Anja Windl soll aus ihrer Wahlheimat ausgewiesen werden, weil sie sich der Letzten Generation anschloss. Sie stelle eine „schwerwiegende Gefährdung“ dar. Wer ist die Frau, die der Boulevard zur „Klima-Shakira“ machte? Ein Porträt
Ihr Vater ist Stammwähler der CSU. Wäre seine Tochter nicht betroffen, würde er wohl über die Protestierenden am Stammtisch sagen: einsperren!
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Der digitale Raum wird zum Treffpunkt unserer Wahl. Anja Windl sitzt auf ihrem Balkon in der österreichischen Großstadt Klagenfurt. Zwischen grober Hausfassade und Wimpelkette, die über einer Wäscheleine am Balkongeländer flattert, richtet sie sich ein. „Ich dreh nur kurz noch die Kippe fertig“, sagt sie mit schiefem Lächeln, bevor sie auf die erste Frage eingeht. Der rosafarbene Lockenwickler, der über Windls Stirn herausragt wie eine gut gemeinte Elvis Locke, hält die vordersten Haarsträhnen davon ab, ihr im Gesicht zu baumeln.
Auf die Frage, wie sich Windl politisiert habe, antwortete sie: „Schon als Kind und Jugendliche habe ich zu spüren bekommen, was Ausgrenzung bedeutet – einfach nur, weil ich extrem überg
übergewichtig war. Mir wurde vermittelt, dass ich nicht dazugehöre, ich so nicht existieren dürfe. Und wenn du so früh erlebst, wie sich Ausschluss anfühlt, dann verstehst du sehr schnell, wie Unrecht funktioniert.“ Aufgewachsen sei sie im Trubel einer, wie sie sagt, schönen und vermeintlich heilen Großfamilienwelt, mitten in einer konservativ geprägten, niederbayerischen einhundertfünfzig Einwohner Dorfidylle samt Streichelzoo. „Zur Firmung habe ich Ziegen geschenkt bekommen – was für Menschen, die nicht vom Dorf kommen, wahrscheinlich eher ungewöhnlich wirkt“, erzählt sie.Als „schwerwiegende Gefährdung für die österreichische Bevölkerung“ gilt die 28-Jährige nun. Die deutsche Klimaaktivistin der Letzten Generation, einer Protestorganisation, die auf Mittel des zivilen Ungehorsams setzt, baute sich in den letzten sieben Jahren ihren Lebensmittelpunkt in Österreich auf. Wegen ihres Psychologie-Studiums sei sie dort hingezogen. Nun soll sie raus aus dem Land, das zu ihrem Zuhause geworden ist.Wie oft sie bereits verhaftet wurde, kann sie nicht mehr sagen. Vielleicht 50 Mal?Auf Windls körperlichen Einsatz bei Protesten der Letzten Generation, wie beispielsweise dem Festkleben und Blockieren von Straßen, blickt die Familie mit gemischten Gefühlen. Ein Teil ihrer Geschwister sei stolz auf sie und Unterstützung bekomme sie sicherlich auch aus den familiären Reihen. Selbst wenn die politischen Lager weit auseinanderklaffen. Ihr Vater gehöre eher zur alten CSU-Stammwählerschaft und würde am Stammtisch wohl mit rufen, dass all die Protestierenden eingesperrt gehören, wenn es dabei nicht um seine eigene Tochter ginge. Dass ihre Eltern über ihren zivilen Ungehorsam nicht jubeln können und sich um sie sorgen, das aber versteht sie: „Wenn ich weiß, dass mein Kind gerade riskiert, auch potentiell jahrelang in den Knast zu gehen, da fällt es einem wahrscheinlich schwer zu sagen: hey super, ich unterstütze dein Anliegen!“Und tatsächlich hat Anja Windl die mausgrauen Wände, die wenige Quadratmeter gefliesten Zellenbeton umschließen, schon viele Male von innen gesehen. Immer sei es das gleiche Spiel gewesen, mal mit mehr, mal mit weniger Polizeigewalt. Nachdem man sie buchstäblich von der Straße gekratzt und weggetragen hat, wird sie vom Arrestantenwagen zum Polizeianhaltezentrum gekarrt. Dort dreht man sie von rechts auf links und von links auf rechts, bis die Reise im Einzel-Arrest endet und Windl am Ende des Tages wieder ausgespuckt wird – vom österreichischen Polizeiapparat. Wie oft sie bereits verhaftet wurde, kann sie nicht mehr sagen. Vielleicht 50 Mal? Irgendwann, da habe sie einfach nicht mehr mitgezählt.Nicht wenige Schlagzeilen hat die Klimaaktivistin mit den Protestaktionen der Letzten Generation bereits sowohl in Deutschland als auch in Österreich ausgelöst: „Klima-Shakira“ macht dies, „Klima-Shakira“ tat jenes. Schlimmer noch, wenn diese Meinung auch noch unbequem ist. Dann bleibt für jene scheinbar nur eines: sie auf Äußerlichkeiten zu degradieren und beispielsweise über ihre Bauchnarben zu debattieren.Die Geburtsstunde der „Klima Shakira“Angefangen habe das Ganze mit einem rechten Influencer, der bekannt dafür sei, Polizistinnen ungeniert auf den Hintern zu filmen. Dieses Mal habe er sich Windl rausgepickt. Das Video verbreitete sich in Windeseile. In den Kommentaren hieß es, sie sehe aus wie Shakira, wegen der langen blonden Haare und schon war’s geschehen – jemandem aus der Redaktion des österreichischen Boulevard-Magazins heute kam der Geistesblitz seiner Laufbahn: Die Verbindung zwischen Windls Protest und reiner Äußerlichkeit wurde geschlagen, um sie mit diesem billig konstruierten Label zu brandmarken