Was haben der Krieg in Gaza und die Vertreibung im Westjordanland mit dem Völkermord in Guatelama gemeinsam? Der israelische Architekt und Schriftsteller Eyal Weizman wertet Bilder und Daten aus – und deckt dabei politische Verbrechen auf

Interdisziplinär und innovativ, so könnte man die Arbeit des Recherchekollektivs bezeichnen, das der Architekturprofessor Eyal Weizman in London vor mehr als einem Jahrzehnt gründete. Mittlerweile hat die Agentur auch in Berlin eine Zweigstelle, um unter anderem Kolonialverbrechen, von Deutschen begangen, aufzuarbeiten. Mit Eyal Weizman sprach Freitag über die Auswertungsmethoden und die Schwierigkeiten seiner Arbeit. Aber auch über seine deutschen Vorfahren, den 7. Oktober und den anschließenden Krieg in Gaza.

der Freitag: Herr Weizman, wie entstand die Agentur „Forensic Architecture“?

Eyal Weizmann: Das Goldsmiths College in London wollte eine Architekturschule gründen. Als ich den Job bekam, brachte ich Software-Spezialisten, Architekten, Fil

schule gründen. Als ich den Job bekam, brachte ich Software-Spezialisten, Architekten, Filmemacher, Anwälte und Investigativjournalisten an einen Tisch. Daraus entstand die Idee.Woran orientierten Sie sich?Unsere Helden waren Leute wie Clyde Snow: ein Anthropologe aus den USA, der durch die Analyse von Skeletten zur Aufklärung längst vergangener Verbrechen beigetragen hat. Clyde Snow war legendär, berühmt für seinen Hut und seine Pfeife – ein Humanist, der seine Wissenschaft in den Dienst der Menschenrechte gestellt hat.Ein Beispiel, bitte.In Argentinien hat er Massengräber untersucht und Verbrechen der Militärjunta aufgeklärt: Er identifizierte die Verschwundenen, die während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 ermordet wurden. Mehrere Offiziere wurden deswegen vor Gericht gestellt und verurteilt. Später reiste er nach Brasilien, um mit anderen Fachleuten die Knochen des lange gesuchten Nazi-Verbrechers Josef Mengele zu identifizieren, der 1979 nahe São Paulo bei einem Badeunfall starb. Damals konnte man noch keine genetischen Fingerabdrücke untersuchen. Clyde Snow analysierte Knochen wie ein Architekt, der anhand einer Ruine versucht, deren Geschichte zu rekonstruieren. Er leitete eine Art Paradigmenwechsel ein.Placeholder image-5Inwiefern?Forensik war bis zu diesem Zeitpunkt Polizeiarbeit, also Aufgabe des Staates. Snow hat diese Methode benutzt, um gegen Staaten zu ermitteln. Das war revolutionär. Der argentinische Staat wollte die Gräber der mutmaßlich Vermissten nicht öffnen. Clyde Snow aber bildete eine Gruppe von jungen Leuten zu einer investigativen Einheit aus, aus der später das „Argentinische Team für forensische Anthropologie“ hervorging. Darüber habe ich in meinem Buch Mengeles Schädel geschrieben und dafür den Begriff der „Gegen-Forensik“ entwickelt.Haben Sie Clyde Snow noch persönlich getroffen?Ja. Als ich ihn 2010 für mein Buch traf, engagierte er mich für sein Projekt, den Völkermord in Guatemala zu untersuchen. Einen Monat später saß ich in einem Flugzeug. Das guatemaltekische Militär hatte die indigene Bevölkerung verdächtigt, die Guerilla-Bewegung zu unterstützen, und zwischen 1980 und 1982 in der Region Quiché grausame Verbrechen an der Gruppe der Maya-Ixil verübt. Etwa 400 ihrer Dörfer wurden zerstört und viele Menschen massakriert.Wie sah Ihre Arbeit aus?Wir sind durch den Regenwald gelaufen und haben die Orte gesucht, an denen sich ein Dorf befunden haben könnte. Wir haben die Bäume kartiert und GPS-Daten notiert. Wenn es mehr Bäume einer bestimmten Art gab, war das ein Zeichen dafür, dass sich dort mal ein Dorf befand.Placeholder image-7Die Häuser hatten sich in organische Materie aufgelöst, aber die Fundamente waren noch da, und neben den Dörfern fanden wir die Massengräber. So habe ich gelernt, wie man Exhumierungen durchführt. Das war gefährlich, denn die Armee ist in Guatemala immer noch sehr mächtig. Und es ist immer noch die gleiche Institution, die den Völkermord durchgeführt hat.!