Italien erstarrt nach dem Tod des Papstes nicht in Trauer und Ehrfurcht. Rechte und Linke streiten teilweise heftig um das politische Erbe von Franziskus, der oft missverstanden oder ignoriert wurde


Papst Franziskus im Vatikan

Foto: Tiziana Fabi/AFP/Getty Images


Standing Ovations für die Verstorbenen und ihr Lebenswerk gehören in Italien zu den unverzichtbaren Trauerritualen. Zwei Tage nach seinem Tod wurde auch Papst Franziskus von den Mitgliedern beider Parlamentskammern auf diese Weise geehrt – über alle Fraktionsgrenzen hinweg.

Aber kaum war der Beifall verklungen, begann der Streit um sein politisches Erbe. Premierministerin Giorgia Meloni dankte dem Heiligen Vater für wichtige Ratschläge – welche genau das gewesen sein sollen, verschwieg sie. Konkreter wurde Senatsvizepräsident Maurizio Gasparri (Forza Italia), der Franziskus’ traditionelles Familienbild und sein kategorisches Nein zum Schwangerschaftsabbruch lobte.

Franziskus’ Andenken zu ehren, müsse heißen, für den Frieden

es Nein zum Schwangerschaftsabbruch lobte.Franziskus’ Andenken zu ehren, müsse heißen, für den Frieden in Gaza und der Ukraine zu arbeitenDass der Verstorbene von rechts häufig entweder ignoriert oder kritisiert wurde, verschwiegen die Redner der regierenden Koalition. Und so war es Sache der Mitte-Links-Opposition, die falsche Harmonie zu stören. Elly Schlein, Generalsekretärin des Partito Democratico (PD), attackierte die Heuchelei derer, die Franziskus’ Appelle missachtet und „Migranten abgeschoben, den Armen Hilfe und Gesundheitsversorgung vorenthalten“ und den Klimawandel geleugnet hätten. Franziskus’ Andenken zu ehren, müsse heißen, für den Frieden in Gaza und der Ukraine zu arbeiten, Ungleichheit und Armut zu bekämpfen, Menschen willkommen zu heißen, die vor Krieg und Diskriminierung fliehen.Auch außerhalb des Parlaments wird lebhaft über Franziskus’ politisches Erbe diskutiert. Nichi Vendola, Präsident der Linkspartei Sinistra Italiana und offen homosexueller „Katho-Kommunist“, lobte Franziskus, den „Mann vom Ende der Welt“, der mit seinen Werken, Gesten und Worten nicht nur Gläubigen Orientierung in einer Welt voller Hass und Angst gegeben habe. Was Vendola nicht erwähnte: Gegen die strukturelle Frauenfeindlichkeit der Kirche ging der Papst nur sehr zögerlich vor; Homosexuelle bezeichnete er, hinter verschlossenen Türen, mit dem italienischen Schimpfwort „froci“; sie waren für ihn zwar keine Verbrecher, aber doch Sünder – und im Vatikan gebe es davon zu viele, klagte er.Auch Luciana Castellina, Mitbegründerin der Zeitung Il Manifesto, konzentrierte sich in ihrem Nachruf auf das Positive. Für sie ist Franziskus’ – wenn auch verklausulierte – Kapitalismuskritik die wichtigste Hinterlassenschaft, weil kombiniert mit ziemlich offenen Aufrufen zum Kampf: „Es braucht keine Politik für die Armen, sondern eine Politik der Armen“, sagte er. Im Gespräch mit jungen Leuten ergänzte er, Barmherzigkeit sei eine schöne Sache, als notwendig aber erweise sich Politik. Kämpfendes Subjekt konnten für ihn alle sein – auch und gerade die am meisten Ausgebeuteten und Unterdrückten. Einer der ersten Besuche nach seiner Wahl zum Papst galt Geflüchteten auf Lampedusa, der letzte den Gefangenen im berüchtigten römischen Gefängnis Regina Coeli.Spätestens damit könnte Franziskus – in der inhumanen Optik der amtierenden italienischen Regierung – zum gefährlichen Rädelsführer geworden sein: Der Entwurf ihres Sicherheitsgesetzes belegt den neu geschaffenen Straftatbestand der Gefängnisrevolte mit hohen Strafen – selbst wenn die „Revoltierenden“ lediglich passiven Widerstand leisten. Externe Unterstützer machen sich ebenfalls strafbar.Staatspräsident Sergio Mattarella: „Es ist immer Zeit für Resistenza!“ Franziskus hätte das gefallenAuch an diesen Zusammenhang erinnern linke Kommentatoren, die sehr wohl wissen: Dieser Papst war kein Linker und nur teilweise „progressiv“ – mit Sicherheit aber ein Bündnispartner im Kampf für eine bessere Welt. Diese weit verbreitete Überzeugung zeigte sich auch am 25. April, dem 80. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus. Vergeblich hatte Nello Musumeci, Melonis Parteifreund und Minister für Zivilschutz, wegen der Staatstrauer zu möglichst stillen Umzügen aufgerufen – und mutmaßlich das Gegenteil bewirkt: breite, laute und bunte Demonstrationen in allen Teilen des Landes. Bei der größten Kundgebung auf dem Mailänder Domplatz zitierten Redner den Verstorbenen unter dem Beifall Zehntausender, während in Genua Staatspräsident Sergio Mattarella ausrief: „Es ist immer Zeit für Resistenza!“ Franziskus hätte das gefallen.



Source link

Von Veritatis

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert