Seit Dezember 2022 sitzen Heinrich XIII. Prinz Reuß und seine angeblichen Mitverschwörer im Gefängnis. Konkrete Beweise haben die 60 Verhandlungstage nicht erbracht – nur jede Menge Klatsch und Tratsch aus zweiter Hand.
von Johann Leonhard
Bei einem so langwierigen und komplexen Verfahren wie dem gegen Prinz Reuß und seine betagten Reichsbürger kann man schnell den Überblick verlieren. Deshalb nochmals die wichtigsten Fakten im Schnelldurchlauf.
«Ein vermeintlicher Terrorist, der Visitenkarten hinterlässt, ist schon irgendwie auffällig.» Verteidiger
Die Razzia: Schon die bundesweiten Polizeioperationen gegen die vermeintlichen Rechtsterroristen mit über 3.000 Polizisten am 7. Dezember 2022 waren eine offensichtliche Inszenierung – und eine Machtdemonstration. Linke Politiker, Antifas und Pressevertreter erhielten Wochen vor dem Zugriff Hinweise auf die geplante Aktion und lieferten die passende Begleitmusik, die ein faires Verfahren unmöglich machen sollte.
Munition für Schreibtischtäter: Schon vor Prozessbeginn Mitte 2024 lagen Pressevertretern von Süddeutscher Zeitung, Stern und Spiegel illegalerweise die vollständigen Ermittlungsakten vor, aus denen sie im Sinne der gewünschten Vorverurteilung der Angeklagten die Rosinen herauspicken durften.
Techniken der Entmenschlichung: Der Mangel an harten Beweisen wurde anfangs vor allem durch harte Schikanen wettgemacht. Handschellen, Fußfesseln, Trennscheiben, Leibesvisitationen, Durchsuchung der Post, Einzelhaft, Beschränkung der Besuchszeiten – man ließ sich vieles einfallen, um die Angeklagten wie gefährliche Schwerverbrecher wirken zu lassen. Nur einige dieser Maßnahmen wurden später gelockert.
Das Reichstagsstürmchen: Die unterstellte Putschplanung, die ein gewaltsames Eindringen in den Bundestag, die Erstürmung des Plenarsaals und die Entführung der Bundesregierung vorsah, ist eine Fiktion, die aufgrund der massiven Sicherheitsschleusen im Bundestag technisch nicht durchführbar und auch nie geplant oder nur angedacht gewesen war, wie die Verteidigung betont. Das Einzige, was man den betagten Herrschaften nachweislich vorwerfen kann: Besoffenes Gequatsche, Leichtgläubigkeit und Geltungsdrang im Jagdschloss-Ambiente.
Wildwuchs in der Asservatenkammer: Bei der Razzia wurden ursprünglich nur «eine scharfe Schusswaffe, Schreckschusswaffen, Prepper-Vorräte und tausende Euro Bargeld» (Die Welt) gefunden. Dieses Arsenal vervielfältigte sich bis heute auf «fast 400 Schusswaffen und 148.000 Munitionsteile» (Stern). Eine nachvollziehbare Erklärung für die wundersame Vermehrung wurde bis heute nicht geliefert.
Stammtischterrorismus: Die «Bildung einer terroristischen Vereinigung» und die «Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens» – wie die Anklagepunkte lauten – müssen als widerlegt gelten, da die Reichsbürgertruppe als lose Plauderrunde zusammentrat, keine eigenen Aktionen plante und stattdessen das Eingreifen einer fiktiven «Allianz» aus dem Ausland erwartete. Das hat die Verteidigung mittlerweile zigfach plausibel gemacht. Sollte es dennoch für Haftstrafen reichen, wäre demnächst jeder regierungskritische Stammtischbruder von Borkum bis Bayreuth mit halbem Bein im Knast.
«Nach meiner Erinnerung, ging es um die Tötung von Herrn Spahn.» Zeuge Frank L.
