Und Claudia Roth winkt enthusiastisch zum Abschied: Das Theatertreffen in Berlin ist eröffnet und zeigt Inszenierungen, die von Krisen und belastetem Erbe erzählen. Auch im Rahmenprogramm entkommt man der düsteren Zeitdiagnose nicht


Solange das Herz des zahlenden Bürgertums für Stücke wie „Blutbuch“ vom Theater Magdeburg schlägt, ist der Abgrund noch einen Schritt entfernt – hoffentlich

Foto: Kerstin Schomburg


„Vom Abgrund nämlich“ scheint dieses Theatertreffen an allen Ecken zu handeln. Schon die diesjährige Auswahl der zehn eingeladenen Inszenierungen zeichnet ein düsteres Bild von Krisen und unseligem Erbe. Und mit dem gleichnamigen Gedicht Friedrich Hölderlins, einst eingesprochen von Bruno Ganz, begann das Festival am Freitagabend auch formal: „Vom Abgrund nämlich“ handelte sodann die Eröffnungsrede des Intendanten der Berliner Festspiele, Matthias Pees.

Die Lage der Berliner Kultur ist prekär, vor allem, seitdem der Senat brutale Kürzungen durchgedrückt hat. Der am Morgen zurückgetretene Kultursenator Joe Chialo sitzt folgerichtig nicht mehr im Publikum – dafür Sarah Wedl-Wilson, zu diesem Zeitpunkt noch dessen Staatssekretärin und seit Montag seine Nachfolgerin. Noch da ist dafür Claudia Roth als Kulturstaatsministerin, deren Ergriffenheit ob der eigenen Worte sich im Abschied noch steigert, ehe sie mit einem enthusiastischen Winken abtritt.

Doch auch hier droht sich ein Abgrund aufzutun – ihr Nachfolger Wolfram Weimer ist zwar nicht da, seine Berufung schwebt aber drohend über dem Theatertreffen, das als vom Bund finanzierte Veranstaltung vom Fördergeldmassaker in Berlin verschont blieb – nun aber in den Zuständigkeitsbereich eines rechtskonservativen Kulturkämpfers fällt, der mit völkischen Ideen mindestens kokettiert hat.

Vielleicht ist es also kein Zufall, dass Matthias Pees zwei Wege fürs Theater in einer Zeit der allgemeinen Rechtsdrift entwirft: Widerstand oder Brücken bauen? Konfrontation oder Konservation? Fragen, die sich der Kulturmanager künftig auch ganz praktisch wird stellen müssen. Ein Eindruck jedenfalls drängt sich nach dieser Eröffnung auf: So links kommen wir nicht mehr zusammen.

Theatertreffen 2025: Die heimliche Schlagader

Vielleicht ist es also ganz passend, dass Nora Hertlein-Hull ihr zweites Theatertreffen mit ruhiger Hand und ohne große Experimentierfreudigkeit führt. Viel Platz für eigene Akzente ist für die Leitung neben der Zehner-Auswahl der Jury ohnehin nicht, Hertlein-Hull hat ihn behutsam genutzt: Das Rahmenprogramm besteht aus Beiträgen diskursiver und performativer Art, die gänzlich von Alumni des Internationalen Forums stammen.

Dessen 60. Jubiläum ist der Anlass dafür, dass dieses Vernetzungsformat, das ansonsten weitgehend nichtöffentlich stattfindet, dieses Jahr zeigt, was es kann. Und siehe da: Die Verbindungen und Arbeitsbeziehungen, die sich in 60 Jahren ergeben haben, sind so produktiv und vielgestaltig, dass das Internationale Forum vielleicht nicht als eigentliches Herz, aber doch zumindest als Schlagader des Theatertreffens gelten kann – was den Vorwurf der internationalen Irrelevanz entkräftet.

Ausruhen kann man sich aber auch hier nicht: Kürzungen, Krisen, Kriege und eine rechtskonservative Wende – die Dringlichkeit, zu schreiben, so heißt es etwa bei einer Lesung zeitgenössischer Theatertexte vonseiten der Autoren, nimmt eher zu; sei es für queere Autoren oder jene aus den Katastrophengebieten dieser Welt.

Dass man nicht einfach weitermachen kann wie bisher, machte auch Regisseur Christopher Rüping klar, als er am Sonntag den Berliner Theaterpreis erhielt – und kundtat, die 20.000 Euro Preisgeld den geschundenen Berliner Theatern geben zu wollen, womit 0,018 Prozent der Kürzungen zurückgenommen seien.

Aber da ist ja auch noch das Hauptprogramm: die Aufführungen der Zehner-Auswahl. Etwa das vom Theater Magdeburg eingeladene Blutbuch, basierend auf dem Roman von Kim de l’Horizon. Dass dieser so queere, schrille, emotionale Abend beim bürgerlichen Theatertreffen-Publikum lang anhaltenden Jubel und Standing Ovations auslöst, ist doch ein gutes Zeichen: Solange das Herz des zahlenden Bürgertums für solche Stücke schlägt, ist der Abgrund noch einen Schritt entfernt – hoffentlich.



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Von Veritatis

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