Anlässlich des 70. Jahrestag des Beitritts der Bundesrepublik Deutschland zur NATO erklingt eine gefährliche Meinungsmache, die entkräftet werden sollte. Von Bernhard Trautvetter.

Am 28. April reiste Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aus Anlass des 70. Jahrestages des Beitritts der Bundesrepublik Deutschland zur NATO zusammen mit dem Noch-‚Verteidigungs‘-Minister Pistorius nach Brüssel in die NATO-Zentrale. Der Beitritt der BRD erfolgte am 6. Mai 1955. Laut der Website des Bundespräsidenten betonte er „die besondere Rolle Deutschlands … und seine Verlässlichkeit als Partner im westlichen Bündnis“.

Laut Redemanuskript, das der F.A.Z. vorzeitig vorgelegen hat, legitimiert Steinmeier die Rolle der NATO als Militärmacht gegen Russland unter Verweis auf den Ukrainekrieg:

„Heute, da Putins Krieg gegen die Ukraine mit voller Wucht weiter tobt und die USA ihre europäischen Verbündeten enorm unter Druck setzen, kommt Deutschland eine Schlüsselrolle zu …“

Er begründet die Hochrüstung, die dieses Land zum Staat mit den viertgrößten Militärausgaben weltweit macht, mit diesen Worten:

Deutschland wird gerufen – und wir haben den Ruf gehört. Wir haben verstanden. Ihr könnt auf uns zählen. … Ein schlecht gerüstetes Deutschland ist heute die größere Gefahr für Europa als ein stark gerüstetes Deutschland.

Entsprechend der Propaganda der NATO-Lobby erklärte Steinmeier Russland nicht nur zum Alleinverantwortlichen für das Kriegsgeschehen in Osteuropa; sondern er rechtfertigt damit zugleich entsprechend der medialen Meinungsmache die ‚Erfordernis‘ der Aufrüstung Deutschlands, die die Militärlobby seit dem Beginn der Kriegshandlungen in der Ukraine nach dem Putsch in Kiew 2014 von etwas über 32 Milliarden Euro im laufenden Kalenderjahr (2025) unter Einbezug des sogenannten ‚Sondervermögens’ auf über 75 Milliarden Euro vervielfacht hat.

Aus diesen Zahlen ist ersichtlich, wie manipulativ die Propaganda ist, die eine vermeintlich kaputtgesparte Bundeswehr als sanierungsbedürftig hinstellt und Militärausgaben in nie dagewesenen Ausmaßen einfordert.

Die Konsequenz der sozial-, umwelt-, bildungs- und gesundheitspolitisch unverantwortlich hohen Ausgaben für Militär jenseits der Schuldenbremse begründen die NATO-Lobby wie auch der Bundespräsident mit der sogenannten russischen Gefahr. Dabei greift die Propaganda auf Muster zurück, die weit über den Nationalsozialismus bis ins Kaiserreich und darüber hinaus ins Mittelalter zurückreichen.

Professionelle Meinungsmache

Die Propaganda funktioniert nicht nur aufgrund der tradierten Muster, auf die sie zurückgreifen kann. Die NATO hat ihre Meinungsbeeinflussung in der Zeit nach dem Irak-Krieg zudem professionalisiert.

Die Essener Konferenz des sogenannten Centre of Excellence der NATO „Joint Air Power Competence Centre” (JAPCC) arbeitete an diesem Projekt bereits vor zehn Jahren: Die Militärs bedauerten, dass George W. Bush die Weltöffentlichkeit bei der Legitimierung des unprovozierten Angriffskrieges mit dem Verweis auf Massenvernichtungswaffen des Irak, die es nicht gegeben hatte, täuschte. Hätte er doch auf die Grausamkeit der irakischen Führung rekurriert, dann hätte er die Weltöffentlichkeit auf seiner Seite gehabt. Im Tagungsmaterial findet sich dieser Hinweis Seite 44/45.

So verfährt die Propaganda seither mit der russischen Führung, indem sie doppelte Standards anwendet und Menschenrechtsverletzungen von Partnerstaaten der USA/Nato relativiert oder gänzlich aus der Berichterstattung ausspart.

Ein weiteres Element der Meinungsmanipulation wird im Tagungsmaterial der Essener Nato-Strategiekonferenz von 2015 auf Seite 3 deutlich, wo die Autoren schreiben, die Medien wollen Geschichten erzählen, das Militär will den Krieg gewinnen. Die Propaganda strebt die Informationsüberlegenheit an (S. 39); dabei nutzt sie grundsätzliche Prinzipien der Meinungsbeeinflussung, wie diese Empfehlung des Ergebnisprotokolls der Essener Konferenz zeigt:

„Eine menschliche Dimension einer Geschichte trägt … dazu bei, dass sie in der Öffentlichkeit ankommt. Manchmal ist die beste Person, die sprechen kann, vergleichsweise jung.”