Falsche Kameraden: Die führenden Figuren des sogenannten militärischen Arms des Reuß-Stammtischs – Max Eder, Peter Wörner und Rüdiger von Pescatore – waren aufgrund ihres Aktivismus im Ahrtal und bei Corona-Protesten schon Mitte 2021 – also vor der Entstehung des Reuß-Kreises – auf dem Radar des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Der Zeuge Frank L. – ein ehemaliger Generalleutnant der Bundeswehr – hatte damals nach einem angeblich vertraulichen Gespräch mit Eder Meldung beim MAD gemacht. Seinen ehemaligen «Kameraden» fand er verdächtig, weil dieser bat, während des Gesprächs sein Handy wegzulegen und ihm von mysteriösen Bunkern im Ahrtal berichtete. Spätestens ab diesem Zeitpunkt waren die Protagonisten also auf dem Schirm der Dienste.
Ein Schuss ins Blaue: Die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann wird als Führungsfigur der Putschisten dargestellt, obwohl sie nach eigenen Angaben eher als «Frühstücksdirektorin» wirkte und nachweislich zur Entlarvung der Schwätzer und Verführer innerhalb des Kreises – insbesondere Marco van Heukelum und Rüdiger von Pescatore – beitrug. Damit setzte sie die Auflösung des sogenannten «Rates» in Gang – drei Wochen vor dem Putsch. Eine «Vereinigung» gab es zum Stichtag der Razzia also nicht mehr, was die Anklage weitgehend ad absurdum führt.
Umsturzfantasien am Kamin
Auch nach über einem Jahr Verhandlung will sich das Mosaik aus Unterstellungen, Interpretationen, Verdächtigungen und Kurzschlüssen nicht zu einem stimmigen Gesamtbild zusammensetzen. Im Gegenteil. Die Highlights der jüngsten Verhandlungstage weisen einmal mehr in eine andere Richtung. Da wäre zum Beispiel diese Episode: Mitte 2021 kehren Max Eder und Michael Fritsch in ein nettes Chalet ein, genießen Kamin, Sauna und Jacuzzi «in der ländlichen Idylle des Frankenwalds», wie es heißt. Das Treffen wird von den Anklägern als Vorbereitungstreffen des Putsches gedeutet. Merkwürdig: Die Grundregeln der Konspiration missachtend, händigen Eder und Fritsch der netten Wirtin ihre Visitenkarten aus. «Ein vermeintlicher Terrorist, der Visitenkarten hinterlässt, ist schon irgendwie auffällig», meint Verteidiger Roman von Alvensleben.
«Das stinkt zum Himmel»
Mitte Mai 2025 berichtet die AfD-Bundestagsabgeordnete Christina Baum von ihrem Haftbesuch bei Birgit Malsack-Winkemann. Die beiden hatten sich zuvor nie persönlich kennengelernt. Sie schreibt: «Birgit Malsack-Winkemann geht es mental schlecht, weil sie davon ausgeht, dass sie zu einer hohen Strafe verurteilt wird.» Über die Anklage wegen Terrorismus und Hochverrat schreibt Baum: «Eine 60-Jährige, eher unsportliche und bis zu diesem Zeitpunkt unbescholtene Frau und treue Staatsdienerin soll über Nacht zur Schwerverbrecherin mutiert sein. Das stinkt zum Himmel.» Unseren Lesern gibt sie noch einen Hinweis mit: «Jeder, der sich traut, kann Malsack-Winkemann einen Brief schreiben. Sie würde sich bestimmt sehr freuen. Bedenkt aber bitte, dass alles mitgelesen wird.»
Und dann wäre da Frank L., den wir weiter oben schon als Zuträger des MAD vermutet haben. Im Zeugenstand erklärt der ehemalige Generalleutnant, Eder habe gesagt: «Spahn muss weg!» Das will er als Kill-Operation verstanden haben: «Nach meiner Erinnerung, ging es um die Tötung von Herrn Spahn.» Doch das Wort «töten» ist nie gefallen. Auf Nachfrage wird deutlich: Die Berichterstattung über den Prozess hatte möglicherweise einen Effekt auf die Erinnerung des Zeugen. Die Verteidigung spricht von einer «Verböserung» der Aussage.
