David Christner trat aus der Grünen Jugend aus. Mit Mitstreitern gründete er nun die Organisation „Junge Linke“. Der Bundessprecher über das Verhältnis zur Linkspartei, das Versagen der Großen Koalition und Politik für Arbeiter*innen
David Christner
Foto: privat
Im Herbst 2024 hatten mehrere Mitglieder die Grüne Jugend verlassen, unter ihnen die Bundessprecherin Sarah-Lee Heinrich. Sie übten scharfe Kritik an ihrer Mutterpartei und machten sich auf den Weg, um eine neue linke Organisation zu gründen. „Zeit für was Neues“ lautete der Arbeitstitel. Einige Aktive beteiligten sich am Bundestagswahlkampf der Linkspartei, sonst blieb es lang ruhig um die neue Gruppe. In Berlin fand nun im April die erste bundesweite Mitgliederversammlung statt, auch ein neuer Vorstand wurde gewählt. Der neue Bundessprecher ist David Christner. Er ist Jahrgang 2002, wuchs in Frankfurt am Main auf und studiert Psychologie. Bis November 2024 war er Landessprecher der „Grünen Jugend“ in Niedersachsen. Der Freitag sprach
erste bundesweite Mitgliederversammlung statt, auch ein neuer Vorstand wurde gewählt. Der neue Bundessprecher ist David Christner. Er ist Jahrgang 2002, wuchs in Frankfurt am Main auf und studiert Psychologie. Bis November 2024 war er Landessprecher der „Grünen Jugend“ in Niedersachsen. Der Freitag sprach mit Christner über die politischen Pläne der Abtrünnigen, die Einsamkeit junger Menschen und die hohlen Phrasen der Bundesregierung.der Freitag: Herr Christner, mit anderen Ex-Grünen haben Sie kürzlich einen neuen linken Verband gegründet. Bei der Konferenz wurde der bisherige Name „Zeit für was Neues“ in „Junge Linke“ umbenannt. Was ist der Hintergrund?Christner: Mit dem Übergangsnamen „Zeit für was Neues“ wollten wir zum Ausdruck bringen, dass wir nicht irgendetwas kopieren. Wir wollen stattdessen einen Beitrag dazu leisten, linke Politik neu zu erfinden. Unser neuer Name „Junge Linke“ beschreibt grundsätzlich ziemlich präzise, wer wir sind: eine junge, linke Gruppe. Sie tragen nun zugleich nun gleichen Namen wie die Jugendorganisation der KPÖ in Österreich. Wollen Sie dem Linkspartei-Jugendverband „Linksjugend/Solid“ Konkurrenz machen?Nein, wir sind eine parteiunabhängige Organisation und wollen nicht die Rolle einer Parteijugend einnehmen. Ich glaube, dass wir als gesellschaftliche Linke insgesamt wieder zu Stärke finden müssen, damit wir wieder substanziellen Einfluss ausüben können. Wir haben auch nicht den Masterplan, aber wir wollen uns als Teil einer Suchbewegung auf den Weg machen. Ich freue mich über jeden, der sich mit uns auf diese Suche begibt – dazu zählt natürlich auch Linksjugend/Solid.Die Linke hat zuletzt an Stärke gewonnen und ihr klassenpolitisches Profil geschärft. Warum nicht jetzt beitreten?Die Partei Die Linke hat bei der Wahl einen bemerkenswerten Erfolg erzielt. Selbstverständlich ist sie für uns ein wichtiger Bezugspunkt. Wir verfolgen mit großem Interesse, wie sich die Partei erneuert. Schafft es die Partei, Arbeiter*innen zu gewinnen und zur Partei der Leute, die den Laden am Laufen halten, zu werden? Waren die tausenden Haustürgespräche nur ein Wahlkampfinstrument oder wird die Partei in Zukunft tatsächlich ganze Stadtteile nachhaltig zusammenbringen? Will sie zur Stimme derjenigen werden, die jahrelang vom Establishment ignoriert wurden – oder will sie lieber zum Establishment dazugehören? Ohne Zweifel spannende Entwicklungen.Und?Für uns geht es gerade darum, dass wir nun als parteiunabhängiger Jugendverband unsere eigenen Projekte aufbauen werden. Damit wollen wir dazu beitragen, dass wir als Linke insgesamt wieder richtig stark werden.Wie wollen Sie das machen?Wir wollen für und mit den Menschen, die den Laden am Laufen halten, Politik machen. Konkret werden wir in den nächsten Monaten vor allem in die Stadtteile gehen, für die sich die Politik am wenigsten interessiert. Durch Hilfe bei der Job- oder Therapieplatzsuche, bei Problemen mit Vermietern oder dem BAföG-Amt möchten wir zum einen nützliche Angebote schaffen. Zum anderen wollen wir mit Freizeitangeboten wie zum Beispiel Stadtteilfesten oder Nachbarschafts-Cafés Gemeinschaft organisieren und der Vereinzelung entgegenwirken.Vereinzelung?Die kapitalistische Logik, die unseren Alltag durchdringt, erschwert es enorm, dass echte Gemeinschaft entsteht, in der wir solidarisch miteinander umgehen, aufeinander achten und in der eben gerade nicht gilt, dass jeder und jede allein für sich kämpft. Immer mehr Gemeinschaftsräume werden weggespart. Menschen wieder zusammenzubringen ist unserer Ansicht nach ein erster wichtiger Schritt, um in der Organisierung der arbeitenden Klasse voranzukommen. Doch davon sind wir meilenweit entfernt. Da möchten wir ansetzen.Ein bisschen Sozialhilfe, ein bisschen Kulturangebote – inwiefern kann diese Strategie an strukturellen Problemen etwas verändern?Unsere Angebote sollen bei Herausforderungen des Alltags unterstützen, damit knüpfen wir an reale Sorgen an. Gleichzeitig sollen sie auch Räume der Selbstermächtigung sein. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als es noch eine große Arbeiterbewegung gab, haben die Sozialdemokratie und ihre Vorfeldorganisationen sehr umfassend das Leben der arbeitenden Bevölkerung organisiert. Daraus ergab sich ihre Stärke. Um eine solidarische Gesellschaft vorstellbar zu machen und voranzubringen, müssen wir Solidarität ganz praktisch im Alltag erlebbar machen. Wir möchten dafür Angebote schaffen, die auch Leute außerhalb der typischen linken Bubble erreichen.Stichwort linke Bubble: Sie haben nun einen neuen Bundesvorstand gewählt. Was haben die Mitglieder für einen Hintergrund?Die gesamten Mitglieder unseres Bundesvorstands treibt es politisch an, wie sie und ihre Umgebung im Stich gelassen werden. Ob bei ihrer Arbeit im Krankenhaus oder in der Gewerkschaft. Als Tochter einer alleinerziehenden Mutter oder in einer Familie, in der man sich nicht mal eben einen Urlaub leisten kann. Ich selbst bin in Frankfurt am Main aufgewachsen. In der großen Bankenstadt fühlte es sich für mich und meine Freunde lange fast normal an, sich bei Minusgraden mit doppelter Thermohose draußen zu treffen. Einfach, weil es uns mit unseren kleinen Wohnungen an Orten gefehlt hat, wo wir sonst zusammenkommen konnten. Heute habe ich mit Druck bei Prüfungen oder Einsamkeit zu kämpfen. In der Vergangenheit haben viele von uns für Veränderungen an die Politik appelliert. Mit Junge Linke nehmen wir das nun selbst in die Hand.Wie genau?Aktuell haben wir 15 Ortsgruppen, unter anderem in Dresden, Duisburg, Kiel oder München. Wir sind über 200 Aktive und wollen nun nach unserer Konferenz auch nochmal Neue einladen, mitzumachen. Der politische Rahmen, in dem Sie arbeiten, wird derzeit für die nächsten Jahre abgesteckt. Kürzlich wurde der neue Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD vorgestellt. Was ist Ihr Eindruck?Der SPD-Chef Lars Klingbeil hat bei der Verkündung des Koalitionsvertrages stolz gesagt, dass es gelungen sei, mit der CDU Brücken zu bauen. Brücken bauen heißt hier jedoch ganz konkret: Sozialabbau, Überwachung, Aufrüstung, Abschottung und eine Steuerpolitik, die Reiche noch mächtiger macht. Wenn wir beim Bild bleiben: Während die Herrschenden ihre Brücken bauen, müssen Menschen im Land unter ihnen schlafen oder werden von diesen herunter geschubst. Weder gegen die Preissteigerungen noch gegen die hohen Mieten wurden ernsthafte Maßnahmen präsentiert. SPD und CDU versuchen uns mit leeren Phrasen für dumm zu verkaufen, während wir unter ihrer Politik leiden werden. Sehen Sie einen relevanten Unterschied im Vergleich zur Vorgängerregierung?In der Ampel-Koalition gab es Projekte, wie das 9-Euro-Ticket, die kurzzeitig Hoffnung gemacht haben. Mit dem Schuldenpaket hat die GroKo nun das Geld, welches der Ampel an Stellen gefehlt hat. Jedoch ganz gleich, ob Ampel oder GroKo – eine Politik für arbeitende oder junge Menschen macht niemand von ihnen. Viele Ihrer Aktiven waren vorher bei den Grünen. Diese sind jetzt in der Opposition. Sehen Sie Möglichkeiten, in bestimmten Fragen zusammenzuarbeiten?In der Grünen Jugend haben wir die Erfahrung gemacht, unseren eigenen politischen Ansprüchen nicht gerecht werden zu können. Als Jugendorganisation waren wir in unserer Rolle gefangen. Wie sollten wir glaubhaft gegen die steigenden Preise protestieren, wenn unsere Partei die Inflation nicht ausreichend bekämpft hat? Ich kenne viele tolle Menschen, die weiterhin innerhalb der Grünen für eine gerechtere Welt einstehen. Ich wünsche ihnen ehrlich viel Erfolg. Direkte Anknüpfungspunkte sehe ich momentan nicht.Sie setzen auf eine langfristige Strategie, gleichzeitig scheinen sich die Konflikte weltweit zuzuspitzen, die AfD hatte in Umfragen kurzzeitig schon die CDU überholt. Wie viel Zeit bleibt denn noch?Das Argument der fehlenden Zeit führt oft dazu, dass man sich mit weniger zufriedengibt als notwendig ist. Um nachhaltig Druck von unten aufzubauen, sollte man besser schneller als später damit anfangen, als Linke wieder mit denjenigen zu arbeiten, die zu Recht frustriert sind. In der Summe können genau diese Menschen dann auch großen Druck für ihre Interessen erzeugen. Genau daran arbeiten wir.