—- Parallax text ends here —-!Wie forscht man unter diesen Umständen?Wissenschaftler kommen in der Regel als Experten von außen: Sie sind Fachleute, die wissen, wie man etwas macht. Ich habe in Guatemala viel über die Expertise von lokalen Gemeinschaften gelernt. Denn die Indigenen besitzen ihr eigenes Wissen, meist eine Mischung aus örtlichem Fachwissen und mündlichen Überlieferungen. Da habe ich verstanden, dass Gegen-Forensik nicht einfach bedeutet, ein ehemals staatliches Instrument gegen den Staat zu richten, also sozusagen die Waffe umzudrehen. Sondern dass man die gesamte Idee des neutralen Fachwissens überdenken und mit einer betroffenen Gemeinschaft zusammenarbeiten muss. Die Betroffenen sind Experten aus eigenem Recht. Und sie kennen das Risiko, das besteht, wenn man in einem von einem Staat kontrollierten Gebiet gegen diesen Staat ermittelt, am besten.Verschwimmt da nicht die Grenze zum Aktivismus?Unsere Untersuchungen bauen darauf auf, dass Informationen, Methoden und Erkenntnisse nachvollziehbar und überprüfbar sein müssen. Deswegen legen wir jeden unserer Schritte offen. Ich glaube nicht daran, dass es eine Position absoluter Neutralität gibt. Das ist ein Mythos.Placeholder image-4In Guatemala wird der Völkermord derzeit vor Gericht verhandelt …Es ist der letzte Völkermordprozess Amerikas. Ich habe erst vor wenigen Monaten vor dem Obersten Gerichtshof Guatemalas dazu ausgesagt. Das war ein ganztägiges Kreuzverhör. Währenddessen habe ich mich mit dem Völkermord in Gaza beschäftigt.Placeholder image-3Sie sehen hier Parallelen?Ja, denn Völkermord ist eine räumliche Praxis. In Guatemala wurden die Dörfer niedergebrannt und die Menschen in angeblich sichere Zonen umgesiedelt, die unter der Kontrolle der Regierung standen. Es ging darum, eine Todeszone und eine „humanitäre“ Zone zu schaffen. Innerhalb der Todeszone wurden alle Lebensgrundlagen zerstört. Aber auch die angeblich sicheren Zonen waren nie sicher: Die Versorgung mit Wasser, Nahrung und Medizin war nie ausreichend. Diese Logik gab es auch beim deutschen Völkermord an den Herero und Nama im heutigen Namibia – und es gibt sie heute in Gaza.Während Ihres Architektur-Studiums in London haben Sie begonnen, sich mit dem israelischen Siedlungsbau im Westjordanland zu beschäftigen.Ich habe während meines Studiums als Freiwilliger für das palästinensische Planungsministerium in Ramallah gearbeitet. Das war zu Beginn des Friedensabkommens von Oslo, um das Jahr 1995 herum. Das Ministerium verfügte weder über Karten noch über Aufnahmen der besetzten Gebiete, weil Israel diese nicht zur Verfügung stellte. Ich dagegen konnte mit meinem Ausweis einfach in israelische Bibliotheken gehen und an Landkarten und Luftaufnahmen der Region gelangen – Satellitenbilder waren damals noch nicht allgemein verfügbar. Also packte ich meinen Kofferraum voll mit diesen Karten, passierte die israelischen Kontrollpunkte und brachte sie ins Planungsministerium. Das war eine Art Industriespionage auf niedrigem Niveau.Und die Palästinenser?Die Vertreter der PLO, die an den Verhandlungen teilnahmen, stammten aus Tunis und waren Nachkommen von Flüchtlingen. Sie hatten eine Erinnerung an das Land und ein Gefühl dafür, aber keine aktuellen Karten. Israel hat die Kartografie Palästinas kontrolliert. Die frühen Zionisten hatten eine regelrechte Kartierungswut. Sie bauten auf dem Vorgehen der Kolonialmächte auf, die den Orient in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kartiert hatten, um ihn dem Osmanischen Reich zu entreißen.Israel hatte dadurch Vorteile?Ja, die israelischen Generäle waren dadurch in der Lage, in den Verhandlungen mit den Palästinensern ihre militärischen Interessen räumlich umzusetzen. Israel kontrolliert etwa 60 Prozent des Westjordanlandes. Aber es kann mit seinen Kontrollpunkten das ganze Gebiet lahmlegen – sie sind genau da, wo die Engpässe sind.Hat das Ihre Sicht auf den Konflikt verändert?Ja, ich