Endlos-Aufrüstung, Bürgergeld, Mietendeckel: Jetzt muss die Linke sich im Bundestag beweisen. Aber wie genau steht die Linksfraktion zu Russland, der Ukraine und zur NATO? Heidi Reichinnek zeigt klare Kante
Sie steht für die Zukunft der Linken: Heidi Reichinnek führte die Linke über Tiktok und Instagram und aus der Traufe in einen Wahlerfolg von fast neun Prozent bei der Bundestagswahl, und sie kann das Programm ihrer Partei in vier Minuten rappen. Nun aber muss die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag realpolitisch liefern: In der Opposition muss sie eine Bundesregierung von links unter Druck setzen, die von der AfD vor sich hergetrieben wird. Dabei ist die Linke in vielen Fragen noch immer nicht einer Meinung.
Der Freitag: Frau Reichinnek, im Wahlkampf planten Sie ein paar Ruhephasen nach der Wahl ein. Hat das geklappt?
Leider nicht. Es wäre wohl möglich gewesen, wenn nicht plötzlich der alte Bundestag noch einberufen worden wäre, für eine Grund
nach der Wahl ein. Hat das geklappt?Leider nicht. Es wäre wohl möglich gewesen, wenn nicht plötzlich der alte Bundestag noch einberufen worden wäre, für eine Grundgesetzänderung. Das konnten wir nicht vorhersehen. Außerdem haben wir ja jetzt eine deutlich größere Fraktion als gedacht – was super ist. Das heißt aber auch, dass die neuen Abgeordneten erst mal eingebunden werden müssen. An Urlaub ist da nicht zu denken.Hätten Sie sich je träumen lassen, dass der alte Bundestag noch ein 500-Milliarden-Sondervermögen Infrastruktur beschließt?Nein, und vor allem nicht so einen Blankoscheck für Aufrüstung. Dieses Vorgehen ist einmalig in der Geschichte, und das auch noch nach einer Wahl, bei der so viele Menschen wie nur einmal zuvor in der Bundesrepublik überhaupt an die Wahlurnen gegangen sind. Da dann plötzlich den alten Bundestag einzuberufen, unter anderem auch, weil man offenbar Angst vor einer starken Linken im neuen Bundestag hat – das finde ich demokratisch höchst fragwürdig. Auch in welcher Eile das alles beschlossen wurde! Die Fachausschüsse haben teilweise nur 20 Minuten über die Beschlussvorlage debattiert, etliche Fragen blieben unbeantwortet. Gesetzesänderungen von solcher Tragweite in dieser Geschwindigkeit durchzubringen, ohne dass man wenigstens die Auswirkungen genau diskutieren konnte – ich finde das skandalös.Ist mit dem Sondervermögen Infrastruktur auch eine linke Forderung erfüllt worden: mehr Geld für öffentliche Infrastruktur?Die spannende Frage ist: Wofür wird das Geld verwendet, ist das Sondervermögen wirklich dafür da, um die Infrastruktur zu stärken? Es wurde groß und breit behauptet, es werde in Schulen und Kitas gehen, aber wir haben ja das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildungspolitik. Da bin ich wirklich gespannt, wie die Koalition das machen will. Unsere Sorge ist, dass aus dem Sondervermögen Infrastruktur durch die Hintertür auch in Rüstung und Kriegsfähigkeit investiert wird. Indem beispielsweise Straßen so ausgestattet werden, dass Panzer in den Osten rollen können, statt etwa den ÖPNV auszubauen.Plant die Linke, gegen Aufrüstung auch jenseits des Bundestages aktiv zu werden?Man muss schon ganz klar sagen: Leider sind in der Linken in den vergangenen Jahren einige Strukturen zusammengebrochen, weil wir eine Zeit lang ziemlich am Boden waren. Da hätten wir mehr schaffen müssen, konnten wir aber nicht. Aber jetzt ist unser Ziel, gemeinsam mit den Gewerkschaften und der Friedensbewegung etwas auf die Beine zu stellen. Und wir müssen – auch mit den vielen Genoss*innen, die neu dazugekommen sind – in die Debatte darüber gehen, was eine linke Friedens-, Außen- und Verteidigungspolitik ist.Bei den Wahlen hat Die Linke viele Stimmen, etwa von Grünen-Wähler*innen, bekommen, die mit den außenpolitischen Positionen der Linken fremdeln – mit der Ablehnung von Waffenhilfe für die Ukraine und weil sie fürchten, dass die Partei die Gefahr, die von Putin ausgeht, unterschätze. Können Sie das ein wenig verstehen? Manche fürchten, dass die Linke die Gefahr, die von Putin ausgeht, unterschätzt.Ich glaube, die Geschichte mit der Putin-Freundschaft haben wir jetzt, nachdem sich das BSW abgespalten hat, hinter uns gelassen. Wir machen zudem immer wieder deutlich, dass wir die Schuld für diesen Angriffskrieg ganz klar bei Putin sehen …Dennoch gibt es die Befürchtung, dass der Linken nicht so ganz klar ist, wie gefährlich Putin ist …Vor dem Hintergrund dessen, was so manches Mal über uns verbreitet wird, kann ich verstehen, wenn so ein Eindruck bei einigen entstanden ist. Beispiel Bundeswehr. Da wird immer wieder die Geschichte erzählt, wir würden die Bundeswehr abschaffen wollen. Was aber nicht stimmt. Ich habe festgestellt, dass, wenn ich in Gesprächen unsere Position darlegen kann, es durchaus viele überzeugt.Was sagen Sie dann?Ich sage: Wir sind für die Bundeswehr als Verteidigungsarmee, wir wollen, dass sie gut ausgestattet ist, wir lehnen aber Auslandseinsätze ab, wir lehnen diese Aufrüstungsspirale ab, und wir wollen wissen, wo das ganze bisherige Geld – beispielsweise aus dem 100 Milliarden Sondervermögen – hin ist, wo es versickert ist? Unsere große Sorge ist, dass es nicht mehr um Verteidigung geht, sondern dass da ein neues Großmachtstreben entsteht.Im Koalitionsvertrag heißt es jetzt: „Wir stehen zu der auf dem Washingtoner NATO-Gipfel bekräftigten NATO-Beitrittsperspektive für die Ukraine.“ Wie sehen Sie das?Natürlich braucht die Ukraine Sicherheitsgarantien, als Teil eines Friedensschlusses. Aber gerade in der aktuellen Situation sollte man infrage stellen, ob die NATO aktuell diese Sicherheit überhaupt bieten kann. Die Außenpolitik der NATO-Staaten, insbesondere der USA, deutet eher nicht darauf hin. Die Perspektive der NATO-Mitgliedschaft scheint mir ein Hemmnis für Friedensverhandlungen zu sein. Dieser Satz aus dem Koalitionsvertrag zeigt aber, dass es auch der neuen Bundesregierung wohl nicht gelingen wird, aus diesem rein militärischen Konfliktlösungsdenken herauszukommen. Dabei gibt es in der Ukraine-Politik zwischen nichts tun und Waffenlieferungen einen großen Korridor an Handlungsmöglichkeiten, von denen viele nicht genutzt wurden: Nachdem der Angriffskrieg begonnen wurde, hätte man sofort die Vermögen und Immobilien der russischen Oligarchen im Ausland konfiszieren müssen.Wie sähe das konkret aus? Wir bräuchten ein Immobilienregister dafür, dazu haben wir Anträge gestellt – das hat leider keine Mehrheit gefunden. Ein weiterer Ansatzpunkt wäre, die russische Opposition zu stärken, auch indem man Deserteuren Schutz bietet. Das hat Olaf Scholz versprochen, es ist nicht passiert. Und der dritte Punkt wäre gewesen, diplomatische Initiativen beispielsweise von Brasilien und China aufzugreifen. Putin musste und muss weiterhin