Sandra Hüller und Tom Schneider setzen am Neuen Theater Halle Penthesilea und Achill an den Küchentisch. Das Publikum wird eingeladen, zu kosten. Sieht so der Beginn der Lösung aller Probleme aus?
Das Team hinter „Penthesile:a:s“: Dramaturg Uwe Gössel mit den Regiseur*innen Sandra Hüller und Tom Schneider (v. l.)
Foto: Benjamin Pritzkuleit
Das mit dem Küchentisch ist so eine Sache. Für die einen ist er zweckmäßiges Mobiliar für das tägliche Ernährungsprogramm, für die anderen ein Ort der gesellschaftlichen Auseinandersetzung im Kleinen. Welche Kraft doch diesem wahlweise runden oder eckigen Ding zugeschrieben wird – die Menschen zusammenzubringen! Zuletzt setzte Robert Habeck im Wahlkampf mit seinen Küchentischgesprächen auf diese Kraft und versuchte ihn zum politischen Symbol zu erheben.
Auch Sandra Hüller und Tom Schneider tun es ihm gleich, versuchen in ihrer Inszenierung von Penthesile:a:s am Neuen Theater Halle die Kraft des Küchentischs erneut zu beschwören. Mit den Mythengestalten Penthesilea und Achill würde man hier eher nicht rechnen. Doch g
Penthesile:a:s am Neuen Theater Halle die Kraft des Küchentischs erneut zu beschwören. Mit den Mythengestalten Penthesilea und Achill würde man hier eher nicht rechnen. Doch genau die, oder besser zwölf Versionen derselben, versammeln sich an diesem Abend am Küchentisch. Dem Ort, an dem laut Hüller und Schneider eben auch das verhandelt werden kann: die Sehnsucht, die Lust, die Gier und vor allem die Wut und der Zorn auf das andere Geschlecht, nein, die Geschlechterordnung als Ganzes. Denn genau die versucht Marie Dilasser alias MarDi mit ihrer Textfassung, die hier zur deutschen Erstaufführung kommt, zu überschreiben.Bei Kleist ging es noch um die Frage, was es bedeutet, Frau zu seinDer Mythos ist über zwei Jahrtausende alt: Penthesilea ist Königin der Amazonen, eines Volkes, das keine Männer unter sich duldet. Um ihren Stamm dennoch am Leben zu erhalten, erobern sich die Amazonen ihre Männer in Schlachten gegen sie, vollziehen dann den Zeugungsakt mit ihnen und entlassen sie danach in die Freiheit. Während es dem Mythos nach allerdings Achilles ist, der Penthesilea im Kampf erschlägt, drehte Heinrich von Kleist in seinem Drama von 1808 die Verhältnisse um: Hier ist es Penthesilea, die Achill in rasender Wut zerfleischt. Und das, obwohl beide doch große Gefühle füreinander hegen.Während Kleist seinerzeit noch dafür kritisiert wurde, mit dem passiven Frauenbild zu brechen, scheint der Stoff bis heute genau deshalb geradezu populär zu sein: Er zeige die Ambivalenz der weiblichen Identität auf, sich gefangen zu finden zwischen Autonomie und Fremdbestimmung. Was bedeutet es, eine Frau zu sein, in einer Welt, die durch Männer dominiert wird? Und kann man sich deren kühlem, rationalem und dominantem Gebaren entziehen, ohne selbst davon Gebrauch zu machen?Placeholder image-1MarDis Textgrundlage für diesen Abend geht jedoch einen Schritt weiter als Kleist. Hier wird nicht nur die Frage nach Weiblichkeit in den Mittelpunkt gestellt, sondern gleich die heteronormative Dichotomie zwischen Mann und Frau als solche in Frage gestellt, ja sogar die Transzendenz der Geschlechter angestrebt: „Ich sickere ein durch den Stoff deiner Haut. Durch den Stoff deiner Stimme. Ich sickere durch alle deine Körperöffnungen ein“, heißt es da. Und: „Unsere Körper löschen. Saugen die Grenze auf, die sie trennt. Wir sind nicht ein Mann. Nicht eine Frau. Nicht zwei. Nicht drei. Wir sind anders. Wir sind Menge. Trans-Menge. Menge in Trance. In Transhumanz.“ Es ist ein dichter und assoziativer Text, der mal zärtlich, mal derb die Beziehung zwischen den beiden Held:innen analysiert. Allerdings mit einem besonderen Fokus: Es ist Penthesilea, die erzählt, und Achill hört zu.Wie die Speerspitze des Heeres sitzen die zwölf Schauspieler:innen am Bühnenrand, mit Blick auf die Küche hinter dem Ende der Bühne, deren Inneres nur durch ein Fenster zu beobachten ist – dazwischen gähnende Leere, durch die Achill:e:s und Penthesile:a:s immer wieder hindurchschreiten, um ihr Süppchen zu kochen. Denn ja – hier werden wahrhaftig Zwiebeln, Möhrchen und Kartoffeln geschält und geschnippelt. Doch Achill:e:s und Penthesile:a:s sprechen in dieser Küche nicht. Was erst wie eine Stimme aus dem Off klingt, sind die mal chorischen, mal einzelnen Stimmen vom Bühnenrand. Das Publikum wird dadurch gewissermaßen auf Abstand vom Geschehen gehalten, kann nur das sehen, was die eigene Sitzposition zulässt. All das soll es vermutlich ermöglichen, selbst nicht zu sehr ins Gefecht der Liebenden verwickelt zu werden, eine Beobachtungsdistanz zu entwickeln. Es sorgt auf lange Sicht aber auch für eine Entfremdung vom Spiel, gegen die auch die sphärischen Sounds von Moritz Bossmann nicht viel ausrichten können.Es sind gerade die Momente, in denen eine Verbindung zwischen dem konkreten Raum hinten in der Küche und dem unkonkreten Stimmenraum vorne hergestellt wird, die in diesem Stück kurzzeitig für Spannung sorgen können. Wenn Penthesile:a:s sich auf dem Hocker an der Kücheninsel mit dem Kaffee in der Hand zu Achill:e:s am Bühnenrand dreht, zum Beispiel, und er ihr mit sanfter, aber drängender Begierde beschreibt, wie gerne er gegen sie gekämpft hätte, sie fluchen, schimpfen, aber eben auch schreien und stöhnen gehört hätte, flirrt das im Raum und lässt teilhaben an der gefährlichen Mischung zwischen Eros und Thanatos.Der Faden, an dem Sandra Hüller und Tom Schneider sich festhalten Am Ende soll dieser leere Raum, der das Publikum vom Geschehen trennt, dazu dienen, die Menschen zusammenzubringen. Denn wer hat nach all den würzigen Gerüchen, die während des Stücks herüberwehten, keinen Appetit auf Suppe bekommen? Stühle und Tische, die vorher unsichtbar am Bühnenrand standen, werden jetzt zu einer Tafel aufgebaut. Und dann ist es auch schon so weit: Die Suppe wird serviert und das Publikum eingeladen, am verlängerten Küchentisch zu kosten.In einer Zeit, da der Raum für Begegnung schwindet, ehrt es Hüller und Schneider, ihn herzustellen. Sie hängen sich damit aber auch an den einzigen Faden, der ihnen zu bleiben scheint: die Utopien. Denn das liegt der Zusammenkunft am Küchentisch ja zugrunde: die Vorstellung, dass hier der Beginn der Lösung der Probleme der Welt liegt. Aber ob von hier aus die politische Revolution losgeht? Vom Theater, das theoretisch zwar offen für alle, vielen aber mangels Zugang praktisch verschlossen ist? Es kann nur der Anfang sein.