Zwei umfassende Beiträge der „New York Times“ und der Londoner „Times“ belegen, was lange bestritten wurde: die tiefe militärische und strategische Verwicklung von NATO-Mitgliedsstaaten in den Ukraine-Krieg. Demnach wird deren Kriegsbeteiligung seit Jahren vom europäischen Hauptquartier der US-Armee in Wiesbaden koordiniert. Für Deutschland stellen sich damit verfassungsrechtliche Fragen.

von Karsten Montag

Mehr als drei Jahre nach Beginn des russisch-ukrainischen Krieges berichten zwei große westliche Tageszeitungen über die tiefgreifende Beteiligung von Nato-Militärs an diesem Konflikt. Den Anfang machte die „New York Times“ (NYT). Unter dem Titel „Die Partnerschaft: Die geheime Geschichte des Krieges in der Ukraine“ erschien Ende März ein umfassender Artikel, der laut Autor Adam Entous auf 300 Interviews mit Regierungs-, Militär- und Geheimdienstvertretern in der Ukraine, den Vereinigten Staaten sowie weiteren Nato-Partnern basiert. Es handle sich um die „unerzählte Geschichte“ der „versteckten Rolle“ der USA bei den ukrainischen Militäroperationen.

Wenige Wochen später veröffentlichte die britische Tageszeitung „The Times“ Anfang April einen ähnlichen Beitrag mit dem Titel „Die unerzählte Geschichte der entscheidenden Rolle der britischen Militärchefs in der Ukraine“. Dieser bestätigt die tiefe Verstrickung der Nato-Staaten in Militäroperationen wie der ukrainischen Offensive 2023. Abweichend vom NYT-Artikel bezeichnet er jedoch die britischen Militärchefs als die „Köpfe“ der „Anti-Putin“-Koalition. Einigkeit herrscht wiederum bei der Frage, wer für den Misserfolg der Operationen verantwortlich ist: Dies sei eindeutig der Ukraine zuzuschreiben. Auch im Times-Beitrag wird auf die besondere Rolle des europäischen US-Hauptquartiers im hessischen Wiesbaden bei der Koordination der Einsätze und den Waffenlieferungen hingewiesen.

Da die militärische Beteiligung am Krieg hauptsächlich von deutschem Boden ausgeht, in Form von Aufklärung, Einsatzüberwachung und Strategieplanung, ergibt sich besonders aus deutscher Sicht ein schwerwiegendes rechtliches Problem. Denn sowohl im Grundgesetz als auch im Zwei-plus-Vier-Vertrag, der die deutsche Wiedervereinigung ermöglichte, ist geregelt, dass von deutschem Boden nur Frieden und kein Krieg ausgehen darf. Daran sind rechtlich gesehen auch die in Deutschland stationierten Streitkräfte der Nato-Partner gebunden.

Die Unterstützung der Ukraine bei der Aufklärung erfolgt mithilfe von Spionagesatelliten, Drohnen und Flugzeugen. Zur Steuerung von Drohnen wird in der Ukraine unter anderem auch das Starlink-Netzwerk des US-amerikanischen Unternehmens „SpaceX“ von Elon Musk verwendet. Die so ermittelten Zieldaten werden auf westliche Lenkwaffensysteme wie gelenkte Artilleriegeschosse, HIMARS-Mehrfachraketenstartsysteme, US-Kurzstreckenrakten vom Typ „ATACMS“ sowie britische und französische Marschflugkörper vom Typ „Storm Shadow“ beziehungsweise „SCALP“ übertragen.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte bereits im Juni 2024 darauf hingewiesen, dass der Einsatz der von den USA, Großbritannien und Frankreich an die Ukraine gelieferten Kurzstreckenraketen und Marschflugkörper nicht ohne die US-amerikanische Satellitenaufklärung und geschultes westliches Personal möglich sei. Dies habe unter anderem das abgehörte Gespräch deutscher Offiziere zum möglichen Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern offenbart. Darin wurden als mögliche Ziele die Kertsch-Brücke zwischen der Krim und dem russischen Festland sowie Munitionsdepots genannt.

