Das sächsische Zittau bietet billige Mieten, massenhaft Wohnraum und viel Platz für Betriebe. Die Zukunft könnte eigentlich rosig sein – doch noch fehlt etwas. Wie kann es gelingen, neue Einwohner zu gewinnen?
Rathaus mit Marsbrunnen in Zittau
Foto: Imago/Sylvio Dittrich
Für Berliner oder Münchener müsste das ein Traum sein: Eine renovierte Zweizimmerwohnung mit Balkon und Einbauküche wird im Zentrum von Zittau für 430 Euro Miete pro Monat angeboten – warm! Und nicht als Ausnahme, sondern als Normalfall.
Warum trotz solcher verlockenden Angebote in puncto Wohnen nur wenige Menschen nach Zittau im äußersten Südosten Sachsens an der Grenze zu Polen und Tschechien ziehen, ist eigentlich unverständlich. Wenn man durch die Straßen der Stadt mit rund 25.000 Einwohnern läuft, steht gefühlt jedes zweite Haus leer.
Auch leerstehende Ladenlokale gäbe es in Hülle und Fülle. „Genaue Zahlen zum Leerstand gibt es nicht, unsere Stadtentwicklungsgesellschaft geht von etwa einem Viertel Le
Hülle und Fülle. „Genaue Zahlen zum Leerstand gibt es nicht, unsere Stadtentwicklungsgesellschaft geht von etwa einem Viertel Leerstand aus“, sagt Kai Grebasch von der Stadtverwaltung Zittau. Darunter würden allerdings auch Wohnungen fallen, die derzeit nicht im vermietbaren Zustand seien.Wenn man durch die Straßen der Stadt mit rund 25.000 Einwohnern läuft, steht gefühlt jedes zweite Haus leerAufgrund dieses Leerstands mutet es absurd an, dass die Stadt große Anstrengungen unternimmt, junge Familien durch Ausweisung von Bauflächen für Einfamilienhäuser anzulocken. Stadtrat Matthias Böhm (Bündnis 90/Die Grünen) plädiert für eine Alternative: „Ich finde es sinnvoller, historische Bausubstanz mit Fördermitteln für Familien zu sanieren“, sagt er.Außerdem, so Böhm, sollten die nach dem Mauerfall in den Westen Ausgewanderten, und das sind nicht wenige, durch Jobbörsen zur Rückkehr animiert werden. „Flüchtlinge sind bei der Mehrheit hier nicht willkommen“, sagt Böhm, „obwohl wir durch den Fachkräftemangel zum Beispiel im medizinischen Bereich, im Verkehrsbereich und in der Gastronomie massive Probleme haben. So mussten in Zittau bereits namhafte Gaststätten wegen Personalmangel schließen.“Das Rathaus: toskanischZittau, an der alten Handelsstraße nach Böhmen gelegen, war einst eine reiche Stadt mit prächtigen Kaufmannshäusern und exklusiven Gründerzeitvillen. Das Rathaus, erbaut 1840 von Carl August Schramm nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel, macht den Eindruck eines toskanischen Renaissance-Palasts und gibt dem Rathausplatz ein ganz besonderes Flair.Direkt neben dem Marktplatz fristen die antiken Fleischbänke ein verlassenes Dasein – im Mittelalter bildeten sie mit ihrem neoklassizistischen Laubengang den Handelsplatz der Fleischerzunft. In der Zeit der DDR wurde hier noch Wochenmarkt abgehalten, jetzt steht alles leer.Placeholder image-1Ein Verein in Zittau, der Freiraum Zittau e.V., setzt sich für die Nutzung der leer stehenden Häuser ein. Das Konzept lautet wie folgt: Eigentümer verwaister Gebäude stellen dem Verein die Räume gegen die laufenden Betriebskosten zur Verfügung.Die Mitglieder halten anschließend das Haus in Schuss und gestalten das kulturelle Leben, zum Beispiel mit Filmprojekten oder Tanzprojekten. An der Inneren Weberstraße, nicht weit vom Marktplatz entfernt, nahm der Verein ein riesiges Kaufmannshaus aus dem 18. Jahrhundert, das schon lange leer stand, unter seine Fittiche.Dort war einst das Kaufhaus Messow beheimatet, in der DDR-Zeit residierte dort ein HO-Warenhaus. Nach dem Mauerfall wechselte mehrmals der Besitzer, bis der Verein Freiraum das Haus nutzen durfte. Zu den jetzigen Nutzern gehören Künstler, Handwerker und Maler.Doch eine Renovierung des Hauses mit seinen Bogenhallen und verwinkelten Fluren wäre zu kostenaufwendig und liegt derzeit in weiter Ferne. Ähnlich steht es um die riesige Mandaukaserne am Stadtrand aus dem Jahr 1868. Der neugotische Bau mit seiner ziselierten Backsteinfassade, Türmen und Zinnen fällt schon von Weitem ins Auge, doch eine Renovierung und Nutzung liegt in der Ferne.Immerhin hat Zittau eine Hochschule. Das Internationale Hochschulinstitut der TU Dresden hat hier eine Zweigstelle, und