und damit ihre politischen Inhalte und ihren Aktivismus zu entwerten – Sexismus at it’s best. Einen derartigen Medienrummel um sich zu haben, das wollte die Aktivistin nie. Gerade in den letzten Wochen, in denen sie wieder vermehrt in den Strudel der Medien geriet, habe sie im FPÖ durchzogenen Klagenfurt eine Zielscheibe auf dem Rücken, sodass sie sich nur noch ungern außer Haus begibt. Die vielen Anfeindungen, das Anhupen auf offener Straße, die Beleidigungen und Beschimpfungen – die machen Anja Windl wirklich zu schaffen. Da ist die ein oder andere ihr wohlgesonnene Person, die ihr im Supermarkt ihr Mittagessen spendiert, bloß ein kleiner Trost. Online wird sie dann von Morddrohungen und Vergewaltigungsphantasien überschwemmt. Selbst auf offener Straße, zwischen all den anderen Protestierenden, drohte man ihr schon eine Vergewaltigung an, erzählt sie.An einem kühlen Novembertag im Jahr 2022 wurde Anja Windl durch einen Vortrag der Letzten Generation von der Strategie des zivilen Ungehorsams überzeugt. Die Dringlichkeit der Klimakatastrophe sei ihr schon vorher bewusst gewesen, durch die Veranstaltung sei das Thema aber für sie nochmal auf eine andere Bewusstseinsebene gelangt. Nur zwei Tage später, am 7. November, tauschte sie ihr hin und wieder in die Höhen gehaltenes buntes Demo-Schild gegen Kleber und zivilen Ungehorsam.An jenem 7. November soll Anja Windl sich laut Abschiebungsbescheid radikalisiert haben.Auch die Falschmeldungen seien zu Beweisstücken gegen sie geworden, sagt Anja WindlEin weiteres Indiz ihrer „links-extremistischen Gesinnung“ sei laut österreichischer Fremdenbehörde ein Video, welches sie in den sozialen Medien teilte. Ein Video, in dem zu sehen ist, wie Christian Lindner auf einer Parteiveranstaltung der FDP eine Rasierschaum-Torte ins Gesicht gedrückt wurde. Auch das Video, in dem Windl ihren Esel Lara an einem Primärarrest knabbern lässt – einem Bescheid, den die österreichische Polizei für Verwaltungsübertretungen ausstellen kann, ohne dass man einen Richter zu Gesicht bekommt – sei ein Beweis für die akute „Gefährlichkeit“ die von ihr ausginge, erklärt sie und zieht mit sichtbarer Fassungslosigkeit an ihrer Zigarette.Bald darauf wird die Aktivistin in die Fremdenbehörde zitiert. Was folgt, ist eine stundenlange Befragung – der Beamte scheint sich seiner Sache wirklich sicher zu sein und quetscht sie aus wie eine Zitrone. Von ihren Hobbys soll sie erzählen, von ihrem Privatleben. Vor ihm habe ein dicker Ordner gelegen, in dem sich all die in den Untiefen des Internets schwirrenden Medienberichte gehäuft hätten. Auch die Falschmeldungen, sagt sie, wurden zu Beweisstücken. Jede kleine Änderung auf der Webseite der Letzten Generation soll überwacht und dokumentiert worden sein. Ihr Anwalt sei höchst verwundert gewesen über die Art der Befragung.Nun ist der Prozess entschieden – Windl soll das Land verlassen.Vier Wochen hat die Fremdenbehörde ihr gegeben, um auszureisen oder eine Beschwerde einzureichen. Eigentlich habe sie ein Daueraufenthaltsrecht durch die sieben Jahre, in denen sie nun schon in Österreich lebt. Das habe sie aber an besagtem November verspielt, argumentiert die Fremdenbehörde, genau wie ihr Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EU. Falls die Studentin jetzt nochmal straffällig werden würde, könnte man sie sofort an die Grenze verfrachten oder in Abschiebehaft nehmen.Anja Windl droht aber nicht bloß die Abschiebung.Wie Anja Windl mit der Ausweisung umgehen will? Aussitzen!Ähnlich wie bei fünf weiteren Mitgliedern der Letzten Generation in Deutschland wird auch gegen sie wegen der Gründung einer „kriminellen Vereinigung“ ermittelt. Bei dem Paragraphen § 129 des Strafgesetzbuches, auf den sich hierbei bezogen wird, ist jener, der gegen mafiöse Strukturen genutzt wird. Rockergangs und Wirtschaftskriminalität sollen mit ihm belangt werden. Also solche Strukturen, die Personen tatsächlichen physischen Schaden zufügen. Wenn Anja Windl an die Zukunft denkt, wird ihr schwindelig. Das einzige, was ihr noch Hoffnung macht, sind all die Menschen, die eben nicht aufgeben und Widerstand leisten. Die Ausweisung will sie aussitzen. Sie wird Beschwerde einlegen durch ihren Rechtsanwalt, dem ein derartiger Fall bislang noch nicht bekannt gewesen sei. Wie lange das Verfahren dauern wird, das weiß niemand so genau. Ein halbes Jahr vielleicht oder auch kürzer, falls die Richter sie außer Land wissen wollen – eine Zeit des Bibberns und Wartens folgt also.Eigentlich steht das Schreiben ihrer Bachelor- wie Masterarbeit noch aus. Aber was solle sie schon mit einem abgeschlossenen Studium, wenn wir drohen, bald im Faschismus zu sitzen, merkt sie an. Der Zustand, in dem sich der Rechtsstaat befindet, macht ihr große Sorgen. Einfach aufzugeben, das kommt für Windl nicht in Frage. Daran würde sie zerbrechen.