Rom empfängt mich nicht mit offenen Armen, sondern mit Sirenen. Der Tod von Papst Franziskus verwandelt die Ewige Stadt am Abend vor seinem Begräbnis in eine Festung. Die Straßen sind gefüllt von hektischen Polizisten und aufmerksamen Soldaten, über uns kreisen Hubschrauber und Drohnen. Auf einem großen LED-Bildschirm hinter dem Bahnhof Termini leuchtet zwischen Werbung für E-Zigaretten und Handytarife eine Botschaft: „Roma abbraccia Francesco con amore“: Rom umarmt Franziskus mit Liebe. Heute Abend ist es noch eine eher angespannte Umarmung.

Am nächsten Morgen, als ich mich um sieben Uhr auf den Weg zum Vatikan mache, ist es stiller, als ich erwartet hatte. Außer den hunderten Carabinieri scheint niemand auf den Straßen zu sein, was mich in der naiven Sicherheit wiegt, bei der Totenmesse einen Platz mit guter Sicht zu bekommen. Aber die Stille trügt. Als ich kurz vor dem Petersplatz den Tiber überquere, sehe ich bereits die Massen: Zehntausende Pilger, die sich im fahlen Morgenlicht drängen. „Piano! Piano!“ schreien die Ordner, aber schon nach wenigen Schritten macht mir der Druck von Körper gegen Körper klar, dass sich hier niemand langsam bewegt. Niemand will derjenige sein, der es nicht auf den Petersplatz schafft.

Die Plastikabsperrungen, an mir zerrenden Hände von Ordnern und Pilgern, und das ständige Auf und Zu der Absperrungen lassen in mir eine unweigerliche Härte aufkommen. Warum bin ich nochmal hier? Ich will eigentlich nur noch raus. Und das alles nur, weil die Pressestelle meine Akkreditierung, mit der ich mich überall durchschlängeln könnte, nicht pünktlich gedruckt hatte.

Für die Politiker interessiert sich hier kaum jemand

Als ich nach einer Stunde die Sicherheitsschleusen passiere und auf den Petersplatz trete, sehe ich den immensen, kalkweißen Petersdom vor mir. In der Mitte über dem Altar hängt ein weinroter Wandteppich: Christus, in blendendem Licht, steigt triumphierend aus dem Grab, während die Wächter zu seinen Füßen in hilfloser Geste zusammenbrechen. „Vai avanti!“, scheucht mich ein Ordner schnell weiter, als ich mitten in der chaotischen Masse stehen bleibe, um das Bild zu betrachten.

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Auf dem Petersplatz angekommen, stehen rund um mich herum mehrere Gruppen italienischer Pfadfinder und Ordensleute in den Roben verschiedener Kongregationen. Hinter mir lassen die anderen Pilger großen Sicherheitsabstand zu einem Mann. Ich wundere mich kurz, bis ich sein Shirt sehe: „Jesus is my Savior. Trump is my President.“ Als ich wieder nach vorne schaue, kommen gerade die ersten der hunderten Staatsvertreter auf der Terrasse vor dem Dom an.

Viele Rituale, die die katholische Kirche in den Tagen nach dem Tod eines Papstes begeht, schaute sie sich vom römischen Imperium ab. „Imitatio imperii“ nannten Theologen das Prinzip, das die Kirche nutzte, um ihre eigene Autorität gegen die weltliche Macht zu behaupten. Heute interessiert sich in der Menge kaum jemand für die Auftritte von Scholz, Macron oder Trump. Nur bei Wolodymyr Selenskyjs Auftritt brandet Applaus auf. Doch der kurze Moment vergeht ebenso schnell, wie er gekommen ist. Die Welt der politischen Repräsentation wirkt mit der Einheitlichkeit ihrer tristen grauen und dunkelblauen Anzüge an diesem Ort seltsam leblos.

