Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger

„Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen“, spricht Hiob in dem nach ihm benannten biblischen Buch und will damit zum Ausdruck bringen, dass er auch sein vom Herrn verhängtes Unglück hinnehmen muss – was bliebe ihm wohl auch anderes übrig? Manche Mitglieder der evangelischen Kirche mögen sich hierzulande ähnlich fühlen, wenn sie einen Blick auf den geistigen Zustand ihrer Kirche werfen. Man muss nicht bis ins Jahr 2019 zurückgehen, als während des damaligen evangelischen Kirchentags ein Workshop mit dem schönen Titel „Vulven malen“ angeboten wurde, garniert mit der nicht minder schönen Begründung, dies stehe „in direktem Zusammenhang mit der lebensbejahenden Botschaft des Schöpfungsberichtes im Buch Genesis“. Man muss sich auch nicht an den Kirchentag des Jahres 2023 erinnern, gekrönt von einer Predigt eines seltsam frisierten Pfarrers, der verkündete, wir alle seien die sogenannte Letzte Generation und Gott sei queer.

Nein, auch der diesjährige Kirchentag, angelaufen am 30. April, hat einiges in dieser Hinsicht zu bieten. So findet man beispielsweise eine Podiumsdiskussion unter Leitung eben jenes gerade erwähnten Pfarrers – vielleicht muss man inzwischen aber auch von „Pfarrernden“ statt von Pfarrern sprechen – die mit dem Titel „Schuld ist nur der Feminismus. Rechte Narrative im digitalen Raum“ auf sich aufmerksam macht, ein weiteres Podium widmet sich dem Thema „Celebrating pride and diversity. Together against racism, anti-queerness and populism“ und selbstverständlich kann man Workshops über „Queere, feministische, gendersensible Liturgie“ oder auch „Queer Theology“ besuchen, von „Queersensibler Arbeit mit Konfirmand:innen“ ganz zu schweigen. Der wichtigen Frage „In welcher Nichtregierungsorganisation wäre Jesus?“ wird ohne Zögern nachgegangen, die renommierte Theologin Luisa Neubauer befasst sich mit Bibelarbeit und ein Mitmachforum des Namens „Haltung zeigen und Auseinandersetzung wagen“ stellt die alles entscheidende Frage „Sie nehmen rechte Tendenzen in Ihrer Umwelt wahr und fragen sich, wie Sie reagieren sollen? In dieser Veranstaltung ringen wir mit Unterstützung von Expert:innen aus Initiativen gegen Rechts und in Kleingruppen um Antworten.“ Auch eine grüne Sprecherin für „Migration, Geflüchtete, Antirassismus“ soll sich äußern, gemeinsam mit dem zu Recht so beliebten Alt-Bundespräsidenten Christian Wulff, bei dem man gespannt sein darf, ob er mehr zu sagen weiß, als dass der Islam zu Deutschland gehört.

Wie jeder leicht sieht, lohnt sich ein Blick in das Kirchentagsprogramm, und sei es auch nur, um zu dem Schluss zu kommen: Eine derartige Kirche braucht niemand. Gläubige brauchen sie nicht, weil sie mit dem Glauben nur noch wenig bis nichts zu tun hat, es sei denn, man schätzt den Glauben an den menschengemachten Klimawandel, die Existenz von 72 verschiedenen Geschlechtern oder die segensreiche Wirkung ungezügelter Migration. Ungläubige wie ich brauchen sie schon gar nicht, weil sie noch nie eine Kirche brauchten. Und wer noch nicht so recht weiß, ob er sich der protestantischen Glaubensrichtung zuwenden möchte, wird sich vermutlich in Anbetracht dieser leuchtenden Beispiele eher für das rotgrüne Original entscheiden als für seinen theologisch verbrämten Ableger.

Doch wie wirkt sich die Anbiederung an den vermeintlichen Zeitgeist aus? Streben die Menschen frohlockend in die evangelischen Kirchen? Eher nicht, denn die Zahl der Kirchenmitglieder fällt mit boshafter Beharrlichkeit. In der folgenden Tabelle sieht man die jeweilige Anzahl der Mitglieder der „Evangelischen Kirche in Deutschland“ seit 2015, angegeben in Millionen.

Mitglieder der Evangelischen Kirche
in Deutschland
Jahr Mitglieder Verlust
2015 22,27
2016 21,92 0,35
2017 21,54 0,38
2018 21,14 0,4
2019 20,71 0,43
2020 20,24 0,47
2021 19,73 0,51
2022 19,15 0,58
2023 18,57 0,58
2024 17,98 0,59

Es ist nicht zu übersehen: Es gab einen kontinuierlichen Niedergang der Mitgliederzahlen von 22,27 Millionen im Jahr 2015 auf 17,98 Millionen im Jahr 2024, das sind 4,29 Millionen. Und dieser Niedergang erfolgt mit beeindruckender Regelmäßigkeit, wie man leicht erkennt, indem man die Werte in eine Graphik einträgt.

