Die ARD richtet sich nach dem Verfassungsschutz – und bezeichnet die AfD jetzt als „gesichert rechtsextremistisch.“ Jedes Mal, wenn über die Partei gesprochen wird, soll dieser Aufsager wie eine Formel vorweggeschickt werden. Man kann die Einschätzung des Verfassungsschutzes journalistisch nicht prüfen, die ARD richtet sich trotzdem voll und ganz danach aus.
Das ist Journalismus aus der Hölle – nein, das ist nicht mal mehr das. Wer die unüberprüfbaren Einschätzungen einer exekutiven Behörde für bare Münze nimmt und als Leitfaden für die eigene Berichterstattung hält, ist nie Journalist gewesen. Das mag manchen mit Blick auf die ARD nicht überraschen – aber sie sind nicht die einzigen. Auch in der privaten Medienlandschaft hat man offenbar weitgehend verlernt, was Journalismus ist.
Denn ein echter Journalist würde an dieser Stelle vor allem Fragen stellen. Warum dürfen wir das Gutachten nicht sehen? Warum kommt die Einstufung gerade jetzt? Wie stichhaltig sind die Behauptungen des Verfassungsschutzes über die AfD konkret? Doch diese Fragen stellt kaum einer. Nur wenige widmen sich der Entscheidung des Verfassungsschutzes wirklich kritisch.
Die meisten Journalisten und Medien machen das Gegenteil. Der Spiegel hält am Sonntag fest, nun sei „amtlich bestätigt“, dass AfD-Wähler die Menschenwürde missachten würden. Georg Restle vom ARD-Format Monitor verkündet unmittelbar nach der Bekanntgabe der AfD-Hochstufung, dass diese nun „Folgen haben muss“ – aufgrund der BfV-Einschätzung dürfe man Vertretern der Partei „keine Bühne“ im öffentlich-rechtlichen Rundfunk mehr bieten.
Nikolaus Blome, Politikchef bei RTL/n-tv, findet kein kritisches oder skeptisches Wort zur Hochstufung der AfD – die sei „eine Diagnose wie beim Arzt“, also quasi wissenschaftlich. Stattdessen empört er sich über die „groteske“ Kritik der AfD und kommt zu dem Schluss: „getroffene Hunde bellen“.
Thomas Sigmund vom Handelsblatt schreibt: „Der Verfassungsschutz hat die AfD inzwischen bundesweit als gesichert rechtsextremistisch eingestuft – das ist kein Verdacht mehr, das ist eine klare Diagnose.“ Sein Kollege Dietmar Neuerer urteilt, die AfD würde „erwiesenermaßen Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ verfolgen, der Verfassungsschutz habe „ausreichend Beweise für die Verfassungsfeindlichkeit der Partei gefunden“. Das ist bemerkenswert unjournalistisch.
Denn von diesen „ausreichenden“ Beweisen hat der Kollege Neuerer quasi keinen einzigen zu Gesicht bekommen – er vertraut einfach blind auf die Erklärung der staatlichen, weisungsgebundenen Behörde Verfassungsschutz. Und wie „klar“ die „Diagnose“ des Verfassungsschutzes im Ernst ist, weiß auch Thomas Sigmund nicht. Trotzdem sind sie voll dabei, voll auf Linie, kommentieren total überzeugt. Und stehen damit für viel zu viele deutsche Journalisten, die den Kern ihres Berufes ganz offensichtlich verfehlt haben.
Vernimmt man pseudo-kritische Töne, klingen diese vor allem so: Hilft diese Einschätzung der AfD? Stärkt das die Rechten? Ist das der richtige Zeitpunkt? Auch das ist Berichterstattung wie ein Bekenntnis dazu, dass man im Grunde ja aufseiten der Regierung, der staatlichen Behörden sei. Das gemeinsame Verständnis: Die AfD muss weg.
Ein Journalist kann und muss die AfD kritisch betrachten – wie man jede andere Partei auch kritisch betrachten muss. Noch kritischer müssen echte Journalisten aber immer zur Macht – zum Staat, seinen Amtsträgern und Behörden – ausgerichtet sein. Angesichts der umstrittenen Einstufung durch den Verfassungsschutz müsste es eigentlich schon ein unterbewusster Reflex von Journalisten sein, eine solche Einschätzung und ihr Zustandekommen zu hinterfragen und zu prüfen. Doch das tut kaum jemand. Es ist, als hätte man in so mancher Redaktionsstube treu und freudig auf die Entscheidung des Verfassungsschutzes gewartet. Man fragt sich, warum diese Leute Journalisten geworden sind – das Bedürfnis, den Mächtigen auf die Finger zu schauen und kritisch zu berichten, kann sie ganz offensichtlich nicht angetrieben haben.
Echte Journalisten wissen: Begutachtungen und Einschätzungen einer Behörde sind alles andere als sakrosankt. Trotzdem tun viel zu viele Kollegen genau so – als sei der Verfassungsschutz eine unabhängige Institution wie ein Gericht und unfehlbar. Haben sie vergessen, dass ihre berufliche Pflicht das Hinterfragen und nicht das Beipflichten ist? Der sogenannte etablierte Journalismus ist angesichts dieses Gesamtzustands jedenfalls weitgehend hirntot – diese Diagnose ist wirklich „klar“.
In ihm gibt es kaum noch Journalisten, sondern vor allem Berichterstatter. Wer aber nur wie ein Papagei eine fragwürdige Einschätzung einer staatlichen, weisungsgebundenen Behörde nachplappert und nicht hinterfragt, macht sich selbst überflüssig – dann könnten sich die Medien auch der Pressestelle des Innenministeriums und des Verfassungsschutzes anschließen und nur noch Pressemitteilungen herausgeben. Journalisten, die nicht kritisch zur Macht ausgerichtet sind, sind nur noch Regierungssprecher. Dahingehend lassen sich viel zu viele Kollegen in der deutschen Medienlandschaft nur noch als gesichert unjournalistisch einstufen.
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