Das Bündnis Sahra Wagenknecht gibt seinen Kampf um den Bundestagseinzug nicht auf und fordert eine Wahl-Neuauszählung. Weit schneller entschieden wird der Streit zwischen BSW-Bundesvorstand und Thüringer Landesverband um Katja Wolf sein


Umbau im Bundestag: Das BSW kämpft noch mit juristischen Mitteln gegen das knappe Wahlergebnis

Foto: Michael Kappeler/dpa/picture alliance


Die beiden Wörter noch nie waren beim Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) oft zu hören im vergangenen Jahr. Noch nie sei der Aufbau einer neuen Partei so früh in den Antritt bei Wahlen gemündet, noch nie habe Oskar Lafontaine einen Parteitag wie den ersten des BSW erlebt, ein knappes halbes Jahr später rief Generalsekretär Christian Leye nach dem Einzug ins Europäische Parlament: „Wir haben Parteiengeschichte geschrieben!“ Ähnlich klang es nach den Wahlerfolgen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg.

Im April 2025 sagt Christian Leye: „Das ist eine Situation in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, in der die Demokratie noch nie gewesen ist.“ Auf diese Premiere hätte das BSW gern verzichtet. Noc

22;Wir haben Parteiengeschichte geschrieben!“ Ähnlich klang es nach den Wahlerfolgen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg.Im April 2025 sagt Christian Leye: „Das ist eine Situation in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, in der die Demokratie noch nie gewesen ist.“ Auf diese Premiere hätte das BSW gern verzichtet. Noch nie sei eine Partei so knapp an der Fünf-Prozent-Hürde für den Bundestag gescheitert, während derartig viele Anomalien, Auffälligkeiten, Zähl- und Meldefehler bei der Feststellung des Wahlergebnisses aufgetreten seien. Deswegen hat die Partei nun Einspruch gegen das amtliche Endergebnis der Bundestagswahl beim Wahlprüfungsausschuss des Bundestags eingelegt.Was sie damit erreichen will, die komplette Neuauszählung einer Bundestagswahl, hat es noch nie gegeben. 0,019 Prozent, also 9.529 Stimmen, fehlen dem BSW laut amtlichem Endergebnis zum Bundestagseinzug. Um insgesamt 7.425 Zweitstimmen war dieses amtliche gegenüber dem vorläufigen Endergebnis nach oben korrigiert worden, 4.277 davon und somit fast 60 Prozent entfielen auf das BSW. Doch nur in einem Bruchteil der Wahlbezirke sind Ergebnisse überprüft, neu ausgezählt oder korrigiert worden. „Wir müssen davon ausgehen, dass, wenn komplett neu ausgezählt würde, es eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gibt, dass das BSW eigentlich im Deutschen Bundestag ist“, sagt Bundesparteichefin Amira Mohamed Ali. „Es würde für das BSW reichen, wenn bei einer Neuauszählung eine zusätzliche Stimme für das BSW in jedem zehnten Wahlbezirk gefunden wird.“Gleich nach dem Wahltag beschwerten sich Wähler beim BSWNicht, dass sie sich in der Bundesparteiführung um diese Auseinandersetzung gerissen hätten, mit der Art und Weise, wie in Deutschland Wahlen ausgezählt, Stimmenzahlen von einer Ebene auf die nächste übermittelt und Ergebnisse festgestellt werden. „Am Anfang war ich in internen Runden kritisch, ob das was bringt“, sagt etwa Generalsekretär Leye. Doch schon direkt nach dem Wahltag hatten sich Menschen bei der Partei gemeldet, die sicher von sich wussten, BSW gewählt zu haben, beim Studium der Ergebnisse ihres Wahllokals hinter dem Parteinamen aber eine Null fanden. Also begannen sie in der BSW-Zentrale, solche Meldungen zu sammeln und nachzurecherchieren, Screenshots von Ergebnistabellen zu sichern, Excel-Tabellen anzulegen, schrieben alle Kreiswahl- und Landeswahlleiter an und baten um Auskunft, ob und in welchen Wahlbezirken komplette Neuauszählungen stattgefunden haben.Rund die Hälfe derer, die überhaupt darauf antworteten, hätten verneint. Bei den