an den Verhandlungstisch gezwungen werden, es wird keine andere Lösung geben. Diese und andere Druckmöglichkeiten sind nicht genutzt worden, auch weil man den Fokus immer nur auf Waffenlieferungen gelegt hat.Die Wehrpflicht wird nicht wieder aktiviert, stattdessen strebt die Bundesregierung einen freiwilligen Wehrdienst nach schwedischem Modell an.Es ist erst einmal gut, dass keine allgemeine Wehrpflicht eingeführt wird. Allerdings ist schon auffällig, dass immer wieder betont wird, dass zunächst auf Freiwilligkeit gesetzt würde. Man lässt sich eine Hintertür offen. Wir werden deutlich dagegenhalten, wenn sich die Koalition doch immer weiter Richtung Zwangsdienst bewegt! Niemand darf zum Dienst an der Waffe gezwungen werden.Placeholder image-1Nicht nur die Wähler*innen, sondern auch die Mitglieder der Linken sind in diesem Thema gespalten – Bodo Ramelow beispielsweise hat sich 2022 öffentlich für die Wehrpflicht ausgesprochen, und prominente Fürsprecher*innen für Waffenlieferungen gibt es auch in der Linken. Gibt es einen Plan, solche strittigen Themenfelder noch einmal zu besprechen?Ines Schwerdtner und Jan van Aken haben die Themen als Parteivorsitzende sehr im Blick. Es gibt mehrere, über die wir diskutieren müssen. Dazu gehört Migration, dazu gehört Außenpolitik, dazu gehört auch das Thema Sexarbeit. Mir persönlich ist es wichtig zu sagen: Natürlich haben Menschen in unserer Partei das Recht, unterschiedliche Positionen zu vertreten, weil wir eben keine Sekte sind. Bodo Ramelow hat das Recht zu sagen, dass er für die Wehrpflicht oder Waffenlieferungen ist. Und er kann für diese Positionen werben.!—- Parallax text ends here —-!Ich weiß aber, dass er, wenn er als Bundestagsabgeordneter agiert, auf Basis des Parteiwahlprogramms abstimmen wird. Das erwarte ich auch von ihm und allen anderen. Ich bin nicht hier, weil ich Heidi Reichinnek bin und die Leute mich so toll finden. Ich bin hier, weil Menschen die Linke gewählt haben. Deswegen vertrete ich das Programm der Linken, auch wenn ich selbst an bestimmten Stellen Differenzen damit habe. Und wenn es zu einem Diskussionsprozess kommt und zu Änderungen, dann hat es die Mehrheit so entschieden, und dann muss man entsprechend seiner Politik gestalten.Im Bundesrat haben die von der Linken mitregierten Länder Mecklenburg-Vorpommern und Bremen für Aufrüstung und Sondervermögen gestimmt, obwohl Fraktion und Parteivorstand dagegen waren. Warum? Die Mehrheit hing ja nicht an ihren Stimmen.Am besten sprechen Sie da mit den Genoss:innen aus Mecklenburg-Vorpommern und Bremen.Sie haben ja sicherlich mit Ihren Genoss*innen darüber gesprochen …Natürlich gab es Gespräche. Ich bin nicht zufrieden mit der Entscheidung. Ich verstehe aber die Argumentation durchaus: Bremen und Mecklenburg-Vorpommern haben gesagt, wir sind wirklich verzweifelt, weil die Länder einfach kein Geld haben. Die wurden de facto erpresst: Stimmt zu, sonst gibt es gar nichts. Jetzt haben wir natürlich auch argumentiert: Aber es hängt doch nicht an euren Stimmen. Ihr Standpunkt war: Wir brauchen dieses Geld, und dann fühlen wir uns auch in der Pflicht, zu sagen, okay, dann sind wir bereit, da mitzugehen. Ich persönlich sehe das komplett anders, gerade weil wir als Linke nicht einbezogen wurden. Fakt ist aber auch: dass so was nicht nur in der Linken passiert, also dass Bund und Länder anders abstimmen. Trotzdem