Direkte militärische Beteiligung seit Frühjahr 2022

Der NYT-Beitrag beschreibt die Zusammenarbeit der militärischen Führung der USA in Europa mit dem ukrainischen Militär hinsichtlich des Einsatzes der westlichen Waffensysteme. Demnach habe die Kooperation zwischen dem in Wiesbaden stationierten 18. US-Luftlandekorps, ukrainischen Generälen sowie Geheimdienstmitarbeitern der westlichen Alliierten und der Ukraine mit der Lieferung von M777-Artilleriebatterien aus US-Beständen Ende April 2022 begonnen. Auf US-Seite seien General Christopher Cavoli, bis Juni 2022 Kommandierender General des US-Großverbands United States Army Europe and Africa und danach Nato- und EUCOM-Kommandeur, sowie zunächst General Christopher Donahue, bis Ende 2024 Kommandeur des 18. US-Luftlandekorps, verantwortlich gewesen. Donahue sei von Generalleutnant Antonio Aguto 2023 ersetzt worden, der seither die Operation „Atlantic Resolve“ leitet.

Auch hohe Offiziere anderer Nato-Länder sollen laut NYT im Hauptquartier der US Army Europe and Africa in der Wiesbadener Clay-Kaserne Aufgaben übernommen haben. So sei ein polnischer General zum Stellvertreter von Donahue ernannt worden. Ein britischer General habe die Leitung des Logistikzentrums, über das Waffen der Alliierten an die Ukraine geliefert wurden, übernommen. Ein Kanadier habe die Ausbildung der ukrainischen Soldaten überwacht. Hauptverantwortlicher Kontaktoffizier der Ukraine sei Generalleutnant Mychajlo Sabrodskyj gewesen. Die Operation soll den Codenamen „Task Force Dragon“ erhalten haben.

Jeden Morgen haben sich demnach ukrainische Nachrichtenoffiziere, Einsatzplaner, Kommunikations- und Feuerleitspezialisten mit ihren US-Partnern getroffen, um zu besprechen, welche russischen Waffensysteme und Bodentruppen die „reifsten und wertvollsten Ziele“ darstellen. Die Prioritätenlisten seien dann an ein Aufklärungscenter weitergegeben worden, wo die Offiziere die Datenströme analysierten, um die Standorte der Ziele zu ermitteln. Die Ziele wurden dem Beitrag zufolge „Points of Interest“ genannt. Diese Bezeichnung sei vom Geheimdienstchef des Europäischen US-Kommandos gewählt worden, damit die Beteiligten nicht lügen müssten, wenn sie gefragt würden, ob sie militärische Ziele an die Ukrainer weitergegeben hätten. Die Informationen seien nichtsdestotrotz von der ukrainische Armee verwendet worden, um die russischen Militäreinrichtungen unter anderem mit M777-Artilleriebatterien, Raketen und Drohnen unter Beschuss zu nehmen.

Ein „früher Beweis“ für den Erfolg der Kooperation sei ein Angriff auf das Hauptquartier eines russischen Großverbands in der Region Cherson gewesen, bei dem auch russische Generäle und Stabsoffiziere getötet worden seien. Immer wieder habe die US-Aufklärung die verlegten russischen Quartiere entdeckt, die dann von der ukrainischen Armee zerstört wurden. Im NYT-Beitrag werden weitere Angriffe mit US-amerikanischer Aufklärungsunterstützung auf die russischen Streitkräfte mit den M777-Artilleriebatterien beschrieben, bei denen je Einsatz zum Teil mehrere Hundert russische Soldaten ums Leben gekommen seien.

Auch bei den militärischen Auseinandersetzungen auf See war die US-Aufklärung maßgeblich beteiligt. Bereits die Versenkung des Flaggschiffs der russischen Schwarzmeerflotte „Moskwa“ durch die ukrainische Armee Mitte April 2022 soll mithilfe von Aufklärungsdaten des US-Militärs erfolgt sein, so die NYT. Der ukrainische Angriff sei jedoch nicht mit den USA abgestimmt gewesen. Die britische „Daily Mail“ hatte allerdings damals berichtet, ein US-Aufklärungsflugzeug habe nur Minuten vor dem Angriff die „Moskwa“ überwacht und die Zieldaten an die Ukraine weitergegeben. Bei einem ebenfalls 2022 durchgeführten Angriff ukrainischer Marine-Drohnen auf den Hafen von Sewastopol wurden mithilfe der CIA außerdem mehrere russische Kriegsschiffe beschädigt.

