In „Coast Road“, dem Debüt des irischen Schriftstellers Alan Murrin, begegnen der unkonventionellen Dichterin Colette Crowley im erzkatholischen Küstenstädtchen Ardglas Ehrfurcht und Hass


Der Schriftsteller Alan Murrin schafft es nicht ganz, auf den „male gaze“ zu verzichten

Foto. Lena Obst


Der Debütroman Coast Road des Iren Alan Murrin, der Autor lebt seit einigen Jahren in Berlin, spielt in einer Zeit, in der das Recht auf Ehescheidung von vielen Ir:innen noch stark infrage gestellt wurde. Erst 1995 wurde in Irland für eine Abschaffung des Scheidungsverbots gestimmt, das Referendum fiel sehr knapp aus.

Colette darf sich nur räumlich von ihrem Mann trennen, nicht rechtlich

Ausgerechnet im Winter 1994, im letzten vor besagter Volksabstimmung, zieht die Dichterin Colette Crowley in das erzkatholische Küstenstädtchen Ardglas. Nachdem sie ihren Mann betrogen hat, von dem sie sich nur räumlich, nicht rechtlich trennen darf, und der ihr seither Unterhalt und den Kontakt zu den drei gemeinsamen Söhnen verwehrt. Die Künstlerin wohnt in einem in

2;nstlerin wohnt in einem in die Jahre gekommenen Cottage auf dem Berg, und während sich unter den Frauen des Dorfes eine vorsichtige Ehrfurcht ausbreitet, erfüllt Colettes Präsenz manch einen Mann mit blankem Hass.Wer denkt, die Figur Colettes begrenze sich auf die „Femme fatale“, liegt falsch. Die Figur ist komplexer, und dem Autor gelingt es, die Anzahl an gefühligen Adjektiven immer geradeso zu begrenzen, dass emotionale Szenen am Kitsch vorbeischrammen.Colette vermisst ihre Kinder so sehr, dass sie sich im Alkohol zu verlieren droht. Wäre da nicht Izzy, mit der sie sich anfreundet, der die Idee der Scheidung zwar suspekt ist, die aber selbst mit ihrer Ehe unzufrieden ist und mit Colettes Mutterschmerz mitfühlt. Izzy gelingt es, für Colette Treffen mit dem jüngsten Kind zu arrangieren: Wenn Mutter und Sohn heimlich Autoscooter fahren oder im Spaßbad wellenreiten, ist ihr zeitlich begrenztes Glück zärtlich und die Ungerechtigkeit nur schwer erträglich.Ein Schreibworkshop, der Colette wenigstens etwas Geld einbringt, gibt Möglichkeit, verschiedene Entwürfe des Frauseins schriftlich zu verarbeiten – und gewährt Colette gleichzeitig die Chance, nicht nur als „die Hexe vom Berg“ wahrgenommen zu werden, sondern auch als Lehrerin. Die Szenen, in denen die teilnehmenden Frauen sich ihre Ergüsse gegenseitig vorlesen, sich den Frust über Care-Arbeit, Wechseljahre und Andeutungen von häuslicher Gewalt von der Seele schreiben, zeugen von Humor, der das Projekt trotzdem nicht abwertet. In Zeiten von Inflation an Autofiktion, die nicht selten mit einer ermächtigenden Idee der „écriture féminine“ verbunden ist (man denke nur an Autorinnen wie Annie Ernaux), weiß man als Leserin heute mehr zu schätzen, wenn auf solch einnehmende Weise beschrieben wird, wie revolutionär es dieser fiktive Lesekreis in einer irischen Kleinstadt schon in den 1990er Jahren empfunden hat.Der Mangel an Blut und finsteren Stereotypen ist gut fürs KopfkinoTrotz feinfühliger Beobachtungen über die Strapazen von Frauen, denen kein Raum gegeben wird, sich eigenen Wünschen oder Entwicklungen hinzugeben, und stattdessen von entweder gewalttätigen oder latent apathischen Ehemännern mit Haushalt und Kindererziehung alleingelassen werden, schafft es der Autor stellenweise nicht ganz, auf den „male gaze“ zu verzichten. Die Frauenfiguren sind mitunter etwas zu besessen von ihrem Aussehen, und die Message wäre sicherlich auch ohne ständige Schwangerschaften angekommen.Der Unterhaltungswert von Coast Road überwiegt dennoch. Mord, Ermittlung, Aufdeckung, es ist nicht diese Reihenfolge, die sich in diesem ungewöhnlichen Roman niederschlägt. Auch auf einen schrullig-chauvinistischen Detektiv mit Heldenkomplex wird verzichtet. Weibliche Opfer gibt es: Die sind allerdings so vielschichtig charakterisiert, so nahbar und intelligent, dass sie den Roman, 2024 wurde Murrin dafür bei den Irish Book Awards als Newcomer des Jahres ausgezeichnet, lesenswert machen.Der Mangel an Blut und finsteren Stereotypen tut dem Kopfkino und der Spannung nichts ab, im Gegenteil: Es gibt wohl kaum einen Täter, der mehr Angst einflößt als das Patriarchat, das sich brodelnd durch Gesellschaft und Generationen schleicht. Bis es knallt.Coast Road Alan Murrin Anna-Nina Kroll (Übers.), dtv 2025, 384 S., 24 €



Source link

Von Veritatis

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert