Radical Politics in an Era of Extreme Inequality



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Von Veritatis

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