Alle zehn Datenpunkte liegen mit großer Genauigkeit auf einer Geraden, was Covid- oder Klimamodellierer vermutlich zu der Annahme verleiten würde, es handle sich um einen exponentiellen Abfall. Aber bei aller Genauigkeit ist es nur eine Näherungsgerade, und die Qualität der Näherung in Gestalt des gern verwendeten Korrelationskoeffizienten kann man leicht ausrechnen: Er liegt bei -0,995. In früheren Beiträgen hatte ich es schon gelegentlich erwähnt: Hat man einen Koeffizienten in der Nähe von 1, so liegen die Punkte sehr nah an einer steigenden Gerade, beträgt er dagegen annähernd -1, müssen sie sich mit einer fallenden Gerade begnügen. Und da wir kaum noch näher an -1 herankommen können, muss man davon ausgehenden, dass die Zahl der Kirchenmitglieder im Wesentlichen linear abfällt.

So weit ist es nur eine Tatsachenbeschreibung, doch wer könnte der Versuchung widerstehen, einmal nachzusehen, wie es wohl in etlichen Jahren um die evangelische Kirche in Deutschland bestellt sein mag, wenn der Trend so weiterläuft wie bisher? Das ist leicht. Die eingezeichnete Gerade lässt sich durch eine Gleichung beschreiben, die ich hier vorsichtshalber nicht einfüge, um nicht mitten im Text die Hälfte der Leser zu verlieren. Anhand dieser Gleichung kann man nun leicht ausrechnen, zu welchem Zeitpunkt die Anzahl der Kirchenmitglieder einen bestimmten Wert erreicht haben dürfte, vorausgesetzt, der Trend der letzten zehn Jahre bleibt bestehen. Derzeit sind es 17,98 Millionen. Wann sind es denn nur noch zehn? Die Rechnung zeigt, dass dieser Stand etwa 2041 erreicht wird, das ist nicht mehr lange hin. Und wann verlässt der letzte Kirchensteuerzahler die Versammlung der queeren Klimabewegten? Nach dem berechneten Trend wird das 2062 stattfinden; immerhin ist die Schonfrist bis zur vollständigen Auslöschung beträchtlich.

Die Tabelle zeigt aber, dass es auch anders kommen könnte. Zwar gibt die ermittelte Gerade sehr genau den Trend der letzten zehn Jahre wieder, aber seiner Fortschreibung steht eine Kleinigkeit im Wege, die man in der dritten Spalte der Tabelle sehen kann. Dort finden sich die jährlichen Verluste an Mitgliedern, angefangen bei 0,35 Millionen im Jahr 2016 bis hin zu 0,59 Millionen 2024. Es ist leicht zu sehen, dass die Verluste von Jahr zu Jahr angestiegen sind, nur 2023 lag Stagnation vor. Und sollte sich die ideologische Ausprägung der Kirche nicht ändern, dürfte kaum ein Grund vorliegen, warum sich die Anzahl der Verluste wieder reduzieren sollte, im Gegenteil, der Trend der vergangenen Jahre legt weitere leichte Steigerungen nahe. Ich werde aber konservativ rechnen und einmal davon ausgehen, dass es bei der derzeitigen jährlichen Verlustrate von 0,59 Millionen bleibt und sie nicht mehr ansteigt. Das macht die Rechnung noch leichter. Die magische Schwelle von 10 Millionen Mitgliedern ist dann bereits nach vierzehn Jahren unterschritten, denn vierzehn Mal muss man 0,59 von 17,98 abziehen, um unter 10 zu gelangen. Bei konstanter Schwundrate dürfen sich die Bischöfe also bereits 2038 über gerade einmal 10 Millionen Anhänger freuen, das liegt schon bedrohlich nahe. Und der endgültige Abschied des allerletzten Kirchenmitgliedes, das dann nur noch das Licht ausschalten kann, findet schon 2055 statt, sieben Jahre früher als bei der freundlicher gesonnenen fortgeschriebenen Trendgeraden.

Ist das sicher? Natürlich nicht. Gravierende Änderungen der Umstände sind immer möglich, und dann hilft keine Trendgerade mehr. Niemand weiß, ob Ereignisse eintreten, die der Kirche die Mitglieder wieder in Scharen zutreiben oder sie erst recht aus ihr hinaustreiben. Niemand weiß, ob sich die derzeitige alberne Ausrichtung der offiziellen Kirche nicht in Bälde ändert und damit die Verlustraten vielleicht reduziert werden können. Und niemand weiß, ob nicht in allzu naher Zukunft nicht mehr nur der Islam zu Deutschland gehört, sondern umgekehrt Deutschland zum Islam, was den Mitgliederzahlen der evangelischen Kirche vermutlich nicht gut tun würde. Doch bleibt es beim derzeitigen Trend, dann ist das Ende absehbar.