habe verstanden, wie eng militärische Interessen und Architektur dort zusammenhängen. Viele israelische Architekten arbeiten für die Armee und verbinden militärische mit ziviler Planung.Der Krieg in Gaza begann mit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023. Wie haben Sie ihn erlebt?Es war schrecklich. Auf der einen Seite hat meine Tochter Freunde verloren, die am 7. Oktober beim Nova-Festival waren. Auf der anderen Seite bombardierte Israel den Gazastreifen schon in der ersten Woche so intensiv wie nie zuvor, und die Woche danach war sogar noch schlimmer. Die ersten drei Wochen dieses Kriegs gelten inzwischen als die intensivste Bombenkampagne in der Geschichte der Luftangriffe. Wir hatten in Gaza ein Partnerbüro namens Ain Media. Das waren unsere Kollegen, unsere Freunde. In der ersten Woche waren mehrere Mitglieder dieser Organisation tot.Mögen Sie über sie sprechen?Ja. Ihr Leiter war Roshdi al-Sarraj, ein enger Freund von uns. Er wurde am 22. Oktober getötet. Roshdi war am 7. Oktober gar nicht in Gaza. Er kam zurück, weil er den Kontakt zu seinen Kollegen verloren hatte. Er hatte gerade geheiratet, war Vater geworden und dachte, er wäre im Haus seines Vaters sicherer, darum ging er dorthin. Sein Vater ist Bürgermeister von Gaza-Stadt, Yahya al-Sarraj, politisch unabhängig und allgemein respektiert. Als eine Bombe das Haus traf, warf Roshdi sich auf seine Frau und seine Tochter. Als sie aufstanden, stellten sie fest, dass er tot war. Er wurde nur 31 Jahre alt. Sein Bruder Mahmoud wurde im März 2025 mit acht anderen von einer Drohne getötet. Er war Journalist und trug eine Presse-Weste.Placeholder image-6Wie ging es Ihnen mit dieser Situation?Wir waren darauf nicht vorbereitet. Eine meiner engsten Kolleginnen ist Palästinenserin aus Gaza. Es ist unmöglich, ihren Schmerz und ihre Verwirrung zu beschreiben. Wir standen unter Schock und haben unsere eigenen Methoden in Frage gestellt. Normalerweise arbeiten wir langsam und sorgfältig und nur, wenn wir darum gebeten werden. Wir wussten, dass wir die Dinge diesmal anders angehen müssen.Mit „anders“ meinen Sie was genau?Eine Flut von Bildern strömte auf uns ein. Eine Kollegin meinte: Wir müssen uns die Bilder ansehen, damit andere das nicht machen müssen. Also haben wir angefangen, sie zu sammeln und zu verschriftlichen, weil man sie sich nicht ansehen kann: Sie sind zu schrecklich. Wir haben viele Bilder online gefunden, und viele Leute haben uns Bilder geschickt.Wie kommen Sie an Ihr Material?Zu einem großen Teil im Netz. Aber die wichtigsten Videos werden heute nicht mehr online gestellt, sondern persönlich weitergegeben. Wir erhalten sie von Leuten, die uns vertrauen, weil sie wissen, dass wir auf ihre Sicherheit achten und solidarisch sind. 2011, im syrischen Bürgerkrieg, haben die Leute noch alles ins Netz geladen, was sie filmten. Heute ist das zu gefährlich, denn ein Video dokumentiert immer zwei Seiten. Polizei und Militär können zurückverfolgen, wann und wo es aufgenommen wurde. Manchmal werden Menschen deswegen verhaftet, verprügelt, vergewaltigt oder mehr. Die Menschen wissen, dass auch Staaten heutzutage Open-Source-Techniken nutzen. Die israelische Armee greift manchmal sogar direkt auf unser Material zurück.Placeholder image-8Woher wissen Sie, ob ein Video authentisch ist?Wir überprüfen zum Beispiel, wie die Datei erstellt und wo und wann sie gefilmt wurde. Wir erstellen aus diesen Bildern 3D-Modelle, um sie zu lokalisieren. Ein gefälschtes Video würde dabei auffallen. Den Zeitpunkt kann man meistens anhand der Schatten nachweisen, da gibt es eine Fehlertoleranz von fünf Minuten. Wenn es mehrere Aufnahmen gibt, versuchen wir herauszufinden, was dazwischen vorgefallen ist. Wir haben so zigtausende von einzelnen Vorfällen dokumentiert: Angriffe auf Krankenhäuser, auf Schulen, Schüsse auf Krankenwagen oder auf Menschen, die zu Fuß unterwegs waren.Sie haben schon sehr früh von einem mutmaßlichen Völkermord in Gaza