„Dass die Kirche ein Zuhause für alle ist“: So lautete Franziskus’ Leitbotschaft

Nach zwei Stunden Wartezeit auf dem Platz, unterbrochen nur durch das gemeinsame Beten des Rosenkranzes, erklingt zum ersten Mal Gesang durch die verkrusteten Lautsprecher an den Arkaden rund um den Platz. „Requiem aeternam dona eis domine“, „Ewige Ruhe schenke ihnen, o Herr“ singt der päpstliche Chor. Jetzt schreiten auch die mehr als 200 Kardinäle in ihren scharlachroten Soutanen heran. Im Gegensatz zum farblosen Heer der staatlichen Vertreter machen sie mit der Wucht ihrer Schönheit sofort klar, wer an diesem Tag die wahre Macht verkörpert. Und die Autorität dieser Macht gründet sich auf etwas anderes als auf Befehlsgewalt.

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Das zentrale und radikale Versprechen dieser Zeremonie ist, dass es nach dem Tod weitergeht. Die Kirche lebt, auch wenn ihr oberster Bischof gestorben ist: Im Kern feiert die gesamte Inszenierung ein Prinzip, das jeder Tyrann fürchten muss. Das ist es, was mir an diesem Morgen Hoffnung schenkt, als mir während der schier endlosen Litanei der Heiligen der Wind auf dem Petersplatz den schweren Weihrauch in die Nase weht.

Das übersetzt sich in die Predigt von Kardinaldekan Giovanni Battista Re. Auch wenn sich viele nach Stunden in der Sonne träge auf den Boden setzen und einen Pullover über das Gesicht werfen, hören die meisten konzentriert zu. Deutlich wird das, als Applaus aufkommt, wenn Kardinal Re die Leitbotschaft Franziskus‘ herausstellt: „Dass die Kirche ein Zuhause für alle ist; ein Haus mit stets offenen Türen.“

Während meiner Lebenszeit wird mir kein Papst noch einmal so nah sein wie dieser

Re erwähnt die erste Reise des Papstes nach Lampedusa im Jahr 2013: „Unzählig sind seine Gesten und Ermahnungen zugunsten von Flüchtlingen und Vertriebenen“. Als Franziskus 2016 nach Lesbos flog, das damals im Mittelpunkt der europäischen Flüchtlingskrise stand, nahm er sogar zwölf Flüchtlinge in seinem Flugzeug mit zurück nach Rom. Franziskus habe „oft mit Nachdruck daran erinnert, dass wir alle zur selben Menschheitsfamilie gehören“. Es sind die Stellen, an denen die Menge applaudiert.

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Der 91-jährige Kardinaldekan setzt damit den Ton für das anstehende Konklave, bei dem es nicht nur um die Wahl des nächsten Papstes, sondern damit auch um eine Richtungsentscheidung der katholischen Kirche geht. Re macht klar, dass sich die Entwicklung, die Franziskus begonnen hat, nicht zurückdrehen lassen wird. Hier geht es also nicht nur um den Abschied von einem Mann, sondern um die Verteidigung der Idee, dass die Kirche, wenn sie überleben will, universell sein muss – „katholisch“ im wörtlichen Sinn.

Man liest dieser Tage oft, der nächste Papst könne ein dogmatischer Konservativer werden. Ich bin auch wegen der Befürchtung nach Rom gefahren, dass mir wohl kein Papst während meiner Lebenszeit noch einmal so nah sein wird wie dieser. Vielleicht wird sich diese Sorge schon in ein paar Tagen bewahrheiten. Aber hier treffen die pompösen Bauten, der prachtvoll gekleidete Klerus und die perfekt orchestrierte Zeremonie nicht auf eine Menge zigtausend konservativer Fanatiker, sondern auf Menschen, für die der Glauben ganz selbstverständlich zum Leben mit all seinen Widersprüchen gehört. Die Kirche lebt nicht von der Agenda eines Einzelnen, sondern von einer Hoffnung, die tiefer reicht als politische Differenzen.