US-Armeeführung in Europa drängte auf Lieferung schwerer Waffensysteme

In westlichen Medien herrscht die Meinung vor, dass die frühen Forderungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj der Auslöser für die Lieferung schwerer Waffensysteme gewesen seien. Aus dem Beitrag der NYT geht jedoch hervor, dass die US-Generäle Cavoli und Donahue die Bereitstellung von US-Mehrfachraketenwerfern des Typs „HIMARS“ sowie zugehörige Lenkraketen mit einer Reichweite von 80 Kilometern vorgeschlagen haben. Grund dafür, so heißt es im Beitrag, sei die „enorme Überlegenheit der Russen in Bezug auf Personal und Ausrüstung“ gewesen.

Mit Lieferung der HIMARS-Raketenwerfer – die eine höhere Reichweite als die zuvor genutzten Artilleriebatterien hatten – ab Juni 2022 sei, so die NYT, die Task Force Dragon zum „gesamten Backoffice des Krieges“ geworden. Die tiefe militärische Verwicklung der USA und ihrer Nato-Partner wird daran deutlich, dass demnach jeder HIMARS-Schlag vom Einsatzzentrum in Wiesbaden beaufsichtigt worden sei. General Donahue und seine Adjutanten hätten die Ziellisten der Ukrainer überprüft und sie bei der Positionierung ihrer Abschussgeräte und der zeitlichen Planung ihrer Angriffe beraten. Um einen Sprengkopf abzufeuern, benötigten die HIMARS-Bediener eine spezielle elektronische Schlüsselkarte, die die US-Verantwortlichen jederzeit deaktivieren konnten. Fast wöchentlich habe es HIMARS-Treffer gegeben, die 100 oder mehr russische Tote oder Verwundete zur Folge hatten.

Die Lieferung der ballistischen Kurzstreckenraketen vom Typ „ATACMS“ ab Ende 2023 ging laut der NYT wiederum auf eine Empfehlung der US-Generäle Cavoli und Aguto zurück. Grund sei gewesen, dass die russische Armee ihre wichtigen militärischen Einrichtungen außerhalb der Reichweite der bis dahin gelieferten US-Lenkraketen verlegt hätten. Zunächst wurden von der US-Regierung ATACMS mit einer Reichweite von 165 Kilometern freigeben, ab dem Frühjahr 2024 auch solche mit einer Reichweite von 300 Kilometern. Zusammen mit den bereits im ersten Halbjahr 2023 gelieferten britischen und französischen Marschflugkörpern vom Typ „Storm Shadow“ beziehungsweise „SCALP“ seien die ATACMS eingesetzt worden, um militärische Ziele auf der Krim – darunter die Kertsch-Brücke, die als Nachschublinie der russischen Armee diente – anzugreifen. Auch russische Kriegsschiffe, Flugzeuge, Gefechtsstände, Waffendepots und Wartungseinrichtungen seien die Ziele der Lenkwaffen gewesen.

Die Lenkwaffen der USA, Großbritanniens und Frankreichs seien letztendlich auch bei Angriffen auf die russische Region Kursk sowie auf weitere Teile Südrusslands eingesetzt worden. Im NYT-Beitrag wird berichtet, dass ein Munitionsdepot im russischen Toropets, 360 Kilometer nordwestlich von Moskau und 460 Kilometer von der russisch-ukrainischen Grenze entfernt gelegen, von der CIA als Ziel identifiziert und mit einem „großen Drohnenschwarm“ angegriffen worden sei.

Zudem habe die US-Regierung gestattet, dass amerikanische Militärberater nicht nur in Kiew tätig waren, sondern auch Kommandoposten in der Nähe der Kämpfe einrichteten. Auch im Beitrag der britischen Times wird davon berichtet, dass Großbritannien heimlich Truppen in die Ukraine entsandt habe, um ukrainische Flugzeuge mit britischen Marschflugkörpern vom Typ „Storm Shadow“ auszustatten und die ukrainischen Soldaten im Umgang damit zu unterrichten. Ob diese Einsätze der Bedienung der westlichen Lenkwaffen vor Ort dienten, wie der russische Präsident Putin dies dem Westen vorwirft, wird in den beiden Beiträgen nicht deutlich.