Um den ‘Informationskrieg’ zu gewinnen, einigte sich die Konferenz laut Protokoll S. 14/15 darauf, „dass die ‘Geschichten‘ eine menschliche Dimension haben sollten und dass sie von denjenigen erzählt werden sollten, die an ihnen beteiligt waren, um eine maximale Wirkung“ auf die Zielgruppe – hier die Menschen in den NATO-Staaten zu erzielen: Konkret:

Interviewen Sie den F 16-Piloten, der mit seinen Präzisionswaffen einen ‚Bösewicht‘ tötete, aber alle Guten verschonte, interviewen Sie den C 130-Lademeister, der dringend benötigte humanitäre Hilfe für hungernde Kinder abwarf.“

Krieg ist Frieden

Der ehemalige Bundesaußenminister Steinmeier wendet die Strategische Kommunikation an, indem er behauptet, Deutschland brauche „ein starkes Militär – nicht um Krieg zu führen, sondern um ihn zu verhindern. … Auch unsere Außenpolitik braucht ein starkes Militär – nicht um Diplomatie zu ersetzen, sondern damit sie glaubhaft ist.“

Laut Steinmeier sei die NATO „geboren aus der Stärke der Demokratien im 20. Jahrhundert. Kein Land, nicht einmal die USA, könnte im 21. Jahrhundert ein solches Bündnis noch einmal gründen.“ Er empfahl: „Denken wir daran, was für uns alle auf dem Spiel steht.“ Mit dem letzten Satz greift Herr Steinmeier implizit das Narrativ der russischen Gefahr auf. Mit diesem Narrativ hat die NATO die öffentliche Meinung stark in ihre Richtung manipuliert. Die Bundeswehr jubelt in ihrem Internet-Auftritt:

„Infolge des Ukraine-Krieges hat sich die Haltung der deutschen Bevölkerung zu vielen verteidigungspolitischen Themen verändert. … Russland wird zum ersten Mal von einer Mehrheit als Bedrohung wahrgenommen, der Zuspruch zur Bündnisverteidigung an der Ostflanke ist deutlich gestiegen und die Akzeptanz für die Erhöhung der Verteidigungsausgaben erreicht einen historischen Höchststand. Nie haben die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands der Bundeswehr mehr vertraut als heute.“

Dieser Meinungsumschwung ist Ergebnis einer jahrelangen Infiltration der Öffentlichkeit mit Halbwahrheiten und doppelten Standards. Die Darstellung einer russischen Gefahr entspringt dem Bild eines Überfalls beziehungsweise unprovozierten und imperialistischen Angriffs Russlands auf die Ukraine, wie es unter anderem Olaf Scholz in seiner Zeitenwende-Rede 2022 zum Ausdruck brachte.

Diese Propaganda blendet aus, dass die Nato-Ost-Expansion den Worten des damaligen Bundesaußenministers Genscher an den sowjetischen Präsidenten Gorbatschow widerspricht. Diese Vereinbarungen fanden auch Einfluss in das internationale Recht, darunter der Vertrag zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten, in dessen Präambel die Unterzeichnerstaaten USA, Großbritannien, Frankreich, Sowjetunion, DDR und BRD eine Friedensordnung vereinbarten, die die Sicherheit „eines jeden” respektiert. Dagegen verstößt die NATO mit ihrer Expansion, während sie gleichzeitig Russland vorwirft, diese Friedensordnung mutwillig zerstört zu haben. Die Propaganda, mit der die Hoch- und Atomrüstung, die Spannungseskalation und die NATO-Unterstützung flankiert werden, übergeht zudem Warnungen hochrangiger westlicher Diplomaten und Strategen wie des aktuellen CIA-Chefs William Burns mit seinem ‚Nyet means nyet‘-Memo – Zitat:

„… Experten sagen uns, dass Russland besonders besorgt ist, dass die starken Spaltungen in der Ukraine über die NATO-Mitgliedschaft, mit einem Großteil der ethnisch-russischen Gemeinschaft gegen Mitgliedschaft, zu einer großen Spaltung, Gewalt oder schlimmstenfalls zu einem Bürgerkrieg führen könnten.”

Kräfte wie die Friedensbewegung, die auf die Unwahrheit und Gefährlichkeit der NATO-Politik und ihrer Lobby verweisen, werden in der Strategischen Kommunikation der NATO und ihrer Lobby wie schon in der Vergangenheit auf verschiedene Weise delegitimiert. Die NATO-Strategische Kommunikation kennzeichnete sie im Vorbereitungsmanuskript ihrer Essener Konferenz von 2015 auf Seite 35 als „problematisch”, da sie mit ihrer sogenannten ‘Desinformation’ die öffentliche „Unterstützung für militärische Operationen der NATO“ untergraben.

Die Gegenaufklärung ist angesichts der Erfolge im Informationskrieg der NATO vor allem gegen die Bevölkerung in den NATO-Staaten und angesichts der nicht zu verantwortenden Risiken, die sich daraus ergeben, auch 70 Jahre nach dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland (das einstige Westdeutschland) wichtiger denn je.

Titelbild: penofoto / Shutterstock



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Von Veritatis

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