Dem Klischee nach sind Boomer ziemlich beratungsresistent, wenn es um prograssive Themen wie Gendern geht. Unsere Autorin hat mit ihrer Mutter andere Erfahrungen gemacht
Mama ist der beste Boomer!
Collage: der Freitag, Material: unsplash
Feiertage, man kennt es, bedeuten Familienstress. Sei es an Weihnachten (zum Glück noch lange hin) oder wie nun neulich Ostern (wieder eins geschafft). Diesmal kam mich meine Mutter aus München besuchen. Und ich hatte mir davor ein wenig Sorgen gemacht.
Sie, Jahrgang 1963, Boomer. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich freue mich jedes Mal darauf, sie zu sehen, plane mehrere Tage lang, welche Ausflüge wir unternehmen könnten, welche Restaurants besuchen. Doch irgendwie scheint es kaum zwei Tage zu dauern, bis wir in eine Diskussion geraten. Ich kann mir noch so häufig vornehmen, das nächste Mal entspannter zu sein; einmal durchzuatmen, bevor ich etwas sage – ich bekomme es einfach nicht hin.
Ich weiß, damit bin ich nicht die Einzige. Meinen Freundinnen
h so häufig vornehmen, das nächste Mal entspannter zu sein; einmal durchzuatmen, bevor ich etwas sage – ich bekomme es einfach nicht hin.Ich weiß, damit bin ich nicht die Einzige. Meinen Freundinnen geht es mit ihren Müttern oft ähnlich. Gefühlt jeder Film, der sich mit Feiertagen und Familie beschäftigt, erzählt in mindestens 90 Minuten über die verzwickte Beziehung zwischen Müttern und Töchtern. Schon klar, Freud hätte dazu gewiss auch etwas zu sagen gehabt, aber darum soll es jetzt nicht gehen.Ich war ganz schön arrogantBei meiner Mutter und mir muss das 2017 begonnen haben, als ich ihr sagte: „Ich will vegan leben.“ Sie moderierte es ab, als Internettrend, der vor allem teuer ist. Dann zog ich nach Berlin, lernte über unterschiedliche Sexualitäten und Gender (wie gesagt, ich kam aus Bayern). Ich erzählte meiner Mutter von einer neuen Freundschaft mit einer non-binären Person. Meine Mutter misgenderte sie regelmäßig. „Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der non-binär ist“, war ihre Verteidigung.Mich frustrierten diese Gespräche so sehr, dass ich am Telefon einfach auflegte – ich bin nicht stolz darauf. Trotzdem pilgerte ich an Feiertagen wie eine Missionarin der Wokeness mit der Deutschen Bahn von Berlin nach München. Dort versuchte ich alte Freunde zum Gendern zu bekehren, meiner Mutter jedes vegane Lokal der Stadt zu zeigen, ach, und Feminismus habe ich bestimmt auch ein bisschen verkündet. Rückblickend würde ich sagen: Ich war ganz schön arrogant. Entschuldigung, Mama!Aber dann fallen mir Geschichten ein, die meine Mutter mir vor einer Weile erzählt hat. Sie hatte einen Konflikt mit einer Arbeitskollegin, als sie sich über ein Buch unterhielten. Es erzählt die Geschichte mehrerer Sintize und Romnja, denen Gewalt angetan wurde. Die Kollegin habe den Frauen eine Mitschuld gegeben. „‚Das ist Victim Blaming‘, habe ich zu ihr gesagt“, erzählte meine Mutter mir aufgebracht am Telefon. Ein anderes Mal war meine Mutter in einer Buchhandlung. Die Verkäuferin berichtete von einer Lesung der Autorenperson Kim de l’Horizon und misgenderte dabei. „Ich glaube, die Person benutzt die Pronomen dey/dem“, habe meine Mutter die Dame korrigiert.Ich bin mir ziemlich sicher, ich weiß jetzt, wie es sich anfühlt, sein Kind das erste Wort sprechen zu hören oder die ersten Schritte laufen zu sehen. Ich kann sagen: Ich bin stolz auf meine Boomer-Mutter. Auf einmal scheint jede Diskussion den Stress wert gewesen zu sein, sei sie auch noch so kräftezehrend gewesen. Mal ehrlich: Schuld daran ist sowieso meine Mutter. Nicht etwa, weil sie so uneinsichtig ist, sondern weil sie mir beigebracht hat, für meine Werte und Meinung einzustehen. Ich habe von ihr gelernt, jetzt lernt sie von mir. Einsichtig ist meine Mutter sowieso deutlich schneller als ich. Wenn das Boomer sein bedeuten kann, dann will ich auch einer werden!