Kronzeuge im Zwielicht
Die Anklage hat einen Mann mit dem Kürzel M.C.R., dessen Name nicht genannt werden darf, zum Kronzeugen gegen die vermeintlichen Putschisten gemacht, der seinen Lebensunterhalt lange Jahre als Trickbetrüger verdient haben soll. Selbst «räuberische Erpressung» sei laut Verteidiger von Alvensleben Bestandteil seines Repertoires gewesen.
Eine seiner angeblichen Maschen: M.C.R. verklagte in der Vergangenheit offenbar Café-Betreiber, die ihm den falschen Kaffee servierten. Dazu bestellte er einen sogenannten Huber-Kaffee – ein fiktives Produkt, an dem er selbst die Markenrechte hält –, um dann mit Abmahnung zu drohen, wenn ihm ein anderer Kaffee eines x-beliebigen Anbieters hingestellt wird. «Soweit die Geschäftsidee», fasst Tichys Einblick die Posse zusammen. M.C.R. bestreitet alle Vorwürfe.
Peinlich für die Ankläger: Vor Gericht machte M.C.R. höchst zweifelhafte Aussagen über seinen Lebenslauf, etwa über sein Abitur und einen Hochschulabschluss. «Ich stelle fest, dass der Zeuge keinen Sachverhalt darlegen kann, ohne ihn mit seinen Lügen zu würzen», donnerte Verteidiger Thomas Tschammer.
Wie im Prozess herauskommt, hatte sich M.C.R. den Behörden schon bei früheren Gefängnisaufenthalten als Kronzeuge verdient gemacht. «Sein Talent, sich anzubiedern, zu plaudern und zu denunzieren, hat R. zum Zeugen der Anklage gemacht», schreibt Konrad Adam, Autor bei Tichys Einblick. Der Vertreter des Generalbundesanwalts, Tobias Engelstätter, kontert: «Es handelt sich nicht um einen Polizeispitzel, sondern um eine Person, die aus eigenem Antrieb handelt.»
An dieser Eigenmotivation gibt es jedoch ebenfalls Zweifel: Offenbar hatte sich der Kronzeuge 30.000 Euro bei der Rockergruppe Hells Angels geliehen und lieferte dann – weil er nicht zahlen konnte – einen Mercedes als Pfand ab, der ihm nicht gehörte. Filmreif! «Die Rocker waren ziemlich sauer, als sie das erfuhren», sagt der halbseidene Mastermind vor Gericht. Von einem der Hells Angels habe er «einen Schlag in die Magengrube» bekommen.
Bei der Razzia wurde anfangs eine Schusswaffe festgestellt, jetzt sollen es 400 gewesen sein.
Die Verteidigung ist «überzeugt, dass es eine staatlich veranlasste Aushorchung» gegeben hat, so Rechtsanwältin Jessica Hamed. M.C.R. sei gezielt auf ihren Mandanten Hans-Joachim H. angesetzt worden, einen Mitangeklagten der Reuß-Truppe. Für sie sei es «schlicht schwer zu glauben», dass man ihn «zufällig in dieselbe Haftanstalt wie H. verlegt» hat. Der spätere Kronzeuge gab sich als Freund und Zuhörer aus und lieferte nach drei Monaten Observation «820 Seiten Mitschrift» an die Justizvollzugsbeamten. «Immer nachdem wir gesprochen hatten, bin ich in meine Zelle gegangen und habe es aufgeschrieben», sagt er.
Angeblich habe der ausgehorchte Mithäftling «die Pläne für einen blutigen Staatsstreich weitestgehend bestätigt», so etwa die Hessenschau am 21. Mai unter Verweis auf R.s Aussagen. Der Angeklagte H. soll davon gesprochen haben, dass der «Systemsturz weiterhin das Ziel» sei, auch wenn infolge der Festnahmen von Reuß und Co. «der erste Versuch gescheitert» sei. Dabei sollen auch Sätze gefallen sein wie: «Das geht alles nur noch blutig.» Das sind genau die Aussagen, die die Bundesanwaltschaft brauchte.
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