übrigen Wahlkreisen habe der Anteil der komplett neu ausgezählten zwischen weniger als einem und fünf Prozent gelegen. Rund 50 komplette Neuauszählungen in Berlin, Niedersachsen und Sachsen hätten den Verdacht erhärtet, dass Stimmen für das Bündnis Sahra Wagenknecht in jeder Wahlurne falsch gezählt, zum Beispiel dem rechtskonservativen Bündnis Deutschland zugeordnet worden sind. Manch einer habe zuerst das Bündnis Deutschland angekreuzt, dies dann deutlich durchgestrichen und stattdessen sein Kreuz beim Bündnis Sahra Wagenknecht gesetzt, trotzdem seien solche Stimmen mitunter fälschlicherweise als ungültig gewertet worden. „Inzwischen bin ich der Überzeugung, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit die für den Bundestagseinzug des BSW nötigen Stimmen zusammenkommen, wenn komplett nachgezählt wird“, sagt Leye.In seiner internen Hochrechnung kommt das BSW auf 32.000 Stimmen, die ihm im Endergebnis vorenthalten worden sein könnten. Mehr als dreimal so viele wie zum Bundestagseinzug nötig. „Wir glauben nicht, dass wir betrogen wurden“, sagt Amira Mohamed Ali. „Wir glauben nicht, dass bewusst manipuliert worden ist bei der Auszählung, um uns rauszuhalten. Sondern wir glauben, dass da menschliche Fehler passiert sind, zum Teil Flüchtigkeitsfehler, die man einfach hat, wenn Menschen auszählen.“ Und dass die Zahl dieser Fehler noch nie so entscheidend gewesen sei für die Frage, ob eine Partei über die Fünf-Prozent-Hürde in den Bundestag gelangt.Mit dem BSW im Bundestag würde es für Union und SPD nicht reichenWäre das BSW dort vertreten, kämen Union und SPD allein nicht auf eine Mehrheit, sondern bräuchten Bündnis 90/Die Grünen für die Regierungsbildung. Dass das kein Ding der Unmöglichkeit wäre, hat die schwarz-rot-grüne Zwei-Drittel-Mehrheit für die Grundgesetzänderungen zu Schuldenbremse und Sondervermögen gezeigt. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg.Denn der Einspruch des BSW liegt nun in der Hand des Wahlprüfungsausschusses des Bundestags und damit bei den dort vertretenen Fraktionen. Noch sind die Ausschüsse des neuen Parlaments gar nicht besetzt, und für die Entscheidung über den Einspruch gibt es keine Frist für die Abgeordneten von CDU, CSU, SPD, Grünen, Linken und AfD – deren Fraktionen im Falle eines BSW-Einzugs Mandate abgeben müssten. Erst aber, wenn der Ausschuss den Einspruch zurückgewiesen hätte, könnte sich das BSW an das Bundesverfassungsgericht wenden. So sieht es das deutsche Wahlrecht vor. Denkbar ist unter vielem anderen, dass das Verfassungsgericht eines Tages den Bundestag dazu anhält, die Stimmauszählung und die Beschwerdemöglichkeiten zu verbessern, dem aktuellen Parlament aber Bestandsschutz gewährt. Bis zu einer finalen Entscheidung kann viel Zeit, womöglich eine ganze Legislaturperiode, vergehen. Die letzten der insgesamt 2.199 Wahleinsprüche gegen die Bundestagswahl im September 2021 hatte der Wahlprüfungsausschuss nahezu zwei Jahre später, im Juni 2023, abgewiesen.Viel Zeit für anderes als die Vorbereitung der Wahlprüfungsbeschwerde hatten sie in der BSW-Zentrale in Berlin seit der Bundestagswahl nicht. Allein daran liege es, heißt es dort, dass die Mitgliederaufnahme weiter stocke. Das sorgt für gewaltigen Frust in den Landesverbänden und bei Unterstützern an der Basis. Es habe zuletzt schlicht an Kapazitäten gefehlt, um Bewerbungen daraufhin zu prüfen, ob da nicht jemand Mitglied werden wolle wie jene Querulanten in Hamburg, die die dortige Landesverbandsgründung zunächst ins Chaos gestürzt hatten, heißt es entschuldigend bei der Bundesführung.Doch längst ist ein Kampf um beschleunigte Aufnahme und mehr Autonomie für die Landesverbände im Gange. Beim Landesparteitag in Thüringen am Wochenende steht nicht nur eine