Reguliert die EU die Plattform X, steigen die USA aus der NATO aus – droht Donald Trumps gewählter Vize JD Vance. So geht das heute also? Wir müssen den Kampf dennoch aufnehmen!
Illustration: Kristina Wedel für der Freitag
Wenn das Opossum bedroht wird, stellt es sich tot. Im Englischen ist das eine sprichwörtliche Verhaltensweise: „Sich totstellen“ heißt dort „to play possum“. Für das Opossum ist das eine bewährte Methode im Überlebenskampf. Oft verliert der Angreifer das Interesse und verzieht sich irgendwann.
Für Menschen führt die Opossum-Strategie aber oft ins Unheil. Wer zum Beispiel seine Rechnungen nicht bezahlt, die sich stapelnden Mahnungen und Pfändungsandrohungen ignoriert, der hat irgendwann nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera: Geht man jetzt in den Knast oder taucht man ab in den Untergrund? Lerne: Totstellen ist fatal, wenn der Gegner nicht weggeht.
Dartvaderisierte Digitalimperien
Als Gesellschaft stellen wir uns seit Jahr und Tag bei einem sehr wichtigen Thema tot: Der Übernahme unseres Mediensystems durch darthvaderisierte Digital-Imperien. Wir schauen alle seit vielen Jahren zu, wie der politische Diskurs zerstört wird und die Monopole der Tech-Riesen die digitale Öffentlichkeit kontrollieren. Achselzuckend nehmen wir hin, wie die Algorithmen der Plattformen rechtspopulistische und demokratiefeindliche Parteien in unsere Parlamente drücken. Paralysiert akzeptieren wir die Ideologeme von Big Tech („Das freie Netz soll nicht von EU-Bürokraten reguliert werden!“).
Obwohl jeder Dulli spätestens seit der Instrumentalisierung von X durch Elon Musk kapieren dürfte, dass die ganze Inszenierung dieser Plattformen als „neutrale Vermittler“ eine Riesenlüge ist, die nur zwei Zwecken dient: ihnen erstens das wirtschaftliche Privileg zu verschaffen, von der Verbreiterhaftung befreit zu sein. Und zweitens die verhassten redaktionellen Medien und den Journalismus solange zu delegitimieren, bis die Plattformen diese trockengelegt haben und die digitalen Medien vollständig beherrschen.
Was machen wir derweil? Entweder jubeln wir den coolen feudalistischen Herrschern zu, wie etwa in Hamburg beim „OMR“-Festival, obwohl doch jedem denkenden Menschen klar sein sollte, dass sich dort keine „Online Marketing Rockstars“ treffen, sondern bloß die Klonkrieger von Big Tech. Oder wir träumen von „gemeinwohlorientierten Alternativen“ oder einer „öffentlich-rechtlichen Plattform“, obwohl solche gutgemeinten Ideen unter den Bedingungen der digitalen Monopolisierung leider gar keine echte Chance besitzen.
Geld zu verdienen, muss Verantwortung bedeuten
Wer sich totstellt bei Gegnern, die nicht lockerlassen, der sitzt irgendwann in der Falle. Big Tech hat uns komplett überrollt und sich mittlerweile mit den Populisten verbündet. Elon Musk und X sind jetzt Teile der US-Regierung. Mit dem gewählten US-Vizepräsidenten JD Vance sind auch Digital-Libertäre wie Peter Thiel & Co. mit an der Macht.
Und auch hier haben wir jetzt durch unsere Opossum-Strategie nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera. Nämlich zwischen Trumpismus – oder einem Widerstandskampf für die Medienfreiheit, der uns ungeheure Opfer kosten wird.
Das wird sofort klar, wenn wir uns mal die Optionen anschauen, die uns noch bleiben. Option 1: Wir erheben uns und kämpfen – was bedeuten würde: Wir verbieten Plattformen, weiterhin Geld zu verdienen mit rassistischen Beschimpfungen, mit Diskriminierung, mit Holocaustleugnung. Dazu brauchen wir nicht die Meinungsfreiheit einschränken. Aber es sollte gelten: Wer Geld mit konkreten Inhalten verdient, der muss auch Verantwortung übernehmen.
Zweitens würden wir die ohnehin verfassungswidrigen Digitalmonopole abschaffen. Das Netz sollte allen Menschen gehören und nicht nur Big Tech. Deswegen würden wir offene Standards einführen, würden bei demokratierelevanten Angeboten Drittanbieter auf monopolistischen Plattformen zu lassen, wir würden die Plattformen zwingen, Outlinks zuzulassen (damit auch Traffic außerhalb der Plattformen stattfinden kann), und wir würden Oversight Boards einführen. Was würde geschehen?
Geblitzdingster Mob im Auftrag der neuen Mega-Elite
Sofort hätten wir den geblitzdingsten rechtspopulistischen Mob auf den Straßen, die ferngesteuert von Big Tech und ihren digitalen Sonnenkönigen vermeinen, sie müssten die „Freiheit“ im Netz verteidigen und die „Eliten“ vertreiben (dass sie damit von einer neuen, antidemokratischen Mega-Elite instrumentalisiert werden, scheinen sie nicht zu bemerken). Musk hat schon in Großbritannien im Umfeld der Riots gesagt, ein „Civil War“ sei unvermeidlich. Vance hat gedroht, wenn die EU X reguliere, würden die USA aus der Nato aussteigen. Keine schöne Aussichten also.
Wenn wir uns aber weiter totstellen, werden die Plattformen gemeinsam mit der US-Regierung und ihren vielen Verbündeten von den europäischen Populisten bis hin zu Wladimir Putin die „etablierten Medien“ ebenso wie die „etablierten Parteien“ in wenigen Jahren wegspülen. Uns drohen in wenigen Jahren trumpistische Regierungen auch in Europa. Schon längst boostet Musk die AfD auf Twitter, Trump ebenso wie Musk sind im ständigen Austausch mit Wladimir Putin.
Diese Situation haben wir uns selbst eingebrockt. Wenn wir Helden wären, würden wir entschlossen handeln und mutig die Demokratie verteidigen. Aber nirgendwo regt sich auch nur der geringste Widerstand. Obwohl die Bedrohung der Medienfreiheit um ein Vielfaches schlimmer ist als etwa 1962 bei der SPIEGEL-Affäre, stellen wir Opossums uns einfach weiter tot. Sogar die Chance eines neuen Medienstaatsvertrags haben wir verpasst.
Die Raubtiere lecken sich daher die Lippen. Wir sind wirklich eine leichte Beute. Und anders als das Opossum stinken wir beim Totstellen nicht einmal gegen die Angreifer an.