Beteiligung der Nato-Staaten noch weitreichender

Neben der Ermittlung der Ziele, der Überwachung des Einsatzes der Lenkwaffen und der Einrichtung von Kommandoposten in der Nähe der Kämpfe waren laut NYT die Nato-Offiziere in Wiesbaden sowie insbesondere die US-Generäle Donahue und Aguto „Seite an Seite“ mit ukrainischen Offizieren für die Planung und Durchführung der ukrainischen Gegenoffensive 2023 sowie für der Operation „Lunar Hail“ verantwortlich. Letztere hatte das Ziel, mit den Fernlenkwaffen der Nato die russischen Militäreinrichtungen auf der Krim zu zerstören. In „kritischen Momenten“ habe die „Partnerschaft“ das „Rückgrat der ukrainischen Militäroperationen“ gebildet, heißt es. Ein europäischer Geheimdienstchef soll äußerst erstaunt gewesen sein, als er erfuhr, wie tief seine Nato-Kollegen in die ukrainischen Operationen verstrickt sind.

Die Ukraine sei ein weiteres Kapitel in einer langen Geschichte von Stellvertreterkriegen zwischen den USA und Russland, schließt der Autor des Beitrags. Es sei auch ein „großes Experiment in der Kriegsführung“ gewesen, das nicht nur den Ukrainern helfen, sondern auch dem US-Militär Lehren für künftige Kriege liefern sollte.

Der geopolitische Analyst Alexander Mercouris hält die Bezeichnung „Stellvertreterkrieg“ hingegen für eine falsche Beschreibung des Konflikts. Es handele sich stattdessen eher um einen Koalitionskrieg mehrerer westlicher Staaten gegen Russland, von denen es in der Geschichte viele gegeben habe. Bei Napoleon Bonapartes Angriff auf Russland 1812 hätten mehrere europäische Länder an der Seite Frankreichs gekämpft. Das Gleiche gelte für den Zweiten Weltkrieg.

Den Einsätzen mit Beteiligung der Nato-Länder sind nicht nur viele russische Soldaten zum Opfer gefallen, wie dies in dem NYT-Beitrag dargestellt wird. Nach russischen Angaben und den Informationen des aus dem Donbass berichtenden unabhängigen Journalisten Patrick Lancaster sind dabei zivile Opfer zumindest in Kauf genommen worden. So berichtete Lancaster mehrfach von Angriffen auf das Stadtgebiet von Donezk, bei denen auch Zivilisten starben. Bei diesen Attacken seien zum Teil HIMARS-Raketen eingesetzt worden. Des Weiteren beschuldigte die russische Führung die USA, bei einem Angriff mit ATACMS-Raketen auf die Krim absichtlich auf Zivilisten gezielt zu haben. Fünf Personen, darunter drei Kinder, waren 2024 bei dem Angriff mit Streumunition an einem Badestrand getötet worden.

„Times“: „Führungsrolle britischer Militärs“

Im Gegensatz zur Darstellung der NYT fokussiert der Bericht der Londoner „Times“ auf die maßgebliche Rolle der britischen Generäle bei der militärischen Unterstützung der Ukraine. Explizit genannt werden Admiral Tony Radakin, oberster Befehlshaber der britischen Streitkräfte, General James Hockenhull, oberster strategischer Kommandeur, sowie General Roland Walker, Chef des Generalstabs, und Generalleutnant Charles Stickland. Diese hätten – im Gegensatz zu ihren US-Kollegen – auch die Freiheit gehabt, in die Ukraine zu reisen, „wann immer es nötig war“ – zur Not in Zivilkleidung.

Admiral Radakin soll die britischen Bemühungen um die Ukraine innerhalb der eigenen Regierung geleitet sowie Streitigkeiten zwischen der US-amerikanischen und ukrainischen Militärführung persönlich geklärt haben. Berichtet wird von einem Treffen zwischen ihm und den Generälen Cavoli und Saluschny an der polnisch-ukrainischen Grenze im August 2023. Radakin sei zudem die Person gewesen, die die US-Regierung unter Joe Biden dazu gebracht habe, sich in der Ukraine zu engagieren.

Rechtswidriger Angriff auf Russland?

