Es ist ein gigantischer Skandal! Hunderttausende im Ausland lebende Deutsche konnten offenbar nicht wählen, weil die Briefwahlunterlagen von den Behörden absichtlich zu spät und nur mit Mindestporto versandt wurden.

von Len Sander

Am Mittwoch reichte Marcel Luthe, ehemaliges Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, eine ausführliche Wahlbeschwerde beim Wahlprüfungsausschuss des Bundestages ein. Darin ficht er das Ergebnis der Bundestagswahl im Februar 2025 an. Er führt er eine Vielzahl von Fehlern auf, die die Wahl beeinträchtigt haben sollen. Luthe, Vorsitzender der Good-Governance-Gewerkschaft, geht davon aus, dass diese Fehler dazu geführt haben könnten, dass das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) nicht die Fünf-Prozent-Hürde überschritten hat. Sollte sich das bewahrheiten, würde die Koalition aus Union und SPD keine Mehrheit mehr haben.

Vor allem in Luthes Visier: die Auslandsdeutschen, von denen viele die Briefunterlagen zu spät oder gar nicht bekommen haben sollen. Schon vor der Wahl wurde breit über die Probleme von Auslandsdeutschen beim Wählen berichtet. Immerhin betrifft das bis zu drei Millionen Menschen. Die Crux: Sie müssen sich registrieren lassen, um bei einer Bundestagswahl teilzunehmen. Doch das taten in diesem Jahr nur etwa 200.000 Auslandsdeutsche. Die Wahlbeteiligung ist somit viel niedriger als die von Inlandsdeutschen, von denen satte 80 Prozent ihre Stimme abgaben. Das führt Luthe zu der Annahme, dass die Wahl von erheblichen Verfahrensfehlern belastet war.

Stadt München versandte Wahlunterlagen weltweit mit 0,88 Euro Mindestporto

Das Registrierungsverfahren kritisiert Luthe bereits als unfaire Benachteiligung der Auslandsdeutschen. Denn: Wahlrecht sollte ein „Wahlermöglichungsrecht“, kein „Wahlverhinderungsrecht“ sein. In seiner Wahlbeschwerde finden sich daher zahlreiche Fallbeispiele von Auslandsdeutschen, die trotz Registrierungsantrag keine Wahlunterlagen erhalten hatten. Luthe schreibt, hier werde „das aktive Wahlrecht durch schlichtes Nichtstun der Behörde verwehrt“. Er schätzt die Zahl derer, die davon betroffen waren, auf etwa 100.000. Wenn Luthes Schätzungen und Belege korrekt sind, hätte die Wahlbeteiligung von Auslandsdeutschen erheblich höher liegen können, wären die Ämter ihren Aufgaben nachgekommen.

Luthe greift auch Bundeswahlleiterin Ruth Brand an, die schon nach Bekanntwerden des vorzeitigen Regierungsendes im November die Risiken einer kurzfristig organisierten Wahl öffentlich gemacht hatte. Die größte Gefahr sah sie darin, dass Auslandsdeutsche nicht rechtzeitig ihre Wahlunterlagen erhalten könnten. Luthe schreibt in seiner Anfechtung, dass sich Brands Befürchtung bewahrheitet hätten. Luthe spricht in diesem Kontext von einem umfassenden „Organisationsversagen“.

Auch habe die Bundeswahlleiterin, die zwar keine Weisungen ausgeben dürfe, jedoch in einer Mitteilung davon gesprochen, dass „ein Expressversand der Briefwahlunterlagen für Auslandsdeutsche nicht vorgesehen ist“. Luthe kommentiert, die Bundeswahlleiterin habe Bürgern „janusköpfig eine andere Auskunft gegeben und den Eindruck erweckt, es finde ein Versand auf dem schnellstmöglichen Weg statt“.

Ganz im Gegenteil hätten viele Gemeinden und Städte die Wahlunterlagen an Auslandsdeutsche sehr spät und mit geringem Porto versandt, schreibt der Beschwerdeführer. Die Stadt München habe etwa erst Anfang Februar die Unterlagen weltweit mit dem Mindestporto von 0,88 Euro versandt. Ebenso die Stadt Hamburg – deswegen habe ein Betroffener, der in Portugal lebt, seine Unterlagen erst am 14. März erhalten. Also etwa drei Wochen nach der Bundestagswahl. Auch das Berliner Bezirksamt Mitte habe Wahlunterlagen für einen Auslandsdeutschen nur fünf Tage vor dem Wahldatum nach Frankreich versandt, weswegen der Betroffene nicht an der Wahl teilnehmen konnte.

Die Beschwerde weist eine Vielzahl dieser Fälle auf. Oftmals war der Grund dafür der Einsatz von billigen Versanddienstleistern in den Niederlanden, Österreich und der Schweiz und fehlenden Maßnahmen für Expressversand. Aber auch die regulären Postversandzeiten hätten selbst bei regulärem Verlauf nicht genügend Zeit gelassen, Unterlagen zu erhalten und zurückzusenden, so Luthe.

Wahlbeschwerde: Nancy Faeser handelte „pflichtwidrig“

Neben der Bundeswahlleiterin kritisiert Luthe auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Diese habe bei der Abkürzung der Fristen, die für die vorgezogene Wahl notwendig war, nicht die Auswirkungen auf die Briefwahl und damit die Wahl der Auslandsdeutschen bedacht. Luthe bezeichnet das als „pflichtwidrig im Sinne eines Organisationsverschuldens“.

Insgesamt, so schätzt Beschwerdeführer Luthe, hätten 200.000 Auslandsdeutsche wegen verspäteter Wahlunterlagen nicht wählen können. Das wäre eine enorme Zahl. Er schließt sich damit der Argumentation der Wagenknecht-Partei an, dass alleine diese Zahl bei einer überproportionalen Zustimmung für das BSW reichen würde, um die fehlenden Stimmen für den Einzug in den Bundestag zu erlangen. Er vermutet, dass Auslandsdeutsche häufiger mit den Zuständen in ihrem Herkunftsland unzufrieden seien und deswegen eher eine Partei wie das BSW gewählt hätten.

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Von Veritatis

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