Nach einem israelischen Angriff im Gazastreifen rettet ein Mann ein verletztes Kind
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Sollte sich im Verlauf der Untersuchungen der Bruch von Völkerrecht bestätigen, könnten die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs bald Folgen nach sich ziehen – wenn auch kaum für die drei Angeklagten
Als Antwort auf den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023, der mehr als 1000 jüdische Opfer verursachte, habe Israel „alles“ Recht sich zu verteidigen. Das verkündet nicht nur der Großteil der Medien westlicher Länder. Es bestimmt auch die politischen Stellungnahmen und das Handeln der engsten Verbündeten Israels.
Obwohl schnell offenbar wurde, dass das unbestrittene Selbstverteidigungsrecht in eine Kollektivbestrafung der Bewohner des Gazastreifens umschlug, deren Ausmaß unter „genozidalem“ Verdacht steht, erhält Israel weiterhin Waffen von den USA und Deutschland, ohne die es den Krieg, der sich bereits in einen Regionalkonflikt mit erheblichem Eskalationspotential entwickelt, nicht führen könnte.
Durch die Anklageer
entwickelt, nicht führen könnte.Durch die Anklageerhebung gegen drei Hauptverantwortliche hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag nun bekräftigt, dass das Selbstverteidigungsrecht Grenzen hat – nämlich die des Völkerrechts. Der von Karim Khan geleitetet IStGH erließ Haftbefehl gegen einen der Mitorganisatoren des 7. Oktober, den Palästinenser Diab Ibrahim al-Masri, bekannter unter dem Namen Mohammed Deif, sowie gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und dessen kürzlich entlassenen Verteidigungsminister Joaw Galant wegen vermutlicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.Netanjahu sei politisch und Galant militärisch verantwortlich, der „Zivilbevölkerung im Gazastreifen bewusst und wissentlich lebenswichtige Güter wie Essen, Wasser, Medikamente, medizinische Versorgungsgüter sowie Treibstoff und Strom“ vorenthalten zu haben. Interessant ist, dass der Zeitraum, in dem diese von Galant öffentlich als Verteidigungsmaßnahmen angekündigten Vorgänge untersucht werden sollen, zwischen 8. Oktober 2023 und 29. Mai 2024 festgelegt wurde. Das heißt, dass die Selbstverteidigung Israels von Anfang an unverhältnismäßig gewesen sein könnte. Da Israel dem IStGH nicht beigetreten ist, könnte man vermuten, dass Khan deshalb auch keine Verfahren gegen seine Politiker einleiten dürfe. Da jedoch die palästinensische Autonomiebehörde dem IStGH beigetreten ist, kann er sehr wohl Prozesse einleiten, die Vorkommnisse auf palästinensischem Territorium betreffen. Regierungen, die Israel unterstützt haben, könnten der Beihilfe angeklagt werdenDie von internationalen Gerichtshöfen angestrengten Verfahren ziehen sich über Jahre hin. Dennoch könnte die Anklageerhebung bald Folgen nach sich ziehen, wenn auch kaum für die drei Angeklagten. Mohammed Deif wurde von Israel als getötet gemeldet, was die Hamas allerdings nie bestätigt hat. Ob Netanjahu und Galant noch Auslandsreisen unternehmen werden, bei denen ihnen tatsächlich Verhaftung droht, darf bezweifelt werden. Viktor Orban hat den israelischen Ministerpräsidenten jedenfalls bereits eingeladen, um zu demonstrieren, dass er ihn nicht an Den Haag ausliefern werde.Aber mit der Untersuchung der Handlungen der drei Verantwortungsträger ist die politische Bedeutung der Anklage nicht erledigt. Sollte sich schon im Verlauf der Untersuchungen der Bruch von Völkerrecht bestätigen, können Regierungen, die Israels Kriegshandlungen im Gazastreifen unterstützt haben, der Beihilfe angeklagt werden. Insofern treiben die drei Haftbefehle des IStGH nicht nur Israel weiter in die internationale Isolation.Sichtbar werden auch politische Risiken, die ausgerechnet die Staaten treffen, die die Initiative für die Gründung dieses Gerichts ergriffen hatten, um das Völkerrecht zu schützen. Die noch amtierende Bundesregierung beruft sich in ihrer Stellungnahme sowohl darauf, dass sie an der Ausarbeitung der Statuten des IStGH beteiligt war als auch auf die besondere historische Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel.Immerhin behält sie sich vor, „innerstaatliche Schritte“ zu prüfen, die allerdings erst anstünden, „wenn ein Aufenthalt von Premierminister Benjamin Netanjahu und dem ehemaligen Verteidigungsminister Joaw Galant in Deutschland absehbar ist“. So landet der Schwarze Peter elegant bei der nächsten Regierung.