Nach Artikel 25 des Grundgesetzes sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts. Nach Artikel 26 sind Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig und unter Strafe zu stellen. Einer Einschätzung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages zufolge seien Waffenlieferung und die Ausbildung ukrainischer Soldaten zwar vom Friedensgebot des Grundgesetzes gedeckt. Allerdings sei der Beurteilungsspielraum der Staatsorgane durch die Artikel 25 und 26 des Grundgesetzes begrenzt. Mitglieder ausländischer Streitkräfte unterliegen gemäß Paragraf 7, Streitkräfteaufenthaltsgesetz deutschem Recht, insbesondere auch hinsichtlich der Straf- und Zivilgerichtsbarkeit. Es stellt sich also die Frage, ob die in Wiesbaden stationierten Nato-Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter einen Angriffskrieg geplant und durchgeführt haben, als sie Ziele auf russischem Territorium an die ukrainische Armee weitergegeben und die entsprechenden Lenkwaffeneinsätze unterstützt haben.

Die „NachDenkSeiten“ haben diesbezüglich Anfang April eine Vertreterin des Auswärtigen Amtes auf der Bundespressekonferenz zur rechtlichen Deckung des Vorgehens der USA auf deutschem Territorium befragt. Kathrin Deschauer, Pressesprecherin des Auswärtigen Amtes antwortete, Deutschland sei mit seinen US-Partnern im „fortwährenden Gespräch“ und man ginge davon aus, dass diese sich auch auf den Truppenstützpunkten, die sie in Deutschland betreiben, „nach Recht und Gesetz verhalten“. Deschauer und Regierungssprecher Steffen Hebestreit wichen in der Pressekonferenz einer konkreten Beantwortung der Frage aus und wiesen beide darauf hin, das Russland der Aggressor sei, der den Frieden in Europa störe. Die – laut Hebestreit – „angeblichen Unterstützungsleistungen“ der USA seien eine Reaktion auf den russischen Angriffskrieg.

An den Formulierungen wird deutlich, in welcher rechtlichen Grauzone sich die militärische Beteiligung der USA und anderer Nato-Mitgliedsstaaten bewegt, wenn sie von deutschem Boden ausgeht. Auf der Webseite des Bundesverteidigungsministerium findet sich noch immer die Aussage, die Nato-Staaten griffen nicht militärisch in den Krieg in der Ukraine ein – obwohl Bundeskanzler Olaf Scholz bereits Anfang 2024 im Rahmen der Diskussion über die Taurus-Lieferung eine direkte Beteiligung von Nato-Staaten eingeräumt hatte und die aktuellen Zeitungsberichte aus London und New York dies zusätzlich belegen.

Unsere Redaktion wollte daher vom Verteidigungsministerium wissen, ob es weiterhin davon ausgehe, dass Nato-Mitgliedstaaten nicht in die Kriegshandlungen in der Ukraine eingreifen, und ob die Darstellung auf der Webseite noch als angemessen betrachtet werde. Eine Sprecherin des Ministeriums teilte daraufhin mit, dass die Bundesregierung sich zu diesem Thema in den vergangenen Monaten „umfassend“ im Rahmen der Regierungspressekonferenz geäußert und dem nichts hinzuzufügen habe.

Reaktionen auf die Berichte der NYT und der Times

Der geopolitische Beobachter Alexander Mercouris aus London wertet den NYT-Beitrag als Versuch, eine Verteidigung für die Biden-Administration und die an dem Krieg in der Ukraine beteiligten Generäle wie Cavoli und Donahue zu schaffen. Er nennt den Text einen „der verlogensten und manipulativsten Artikel“, den er je in der NYT gelesen habe. Neu und unerzählt seien die darin enthaltenen Aussagen lediglich für diejenigen, die sich ausschließlich über die NYT oder andere Mainstream-Medien informierten. Denn die Geschichte sei andernorts schon viele Male erzählt worden.

Manipulativ sei der reportageartige Beitrag, weil er gespickt sei mit Aussagen, die ausschließlich die westliche Seite – vor allem die Regierung unter Joe Biden – gut aussehen lassen. So lobe der Autor die westliche Unterstützung in den höchsten Tönen, reklamiere mehrmals hohe russische Opferzahlen durch US-organisierte Angriffe, schiebe den Ukrainern die Schuld für das Versagen gemeinsamer militärischer Operationen in die Schuhe und bezeichne die russische Kriegsführung als „inkompetent“.

Die Region Kursk, so heißt es bei der NYT, sei der Ukraine letztendlich durch die „reduzierte Unterstützung der Trump-Administration“ verloren gegangen. Tatsächlich gibt es jedoch Hinweise, dass die Niederlage auf eine strategische Entscheidung der ukrainischen Armeeführung zurückzuführen ist.