Kampfabstimmung um den Landesvorsitz ins Haus, sondern auch ein „Beschluss zur Aufforderung des Bundesvorstands, die Aufnahme von Mitgliedern durch den Landesvorstand des BSW Thüringen zu ermöglichen“ auf der Tagesordnung.Mitgliederpartei von unten oder Kaderpartei von obenDarum ist die offene Auseinandersetzung zwischen Erfurt und Berlin nicht einfach nur eine persönliche Fehde um Macht zwischen der im Urlaub befindlichen Bundesvorsitzenden Sahra Wagenknecht und der Thüringer Landeschefin und Finanzministerin Katja Wolf. Letzterer und ihrem Co-Vorsitzenden, Landesdigital- und Infrastrukturminister Steffen Schütz, geht es darum, dass aus dem BSW möglichst schnell eine Mitgliederpartei von unten wird. Die Berliner Führungsriege um Wagenknecht, Mohamed Ali und Leye will zwar auch nicht mehr auf ewig eine rigide von oben geführte Kaderpartei sein und dafür bis zum Jahresende derart an Mitgliedern wachsen, dass der nächste Bundesparteitag, voraussichtlich im November, allein der dann erreichten Größe wegen als Delegiertenparteitag abgehalten wird. Sein Interesse, die Zügel sehr zügig locker zu lassen, ist aber erkennbar gering und die Angst, die Kontrolle über das Gesamtgeschehen zu verlieren, weiter ausgeprägt vorhanden.Das betrifft vor allem die Frage, welche Schlüsse das BSW daraus zieht, dass es um die Fünf-Prozent-Hürde überhaupt derart bangen musste und nun im Nachhinein kämpfen muss. Gegenüber vorangegangenen Wahlen an Stimmen verloren hat die Partei am 23. Februar in den ostdeutschen Bundesländern. Die Regierungsbeteiligungen in Thüringen und Brandenburg gelten vielen als dafür ausschlaggebend, zu schnell habe man sich so zu den Etablierten zählen lassen. Eigentlich aber war das BSW angetreten, um vor allem Menschen, die mit der AfD liebäugeln oder sie schon gewählt haben, eine Alternative zu bieten.„Der Umstand, dass es in der AfD auch Neonazis und Rechtsextremisten gibt, sollte ein Grund mehr sein, die Anliegen der AfD-Wähler endlich politisch ernst zu nehmen, gerade weil diese Wähler bis auf einen sehr kleinen Teil eben keine Rechtsextremen oder Nazis sind“, schrieben Wagenknecht, Mohamed Ali und Leye Mitte April in einem Brief an Mitglieder und Unterstützer, und weiter: „Dass auch wir diese Anliegen in den Landesregierungen bisher nur unzureichend vertreten haben, hat einen relevanten Teil unserer potenziellen Wähler, die uns bei der Europawahl und den Landtagswahlen noch ihr Vertrauen gegeben hatten, bei der Bundestagswahl zur AfD zurückgetrieben.“Robert Crumbach tritt in Brandenburg als Landeschef abKoalitionsverhandlungen, Regierungsbildungen und die Einarbeitung in Ministerämter haben in jedem Fall Zeit und Energie gebunden, die für die Parteiarbeit fehlten. In Brandenburg hat Finanzminister Robert Crumbach gerade eine langwierige Haushaltsaufstellung hinter sich, die für die Koalition aus SPD und BSW nicht ohne Pannen lief – eine inzwischen zurückgenommene Ankündigung eines Einstellungsstopps für Lehrerinnen und Lehrer zeigt das deutlich. Crumbach will nun nicht mehr als Landeschef antreten und sich auf die Regierungsarbeit konzentrieren.Das sähe die Bundesspitze beim Erfurter Duo Wolf und Schütz gern auch so und hat sich offen hinter die Vorstandskandidaturen der Landtagsabgeordneten und Stadtrat-Fraktionsvorsitzenden aus Bad Salzungen, Anke Wirsing, und des Kinderpsychologen Matthias Bickel aus Bad Langensalza gestellt. Der Bleicheroder Bürgermeister Robert Henning will Landesgeschäftsführer werden.Ein neuer, nicht voll und ganz in die Regierungsarbeit mit CDU und SPD eingebundener Landesvorstand, so das Kalkül, würde sich mehr Raum für dissonante Töne gegenüber Konservativen, Sozialdemokraten und der für Mehrheiten im Thüringer Landtag nötigen Linken