Und die Katholiken? Die gibt es ja auch noch, und vielleicht haben sie die schlechten evangelischen Zahlen ausgeglichen? Eher nicht. Ich gebe gern zu, dass die deutsche katholische Kirche wohl nicht ganz so schlimm ist wie die evangelische, schlimm genug ist die trotzdem. „Ich bin der Ansicht, die Kirche muss Anwalt der ‚Fridays-for-Future-Bewegung sein“, sagte einst der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer. In jüngster Zeit ließ der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz verlauten, Grenzschließungen und Zurückweisungen sehe man nach wie vor kritisch, und der Berliner Bischof Koch meinte schon 2019: „Mich erinnern die Freitagsdemos ein wenig an die biblische Szene vom Einzug Jesu in Jerusalem.“ Und auch im Verlauf des letzten Katholikentages 2024 fanden sich beeindruckende Darbietungen. „Der Leib Christi ist queer – und jetzt? Was bedeutet queere Sichtbarkeit für die Kirche?“ So konnte man sich während einer Podiumsdikussion fragen. „Frieden braucht Klimagerechtigkeit“, wurde voller Freude verkündet, was man noch verstärkte durch die fragende Forderung: „Genug ist genug! (Wie) Erreichen wir Klimagerechtigkeit?“ Auch den Hinweis auf eine „Werkstatt“ mit dem Thema „Die Bibel queer gelesen. Wieso G*tt Fan von Vielfalt ist“ kann ich leider nicht unterdrücken. „G*tt“ ist übrigens kein Druckfehler.

Angesichts solcher Leistungen ist zu erwarten, dass die Mitgliederzahlen der katholischen Kirche sich nicht viel anders entwickeln als die der direkten Konkurrenz. Und so ist es auch, wie die Statistik zeigt.

Mitglieder der Katholischen Kirche
in Deutschland
Jahr Mitglieder Verlust
2015 23,8
2016 23,6 0,2
2017 23,3 0,3
2018 23 0,3
2019 22,6 0,4
2020 22,2 0,4
2021 21,6 0,6
2022 20,9 0,7
2023 20,4 0,5
2024 19,8 0,6

Ein regelmäßiger Niedergang ist auch hier feststellbar, wenn auch die Verlustraten nicht so stetig steigen wie bei den Protestanten, sondern immerhin 2023 einen Rückgang erfahren mussten. Ich will hier weder die Leser noch mich selbst mit weiteren Details belasten, sondern nur schlicht die Ergebnisse mitteilen. Wieder liegen die Datenpunkte mit beeindruckender Genauigkeit auf einer Geraden, der Korrelationskoeffizient lautet -0,986, sodass die Punkte sich sehr ordentlich an die nötige Gerade anschmiegen. Schreibt man den Trend in die Zukunft fort, so ist im Jahr 2046 mit nur noch 10 Millionen Katholiken in Deutschland zu rechnen, während das Aussterben der katholischen Kirche im Jahre 2068 erwartet werden kann: Alles etwas später als im protestantischen Bereich, anscheinend sind Katholiken geduldiger. Geht man dagegen wie bei der evangelischen Kirche davon aus, dass die einmal erreichte Verlustrate von 0,6 Millionen nicht mehr unterschritten wird, so sieht man schnell, dass es immerhin etwa 17 Jahre braucht, bis nur noch 10 Millionen Anhänger der katholischen Kirche übrig sind, während 33 Jahre benötigt werden, um auch noch den letzten Katholiken zu vertreiben – in diesem Fall befinden wir uns im Jahr 2057.

Ich darf wiederholen: Nichts davon ist sicher. Doch die Entwicklung der letzten zehn Jahre und der verheerende geistige Zustand der beiden Kirchen legen die Vermutung nahe, dass ihr Niedergang kaum noch aufzuhalten ist. Ihre Existenz, ihr Handeln erscheinen, um eine Formulierung von Thomas Mann ein wenig abzuändern, als ein schauerlich kraftloses Wühlen im Brei historischer Auflösung. Ob man sie nun in den Fünfziger oder in den Sechziger Jahren dieses Jahrhunderts zu Grabe tragen muss, wird sich finden. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen.

In seinem Roman „Der Zauberberg“ beschreibt Thomas Mann die geistige Lage im Sanatorium Berghof, in das es seinen Helden für sieben Jahre verschlagen hat: Es war, „als sei es mit Welt und Leben nicht ganz geheuer; als stehe es auf eine besondere Weise und zunehmend schief und beängstigend darum; als habe ein Dämon die Macht ergriffen, der, schlimm und närrisch, zwar lange schon beträchtlichen Einfluss geübt, jetzt aber seine Herrschaft so zügellos offen erklärt habe, dass es wohl geheimnisvollen Schrecken einflößen und Fluchtgedanken nahelegen konnte, – der Dämon, des Name Stumpfsinn war.“ So steht es um Deutschland, und so steht es auch um seine beiden großen Kirchen, die den Stumpfsinn zum Programm erkoren haben. Und jeder dieser Kirchen möchte man zurufen, was Thomas Mann seiner Hauptperson zum Ende des Romans mit auf den Weg gibt: „Deine Aussichten sind schlecht; das arge Tanzvergnügen, worein du gerissen bist, dauert noch manches Sündenjährchen, und wir möchten nicht hoch wetten, dass du davonkommst. Ehrlich gestanden, lassen wir ziemlich unbekümmert die Frage offen.“

Im Roman ist der Erste Weltkrieg gemeint, aber es braucht keinen Weltkrieg, um unterzugehen.

Allgemeiner Stumpfsinn reicht vollauf.

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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

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