ist es für uns ein Auftrag, zu klären, wie wir das in Zukunft anders hinbekommen. Denn klar ist ja, dass das nicht zu Begeisterung in der Partei führt.Die AfD ist im neuen Bundestag doppelt so stark wie im alten, gerade überholt sie die CDU in den Umfragen. Wie möchten Sie die AfD zurückdrängen?Unsere Strategie ist zum einen, Sozialpolitik nach vorn zu stellen. Zum anderen müssen wir als Partei vor Ort sein. Ich weiß, Berlin ist etwas anderes als das platte Land in Sachsen-Anhalt. Aber in Lichtenberg zum Beispiel war Beatrix von Storch für viele fast schon gesetzt. Und Ines Schwerdtner hat es trotzdem geschafft, gegen sie zu gewinnen: weil sie an den Haustüren war, weil sie ihre Sozialberatung angeboten hat. Genau das muss sich in die Fläche tragen. Und wir haben ja noch Strukturen im Osten!Weniger starke Strukturen als früher, oder?Klar, in den letzten Jahren ist vieles weggebrochen, aber nicht überall, und vor allem haben wir jetzt eine ganz andere Dynamik. Ein Beispiel aus meiner Heimat: In Querfurt gibt es ein Büro von Kerstin Eisenreich, unserer Landtagsabgeordneten. Plötzlich gibt es viele neue Leute in der Partei, die gemeinsam mit denen, die schon seit Jahren ihr Gesicht vor Ort für uns hinhalten, diese Struktur für neue Angebote nutzen können. Wir haben eine Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt, die mit ihrer Vorsitzenden Eva van Angern fantastische Arbeit macht, Themen setzt, Probleme aufdeckt. Das alles muss wieder ineinandergreifen. Das passiert alles nicht über Nacht, das weiß ich auch, aber die Richtung stimmt. Es wäre Träumerei, zu sagen, wir können nächstes Jahr den Osten retten. Aber ich bin überzeugt davon, dass wir ihn Schritt für Schritt zurück erkämpfen können.Ich bin überzeugt davon, dass wir den Osten Schritt für Schritt zurück erkämpfen könnenUnd wann kommt der Mietendeckel?Wenn es nach uns geht, schon vorgestern. Wir werden bald eine Konferenz dazu machen, um uns mit zivilgesellschaftlichen Akteuren hinzusetzen und zu schauen, welches Konzept wir genau vorschlagen , wie gehen wir auf die Straße dafür, wo und wie wir Druck machen. Es gibt Bündnisse, es gibt Aktivist*innen, die muss man zusammenbringen. Wir haben außerdem schon die ersten Erfolge beim Thema Mietwucher erzielt. Es gibt Städte, die nach dem Vorbild unseres Mietwucher-Rechners selbst solche Portale einführen wollen und dafür Stellen schaffen.Neben dem Wohnen ist das Bürgergeld eine zentrale soziale Frage – SPD und Union bekräftigen nun, dass sie zurück zu Hartz IV wollen, und nennen es „neue Grundsicherung“.Die ganze Debatte der letzten Monate und Jahre rund um das Thema ist enorm frustrierend. Es wird Stimmung gemacht mit falschen Zahlen, die viel zu selten eingeordnet wurden und ein völlig verzerrtes Bild rund um das Thema Bürgergeld in der Öffentlichkeit erzeugt haben. Wir haben versucht, dagegen anzugehen, aber man muss festhalten, dass es Konservativen und Liberalen durchaus gelungen ist, die teils faktenwidrigen Diskurse durchzusetzen und Menschen im Niedriglohnsektor gegen Menschen im Bürgergeldbezug aufzustacheln und damit vom tatsächlichen Konflikt ‚unten gegen oben‘ abzulenken. Diesem Trend werden wir entsprechende Bündnisse mit Gewerkschaften und anderen Akteuren aus der Zivilgesellschaft entgegensetzen, werden hart für gute Sozialpolitik kämpfen und im Parlament wie in der Öffentlichkeit aufklären.