Die ukrainische Offensive im Sommer 2023 hätte aufgrund der engen Zusammenarbeit zwischen den USA und der Ukraine und wegen der russischen „Inkompetenz“ zum Erfolg führen können, die Strategie des Angriffs sei in Wiesbaden ausgearbeitet worden, heißt es im NYT-Beitrag. Allerdings sei der Erfolg der „zerrissenen Innenpolitik“ der Ukraine zum Opfer gefallen. Es habe Uneinigkeit zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, dem damaligen Armeechef Walerij Saluschnyj sowie seinem damaligen Untergebenen und späteren Armeechef Oleksandr Syrskyj geherrscht. Die US-Verantwortlichen seien stets „maßvoll“ gewesen, während die Ukrainer den „großen Sieg“ wollten. Zudem hätten die Ukrainer ihre Absichten „zunehmend geheim“ gehalten und teilweise gegen den Willen der USA gehandelt.

Letzteres soll beispielsweise beim ukrainischen Angriff auf die russische Grenzregion Kursk der Fall gewesen sein. Die USA hätten die Ukraine trotzdem dabei unterstützt, weil die ukrainischen Soldaten in Kursk ohne die Unterstützung durch HIMARS-Raketen und den US-Geheimdienst untergegangen wären, erklärt die NYT. Mercouris wertet diese Darstellung als „verzweifelten Versuch“, so zu tun, als sei die Kursk-Operation allein die Idee der Ukraine gewesen. Der Autor versuche zudem, „die gesamte Verantwortung für das systematische militärische Versagen auf die Ukrainer abzuwälzen“. Tatsächlich aber stelle der Artikel eine „durchgängige Geschichte des militärischen Versagens“ der USA und der Ukraine dar, so Mercouris. Keine einzige der darin beschriebenen Militäroperationen habe ihr Ziel erreicht. Hingegen habe die russische Armee die Differenzen zwischen US-Militär und ukrainischer Armeeführung ausgenutzt und die US-Armee strategisch vollkommen ausmanövriert, meint der Analyst.

Der Beitrag in der britischen „Times“ widerspricht den Darstellungen in der NYT zum Teil. Zwar findet sich auch dort die Schilderung, dass die Aufteilung der ukrainischen Streitkräfte und das zögerliche ukrainische Vorgehen während der Gegenoffensive 2023 den Erfolg der Operation verhindert hätten. Der Angriff auf die Region Kursk sei erfolgt, „ohne die USA oder andere Verbündete zu informieren“. Doch im Gegensatz zur NYT-Beschreibung seien die Amerikaner nicht „stets maßvoll“ gewesen – sondern „frustriert“ und „ungeduldig“. Sie hätten die Ukrainer aufgefordert, „ein viel höheres Tempo anzuschlagen“. Zudem hätten die westlichen Verbündeten die russischen Hindernisse und die Gegebenheiten des modernen Schlachtfelds „unterschätzt“.

Laut dem Schweizer Professor für Neutralitätsstudien Pascal Lottaz geht der NYT-Beitrag an keiner Stelle darauf ein, dass die russische Militärführung ab Sommer 2022 ihre Strategie änderte. Es sei ihr zu diesem Zeitpunkt klar geworden, dass es in dem Krieg darum ginge, alles zu zerstören, was die Nato der russischen Armee entgegenwirft. Lottaz macht zudem darauf aufmerksam, dass Adam Entous, der Autor des NYT-Artikels, bereits ein Jahr zuvor einen Beitrag über die langjährige Kooperation der CIA mit dem ukrainischen Geheimdienst veröffentlichte, in dem beschrieben wird, wie der US-Auslandsgeheimdienst die Ukraine seit 2015 auf den Krieg mit Russland vorbereitet hat. Der Versuch, mit dem aktuellen Beitrag im Nachhinein der Öffentlichkeit weiszumachen, dass der Krieg sorgfältig ausgearbeitet gewesen und immer darauf geachtet worden sei, dass nichts eskaliert, sei ein „absolut verblüffendes Stück Propaganda“, so Lottaz.