nehmen. Führte dies eines Tages gar zum Koalitionsbruch, müsste sich eine schwarz-rote Minderheitsregierung in altbekannt noch mühsamerer Thüringer Manier Mehrheiten suchen oder es käme zu Neuwahlen. Ohne Vorstands- und Ministerinnenamt stünden Wolf und Schütz in diesem Fall als einfache Landtagsabgeordnete da.Was Katja Wolf über die BSW-Regierungsarbeit in Thüringen sagtIn jenem Brief schrieben Wagenknecht, Mohamed Ali und Leye: „Aus der Entstehung der Landesverbände und der Landeslisten und der dünnen Personaldecke des BSW in der Anfangszeit resultiert auch der Umstand, dass es im BSW eine starke personelle Überschneidung von Landesvorständen und Fraktionen gibt und die Landesvorsitzenden in den Ländern, in denen wir an der Regierung beteiligt sind, zugleich Minister sind. Bei der Neuwahl der Gremien sollte diese Situation überwunden werden.“Doch Schütz und Wolf hielten zuletzt an ihrer erneuten Kandidatur beim Landesparteitag fest. Auch Finanzministerin Wolf hat eine komplizierte Haushaltsaufstellung hinter sich. „Wir haben in der Bildung, bei Krankenhäusern, beim Verbraucherschutz und bei der Unterstützung der Kommunen in den ersten 100 Tagen einiges erreicht und vertreten den Friedenskurs im Bundesrat kompromisslos. Im Gegensatz zu anderen Parteien“, sagte sie der Thüringer Allgemeine. Mit letzterem spielte sie auf die Bundesratsabstimmung zur Grundgesetzänderung an: Während die BSW-Regierenden in Thüringen und Brandenburg für ein Nein ihrer Landesregierungen zur Lösung der Schuldenbremse für Militärausgaben gesorgt hatten, hatten die in Mecklenburg-Vorpommern und Bremen mitregierenden Linken mit ihrem Ja den rüstungskritischen Kurs ihrer Bundestagsfraktion und -partei konterkariert.Beim Landesparteitag in Gera wird auch Generalsekretär Christian Leye erwartet„Der Haushalt ist ohne Kürzungen bei den wichtigen Themen ausgekommen, und wir haben trotz aller Schwierigkeiten mehr Geld für Zukunftsinvestitionen, sozialen Zusammenhalt und funktionierende Bildung durchgesetzt“, so Katja Wolf weiter. „Das alles sind Kernthemen des BSW gewesen.“ In Sachen Lehrermangel überlegt die Erfurter Brombeer-Koalition gerade, Zulagen für Lehrkräfte in Regionen mit besonders großem Mangel schon früher als bisher zu zahlen. „Menschen interessieren sich nicht für innerparteiliches Gerangel, sondern für Lösungen von Alltagsthemen.“ Für eine langfristige Lebensperspektive brauche das BSW Sichtbarkeit. „Und diese dringend benötigte Sichtbarkeit geben wir der Partei, indem wir Teil der Regierung sind und mitentscheiden können. Im Sinne derjenigen, deren Themen viel zu lange vernachlässigt wurden“, sagt Wolf.In Gera beim Landesparteitag wird auch Bundesgeneralsekretär Leye erwartet. Der war schon einmal als erfolgreicher Emissär im Freistaat unterwegs: beim Streit um die friedenspolitischen Formulierungen im Koalitionsvertrag und die grundsätzliche Frage der Regierungsbeteiligung. Die kriegskritische BSW-Handschrift im Koalitionsvertrag wurde deutlicher, die Regierung kam zustande. Hernach sagte Katja Wolf im Freitag: „Wir haben das gut miteinander geklärt.“ Und über ihr Verhältnis zur Parteigründerin: „Sahra Wagenknecht und ich wissen, dass wir unterschiedliche Rollen haben. Wir haben eine Ebene miteinander gefunden. Am Ende haben wir immer gut zusammengearbeitet.“Gelingt nun nicht erneut Ähnliches, könnte durch den fortgesetzten Streit bald schon die Frage im Raum stehen, bis wann es länger dauert: bis Wahlprüfungsausschuss oder Bundesverfassungsgericht über den BSW-Einspruch entschieden haben oder bis sich die junge Partei derart entzweit hat wie zuletzt die Linke.



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Von Veritatis

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