Zum ersten Mal an diesem Tag löst sich die Anspannung

In diesem Augenblick erscheint es mir völlig ausgeschlossen, dass der nächste Papst mit den Entwicklungen, die Franziskus angestoßen hat, brechen wird: mit den Versuchen, die Kirche stärker auf die Ränder der Gesellschaft auszurichten, die Kritik an einer kapitalistischen Wirtschaft zu verstärken, auch gegen die Politik westlicher Staaten für Frieden einzutreten und das Eintreten für ökologische Verantwortung als religiöse Pflicht zu begreifen. Franziskus wusste, dass der Glaube, der hier gefeiert wird, kein Glaube der Sieger ist, sondern einer der Standhaften. Die Gesichter um mich herum sind müde und sonnenverbrannt, aber sie sind da.

Nach der Eucharistie, die wir kniend auf dem Petersplatz verfolgen, strömen dutzende Priester in die Reihen und spenden den Pilgern die Hostie. Die Mundkommunion, bei der die Hostie vom Priester direkt auf die Zunge des Gläubigen gelegt wird, kennt man in Deutschland eigentlich nur noch von Erz-Traditionalisten, die im alten Ritus feiern. Immer wieder schaut der lateinamerikanische Priester genervt, wenn jemand seinen Mund nicht auf Anhieb öffnet. Viele von uns hadern mit solchen Traditionen; wir sind eine modernere, angepasste Kirche gewohnt.

Auch ich erinnere mich nicht an meine letzte Mundkommunion, als ich mit geöffnetem Mund auf ihn zugehe. Wie sagt man denn „Amen“ mit geöffnetem Mund? Bevor ich zu einem Schluss komme, legt mir der Priester die Hostie schon mit skeptischem Blick in den Mund. Schnell nuschele ich noch das „Amen“ hinterher. Ein kurzes Lächeln im Gesicht des Priesters beruhigt mich.

Langsam und erschöpft kehren wir nach der Kommunion an unsere Plätze zurück. Eine unerwartete Stille breitet sich aus, die noch vor wenigen Stunden, mitten im Gewimmel der Pilger, unvorstellbar schien. Auch in mir kehrt Ruhe ein. Zum ersten Mal an diesem Tag löst sich die Anspannung; die Last des Lärms, der körperlichen Erschöpfung und der angestrengten Konzentration auf die italienische Messe fällt von mir ab.

Noch nie habe ich den Sieg der Hoffnung über den Tod so deutlich gespürt wie heute

Kurz darauf heulen über dem Petersplatz wieder Krankenwagensirenen auf; Kardinaldekan Re setzt zum Schlussgebet an. Als er es beendet und sich die Sargträger zum schlichten Holzsarg begeben, verdunkelt zum ersten Mal an diesem Morgen eine einzelne Wolke die Sonne. Im Moment, in dem sie den Sarg schräg anheben und er uns ein allerletztes Mal gezeigt wird, gibt die Wolke das Licht wieder frei.

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Die gespannte Ruhe während der Masse zerfällt nun endgültig in Tränen und Applaus. Die Menschen schwenken Flaggen aus zahlreichen Ländern, halten Plakate hoch und applaudieren diesem so einzigartigen Papst lautstark. Noch nie habe ich den Sieg der Hoffnung über den Tod so deutlich gespürt wie an diesem 26. April 2025 auf dem Petersplatz.

Franziskus‘ Sarg wird in den Petersdom gebracht. Anschließend wird er in einem schneeweißen Wagen in seine Lieblingsbasilika außerhalb des Vatikans überführt werden. An den Straßenrändern der abgeriegelten Stadt warten dann weitere 150.000 Menschen, um einen letzten Blick auf den Sarg zu werfen. Von den Stufen der Basilika Santa Maria Maggiore wird nochmal ein Bild um die Welt gehen: Eine Gruppe von Gefangenen, Transpersonen, Obdachlosen und Migranten empfängt dort nach Wunsch des verstorbenen Papstes seinen Sarg. Auf seinem Grabstein wird nur stehen: Franciscus.



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Von Veritatis

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