Das Bundesamt für Verfassungsschutz hält die AfD nun für „gesichert rechtsextrem“ und facht damit die Forderungen einiger Politiker und Leitartikler erneut an, ein Verbotsverfahren gegen diese Partei anzustrengen. Das ist unter verschiedenen Gesichtspunkten bemerkenswert. In letzter Konsequenz würde dies bedeuten, dass die selbsternannten Parteien der Mitte rund jedem vierten Wähler absprechen würden, hinter der freiheitlich-demokratische Grundordnung zu stehen. Doch die Wahrheit ist komplexer. Von Jens Berger.
Der wohl wichtigste Grund, warum die AfD überhaupt so stark ist, ist nicht, dass ihre Wähler das demokratische System als solches ablehnen. Sie sind vielmehr mit der aktuellen Politik unzufrieden und sehen im Angebot der etablierten Parteien keine sinnvolle Alternative. Die Stärke der AfD ist ein Symptom für die Unzufriedenheit. Sie ist aber nicht deren Ursache. Selbst wenn man die AfD in letzter Konsequenz verbieten würde, wäre diese Unzufriedenheit nicht weg. Ganz im Gegenteil.
Dass die AfD in Teilen, wie nun kritisiert wird, menschenfeindliche Positionen vertritt, ist sicher korrekt und muss kritisiert werden. Doch damit hat sie kein Alleinstellungsmerkmal im politischen System. Die Kategorisierung in rechte, linke, rechts- und linksextreme Positionen hat sicher allen Unkenrufen zum Trotz immer noch ihre Daseinsberechtigung. Wer das Phänomen AfD wirklich verstehen will, sollte dafür jedoch das Rechts-Links-Schema mal außer Acht lassen. Entscheidender ist hier die Unterscheidung zwischen Konformisten und Nonkonformisten.
Dieses Unterscheidungsmerkmal ist eine relativ junge Entwicklung. Konnten früher die beiden politischen Lager rund um ihre Ankerpunkte CDU und SPD relevante politische und gesellschaftliche Debatten noch größtenteils abbilden, sind sie in den letzten Jahrzehnten, getrieben vom Chor der Leitartikler, immer enger zusammengerückt. Die SPD hat traditionell linke Positionen über Bord geworden, die CDU hat konservative und zuweilen reaktionäre Positionen ebenfalls geräumt. Von den Medien wurden beide Parteien dafür gefeiert. Vor den absehbaren Folgen wurden die Augen verschlossen.
Das Problem: Die Wähler sind diesen Weg „in die Mitte“ nicht mitgegangen. Doch anstatt sie überzeugen oder zumindest auf sie zuzugehen, grenzte man sie lieber aus. Je größer die Widersprüche wurden, desto schärfer wurde die Ausgrenzung. Nicht mehr links oder rechts, sondern richtig oder falsch, gut oder böse waren nun die Kategorien. Die Spaltung der Gesellschaft kam nicht von unten, sondern wurde von oben – von Politik und Medien – befördert und forciert.
Wer nicht zu den Konformisten gehört, die die Politik der etablierten Parteien im Großen und Ganzen goutiert und sich auch in den Kommentierungen und Einordnungen der großen Medien größtenteils wiederfindet, wurde so in die Fundamentalopposition getrieben. Und machen wir uns bloß nichts vor – sowohl die Politik der etablierten Parteien als auch der Haltungsjournalismus der großen Medien haben sich wirklich Mühe gegeben, mit ihrer Mixtur aus Wählerbeschimpfung und Dämonisierung der AfD die Nonkonformisten erst in die Arme dieser Partei zu treiben.
Die AfD versteht es nun einmal vortrefflich, sich als Sprachrohr der Nonkonformisten zu gerieren. Dass sie das geschafft hat, ist erstaunlich, vertritt sie doch in sehr vielen Bereichen als neoliberale Partei durchaus Positionen, die im Mainstream anschlussfähig sind. Und das gilt auch für die gerade im letzten Wahlkampf so heiß debattierte Migrationspolitik. Doch welcher Wähler nimmt CDU oder SPD noch ernst, wenn beide sich selbst gegenseitig im Zeigen neuer Härte gegen Flüchtlinge übertreffen wollen und gleichzeitig den größtmöglichen, aber faktisch kaum vorhandenen, Unterschied ihrer Positionen zu den Positionen der AfD betonen?
Um Inhalte scheint es den meisten Anhängern der AfD jedoch ohnehin nicht zu gehen. Das identitätsstiftende Merkmal ist vielmehr, „dagegen“ zu sein – gegen den Mainstream der Mitte mit all seinen Facetten. Und was meinen Sie, passiert, wenn der Mainstream der Mitte nun die AfD verbieten will? Denkt irgendwer ernsthaft, dass die Nonkonformisten dann zu Konformisten mutieren, brav Markus Lanz schauen, den SPIEGEL abonnieren, ihr Kreuzchen bei einer der „guten“ Parteien machen, ihren Diesel verschrotten, sich in Flüchtlingshilfeprogrammen engagieren und den Kulturkampf verloren geben? Pustekuchen! Auch wenn es schon heute sehr unwahrscheinlich erscheint, dass sich die Spaltung der Gesellschaft noch einmal kitten lässt, wäre ein Verbot der AfD mit Sicherheit die finale Scheidungsurkunde zwischen dem konformistischen und dem nonkonformistischen Teil unserer Gesellschaft. Damit würde man die Demokratie nicht retten, sondern endgültig begraben.
Jeder gute Arzt weiß, dass man nicht die Symptome, sondern die Ursachen einer Krankheit bekämpfen muss. Die AfD ist ein Symptom. Die Spaltung der Gesellschaft ist die Ursache, die es zu bekämpfen gilt. Wir stehen zur Zeit – nicht nur in Deutschland, sondern in den meisten westlichen Demokratien – vor einer historischen Weichenstellung. Entweder wir vereinen die Menschen und bilden das gesamte gesellschaftliche Spektrum wieder in der politischen Debatte und in der realen Politik ab und kitten die Gräben. Das wären übrigens genau die Entwicklungen, mit denen man die AFD sehr erfolgreich kleinkriegen würde. Oder wir treiben die Spaltung der Gesellschaft durch immer enger gesetzte Leitplanken des Erlaubten, weitere Ausgrenzungen und Dämonisierungen, Parteiverbote und einer Zuspitzung des Kulturkampfes voran. Ersteres nennt sich Demokratie, letzteres Autoritarismus. Wir können die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht retten, indem wir sie selektiv außer Kraft setzen. Nur wann wird das auch den Verantwortlichen mit politisch-medialen Komplex klar?
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