Täuschungsabsichten und Leichtfertigkeit

An mehreren Stellen des NYT-Berichts wird deutlich, dass die westlichen Regierungen, Militärangehörigen und Geheimdienstmitarbeiter die Weltöffentlichkeit gezielt über ihre Beteiligung an dem Krieg in der Ukraine täuschen wollten. Statt die per Aufklärung ermittelten russischen Militäreinrichtungen „Ziele“ zu nennen, wurden sie – wie bereits erwähnt – als „Points of Interest“ bezeichnet. Nato-Soldaten in Kiew und an der Front seien „Fachexperten“ genannt worden, um „keine Erinnerungen an die amerikanischen Militärberater“ während des Vietnamkrieges wachzurufen. Eine Parallele zu diesen Täuschungsabsichten lässt sich im Übrigen auch im Rahmen der Taurus-Abhöraffäre finden. In dem enthüllten Gespräch zwischen deutschen Offizieren über den Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern auf der Krim wurde darüber beraten, wie die Übermittlung der Zielkoordinaten an die ukrainische Armee per Auto nach Polen erfolgen sollte, um eine deutsche Kriegsbeteiligung zu vertuschen.

Bei Kommentatoren stößt zudem auf Unverständnis, wie leichtfertig die für den NYT-Beitrag befragten Interviewpartner mit dem Leben von Russen und Ukrainern sowie dem Risiko eines möglichen Atomkrieges umgehen. Mercouris hält die im Beitrag vermittelte „Schadenfreude“ über das Töten von Russen für eine „schreckliche Beschreibung“ der taktischen Situation und der Kämpfe. Lottaz weist darauf hin, dass im Beitrag erwähnt wird, wie US-Verteidigungsminister Lloyd Austin die Ukrainer mehrfach gedrängt habe, die Wehrpflicht auf 18 Jahre zu senken. Austin habe mit seinen Forderungen, immer jüngere Generationen zu opfern, „nazideutsche“ Mentalität zum Ausdruck gebracht. Der NYT-Artikel sei nicht nur ein Zeugnis für den Grad der militärischen und operativen Integration, sondern auch für deren „schiere Unmenschlichkeit“, betont der Neutralitätsforscher.

Daniel Davis, im Ruhestand befindlicher Oberstleutnant der US-Armee, macht auf einen besonderen Aspekt des Beitrags aufmerksam, in dem es um den Rückzug der russischen Armee hinter den Dnjepr während der ukrainischen Gegenoffensive 2022 geht. US-Geheimdienste hätten den damaligen russischen Befehlshaber in der Ukraine, General Sergei Surowikin, dabei belauscht, wie er den Einsatz von taktischen Atomwaffen empfahl, um die Ukrainer daran zu hindern, auf die Krim vorzustoßen. Bis zu diesem Zeitpunkt hätten die US-Geheimdienste die Wahrscheinlichkeit, dass Russland in der Ukraine Atomwaffen einsetzt, auf fünf bis zehn Prozent geschätzt. Nach dem abgehörten Gespräch soll die Wahrscheinlichkeit bei 50 Prozent gelegen haben, wenn die russischen Linien zusammenbrächen. Trotzdem hätten die US-Generäle Cavoli und Donahue die ukrainischen Befehlshaber „angefleht“ weiter auf die Krim vorzurücken. Davis hält es bereits für kriminell, dass die Biden-Regierung bei der Annahme einer fünf- bis zehnprozentigen Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs den Befehl gab, die Ukraine weiter gegen Russland zu unterstützen.

Trotz der aus Sicht des medialen Mainstreams zahlreichen neuen Aspekte und der zentralen Rolle eines US-Stützpunkts in Deutschland wird der NYT-Beitrag in einflussreichen deutschen Medien kaum erwähnt. Weder der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch große Zeitungen wie „Zeit“ oder „Bild“ sind bislang auf den Enthüllungsbericht eingegangen. Auch der Bericht in der britischen „Times“ hat im deutschen medialen Mainstream kein Echo gefunden.


Seit Wladimir Putin im Sommer 1999 als weitgehend Unbekannter wie aus dem Nichts heraus auf der Weltbühne erschienen ist, rätselt man im Westen über seine wahren Absichten. Im Zuge der Ukraine-Krise erreichte das Rätselraten einen neuen Höhepunkt. In den Massenmedien wurde immer wieder von Journalisten, Osteuropa-Experten und Politikern eingestanden, dass keiner wisse, was Putin wirklich will, und dass »alle am Rätseln« seien. Dabei sagt Wladimir Putin in seinen Reden ziemlich klar, wie er die Welt sieht, was ihm an der internationalen und insbesondere an der Politik der USA missfällt, für welche Werte er steht und wo für ihn rote Linien verlaufen.

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