gesprochen. Warum?Das Gefühl dämmerte uns bereits am 13. Oktober. Damals wurde die gesamte Bevölkerung nördlich von Wadi Gaza dazu aufgerufen, sich innerhalb von 24 Stunden in den Süden zu begeben – in ein Dünengebiet in der Mitte des Gazastreifens, in dem es nichts gibt: kein Viertel, keine Straße, kein Wasser und keine Versorgung. Das galt auch der Bevölkerung von Gaza-Stadt, einer Millionenstadt. Die meisten Menschen kannten die Gegend gar nicht.Placeholder image-2Leute vor Ort riefen uns an, weil sie unsere Arbeit kannten und uns vertrauten – damals hatten sie noch Internet und volle Akkus in ihren Telefonen. Angehörige unserer Kollegen weigerten sich, ihre Häuser im Norden zu verlassen, weil sie wussten, dass ihre Kinder dort unter den Trümmern lagen. Es war schrecklich.!—- Parallax text ends here —-!Südafrika hat im Dezember 2023 vor dem Internationalen Gerichtshof Klage gegen Israel wegen Verstoßes gegen die Völkermordkonvention eingereicht. Ihre Berichte werden dabei als Indizien verwendet. Hoffen Sie auf Gerechtigkeit?Wenn ein Völkermord geschieht, dann sind alle aufgerufen, alles zu tun, was in ihrer Macht steht, um ihn zu stoppen. Der Internationale Gerichtshof hat Israel aufgefordert, vorläufige Maßnahmen zu ergreifen, was aber völlig ignoriert wurde. Der Strafgerichtshof hat gegen den Premierminister und den ehemaligen Verteidigungsminister Haftbefehle erlassen, aber das blieb folgenlos. Wir leben in einer Welt der absoluten Straflosigkeit, in der die Normen der internationalen Justiz missachtet werden. Aber das bedeutet nicht, dass wir diese aufgeben müssen.US-Präsident Donald Trump hat Sanktionen gegen die Gerichte in Den Haag angeordnet und propagiert, die Menschen aus Gaza zu vertreiben. Lässt Sie das nicht die Hoffnung verlieren?Trumps Maßnahmen bilden nur den Gipfel der Versuche, diejenigen zu verfolgen, die von einem Völkermord sprechen. Seine idiotische Riviera-Idee wird niemals Wirklichkeit werden. Israel hat schon früher versucht, die Menschen aus dem Gazastreifen zu vertreiben. Aber seine Idee dient dazu, ethnische Säuberungen zu rechtfertigen. Ich hatte gehofft, dass die Tragödien, die meine Familie und das jüdische Volk erlitten haben, als Mahnung dienen würden, um universelle Werte zu verteidigen. Aber die reale jüdische Tragödie und der reale Antisemitismus, den es in vielen Teilen der Welt immer noch gibt, werden von Israel als Alibi benutzt, um für sich eine Art Ausnahme von universellen Regeln einzufordern.Die Haltung zu Israel spaltet die jüdische Diaspora. Wie erleben Sie das?Die jüdische Identität ist seit dem Zweiten Weltkrieg stark durch den Holocaust geprägt. Einerseits lebt jetzt eine gewisse Diaspora-Identität wieder auf – eine starke jüdische Kultur, die sich für die Menschenrechte und für die Umwelt einsetzt, statt sich blind mit Israel zu identifizieren. Es gibt unter anderem eine Wiederbelebung des Jiddischen. Zudem wird die Kluft zwischen den Generationen immer größer. Wenn es heute etwas gibt, das mir Hoffnung macht, dann sind es die vielen jungen jüdischen Menschen in Deutschland, Großbritannien und den USA, die sich im Kampf gegen den Völkermord in Gaza mit Palästinensern zusammentun. Meine Tochter, die in Berlin studiert, ist auch darunter. Ich finde das fantastisch.Sie haben deutsche Vorfahren …Ja, meine Eltern wurden beide in einem Lager für „Displaced Persons“ in der Nähe von Mannheim geboren. Ihre Familien waren sehr eng befreundet. Sie stammten beide aus Polen und hatten den Holocaust überlebt.Was geschah mit Ihrer Familie nach 1945?Nach dem Krieg versuchten sie, in Deutschland ihren Lebensunterhalt auf dem Schwarzmarkt zu bestreiten. Die Familie meines Vaters siedelte bald nach Israel über. Mein Großvater brachte Maschinen aus Deutschland mit, um sich eine Tischlerwerkstatt einzurichten. Als in Auschwitz gefragt wurde, wer tischlern könne, hob er die Hand. So überlebte er.Und die Familie Ihrer Mutter?Sie blieb in Deutschland, in