das Fraunhofer Kunststoffzentrum Oberlausitz des Fraunhofer Institutes sitzt ebenfalls hier. Das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt plant eine Niederlassung. Trotzdem sind Neuansiedlungen von Firmen bisher rar, die Arbeitslosenquote in Zittau beträgt zur Zeit 8,6 Prozent, etwas höher als der Bundesdurchschnitt von derzeit 6,2 Prozent.Im Landkreis Görlitz, zu dem auch Zittau gehört, wählte nahezu jeder Zweite die AfDAuf die Frage, welche Zuzüge er denn gerne in Zittau sehen würde, antwortet der Marketingchef der Stadt, Kai Grebasch: „Ich denke, in einer überalterten und schrumpfenden Gesellschaft sollten alle willkommen sein, die ihren Teil für Bestehen und Entwicklung beitragen wollen.“ Der Mann von der Stadtverwaltung würde natürlich am liebsten Fachkräfte in seine Stadt locken – doch weit ist er mit diesem Vorhaben bisher nicht gekommen.Natürlich ist sich Grebasch bewusst, dass Zittau viele drängende Probleme bisher nicht gelöst hat: dazu zähle eine gute Verkehrsanbindung.Dafür ist die Breitbandversorgung sehr gut. „Dies wird dafür sorgen, dass sich mehr Menschen aus den immer unwirtlicher werdenden Großstadtregionen abwenden und nach naturnahen, modernisierten neuen Lebensmittelpunkten umsehen werden“, ist sich Grebasch sicher. Doch wenn die Breitbandanbindung so gut ist und die Mieten so niedrig, warum kommen dann nicht mehr Menschen nach Zittau, die gerne im Homeoffice arbeiten?Im Landkreis Görlitz, zu dem auch Zittau gehört, wählte nahezu jeder Zweite die AfD bei den Bundestagswahlen im Februar. Für die AfD sitzt Hajo Exner im Sächsischen Landtag. Fragen in Bezug auf die Zukunftsperspektiven für Zittau wollte er gegenüber Freitag nicht beantworten. Auf seiner Internetseite schreibt Exner, der Schwerpunkt seiner Arbeit sei ein Aufnahmestopp für Immigranten in Sachsen, konsequente Abschiebungen und Rückführungen.Wie in alten ZeitenDie Zittauerinnen Ute Wunderlich, Anke Zenker-Hoffmann, Romy Hepper und andere setzen sich dafür ein, dass Zittau wieder wächst und vor allem jünger wird. Ihre Initiative, die die Stadt voranbringen soll, nennt sich „Zittau kann mehr“. Auf der Webseite der Initiative steht: „Wir Zittauer müssen Menschen in Nah und Fern dazu bewegen, hierherzuziehen, hier zu arbeiten und zu leben“.Die günstige Lage von Zittau, direkt an der Grenze zu Polen und der Tschechischen Republik, werde bisher noch viel zu wenig angepriesen. Die Initiative hat einiges geleistet: Denkmäler in der Innenstadt wurden saniert und die Verschuldung der Stadt von 22 Millionen Euro auf 11 Millionen Euro gesenkt.Die Hotels der Stadt kämpfen mit einer relativ geringen Auslastung, obwohl die Stadt touristisch attraktiv ist, genau wie das Umland. Vom Bahnhof Zittau fährt stündlich eine Dampfeisenbahn auf einer Schmalspurstrecke kilometerlang ins Zittauer Gebirge, in den Kurort Oybin und Jonsdorf.Die Hotels der Stadt kämpfen mit einer relativ geringen Auslastung, obwohl die Stadt touristisch attraktiv istDie Fahrt dauert eine knappe Stunde, Reisende können im Speisewagen bei „Zittauer Bier“ die neue Langsamkeit entdecken. Auf der Hälfte der Strecke, vor der Abzweigung nach Jonsdorf hält die Lok am Museumsbahnhof Bertsdorf und füllt wie in alten Zeiten die Wasserbehälter auf. Die örtliche Eisenbahngesellschaft hat in den letzten 20 Jahren die Fahrgastzahlen verdoppeln können, im letzten Jahr waren es 243.000 Fahrgäste. Auch aus Polen und Tschechien kommen viele Dampflokfreunde. Christian Sacher, der Projektleiter der Dampfbahn-Route Sachsen, ist stolz auf das Erreichte: „Wir haben drei Zeitreise-Züge mit zum Teil 120 Jahre alten Waggons, sowie einen offenen Aussichtswagen im Sommer und bieten in der Hauptsaison Mitfahrten in der Zugführerkabine an“, sagt Sacher.An vielen anderen Stellen hapert es noch in Zittau, weil einfach nicht genug Geld da ist. „Selbst Pflichtaufgaben können nicht ausreichend finanziert werden, ganz abgesehen vom Erhalt des Zittauer Theaters oder der Sportförderung“, sagt Böhm. Dass bislang ein Radverkehrskonzept fehlt, bemängelt der Grüne. Immerhin führe der Oder-Neiße-Fernradweg durch die Stadt. Aber wo er genau verläuft, ist nicht so leicht zu finden: Hinweise darauf fehlen weiträumig.