Mannheim, meine Mutter wuchs dort auf. Als sie in den 1960er Jahren als junge Sozialistin nach Israel ging, hieß es: Schau nach den Weizmans! Und so haben sich meine Eltern erneut getroffen und geheiratet. Später sind sie nach Haifa gezogen, damit mein Vater sein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik abschließen konnte. Meine Mutter fand eine Stelle in einer Bibliothek und kümmerte sich unter anderem um deutsche Büchersammlungen. Meine Mutter spricht bis heute mit einem starken deutschen Akzent!Wir leisten einen Beitrag zur deutschen Erinnerungsarbeit. Anfangs bekamen wir viel Unterstützung von Museen und Universitäten. Doch in letzter Zeit wurden die Einladungen vonseiten der deutschen Universitäten wieder zurückgezogen. Das ist verrückt.Wie blicken Sie heute auf Deutschland?Wir haben vor drei Jahren in Berlin eine Zweigstelle von Forensic Architecture eröffnet, um mit Gruppen aus der Zivilgesellschaft die deutschen Kolonialverbrechen aufzuarbeiten. Wir haben zum NSU-Terror und zum Anschlag in Hanau gearbeitet. Wir leisten einen Beitrag zur deutschen Erinnerungsarbeit. Anfangs bekamen wir viel Unterstützung von deutschen Museen und deutschen Universitäten. Doch in letzter Zeit wurden die Einladungen vonseiten der deutschen Universitäten wieder zurückgezogen. Das ist verrückt.Die Freie Universität Berlin hat im Februar eine Veranstaltung mit der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für die palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, und Ihnen abgesagt. Ihnen wurde Einseitigkeit vorgeworfen.Wir kämpfen für die Menschenrechte und wenden bei unseren Untersuchungen stets die gleichen Standards an – egal, ob es sich um Deutschland, Guatemala oder Israel handelt. Aber sobald es um Israel geht, werfen mir deutsche Politiker und Journalisten Antisemitismus vor. Das ist absurd, und das Gefühl des Verrats, das ich empfinde, ist schwer in Worte zu fassen. Es betrifft ja nicht nur mich, sondern auch enge Freunde und Mitstreiter wie Adania Shibli, die palästinensische Schriftstellerin, sowie jüdische Künstler und Intellektuelle wie Candice Breitz, Masha Gessen oder Judith Butler. Man liest so viele Artikel mit falschen Anschuldigungen und Unwahrheiten, dass man das Gefühl bekommt, es mit einem Generalangriff auf linksliberale und linke Juden und Palästinenser zu tun zu haben. Das gefährdet unsere Sicherheit. Die Folgen werden tragisch sein.Was ist Forensic Architecture?Die Recherche-Agentur kombiniert Methoden aus Architektur, investigativem Journalismus, digitaler Kunst, Forensik und anderen Wissenschaften, um Menschenrechtsverletzungen weltweit zu dokumentieren und zu visualisieren. Das Team analysiert geografische Räume und sammelt Beweise für staatliche Verbrechen, damit die Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft gezogen werden können.Weltweiter EinflussForensic Architecture hat Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty und Human Rights Watch dabei unterstützt, mit Open-Source-Methoden zu arbeiten, und im Beirat des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag mitgewirkt. Es hat auch den Datenjournalismus renommierter Medienhäuser wie der New York Times beeinflusst. Forensic Architecture steht heute im Lehrplan vieler Architekturschulen, und das Kunstmagazin Art Review hat es jüngst als eine der zehn einflussreichsten Gruppen in der Kunstwelt gelistet, weil seine Arbeiten in Museen und Galerien ausgestellt werden.In zwölf Ländern arbeitet Forensic Architecture mit lokalen zivilgesellschaftlichen Gruppen zusammen. Man tauscht Methoden aus und hilft sich gegenseitig aus.Placeholder image-1Eyal Weizman wurde 1970 in Haifa/Israel geboren. Er lehrt am Goldsmiths College der Universität London Architektur. 2010 gründete er Forensic Architecture. 2024 erhielt sein Team den „Alternativen Nobelpreis“



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Von Veritatis

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