Das Land durchlebt ein Dürrejahr, trotzdem soll es bei der Gesundheitsfürsorge und Bildung keine Abstriche geben. Mehr Prosperität verheißen Vorkommen an Kupfer und Kobalt, Gold und Öl
Teenager-Schwangerschaften bleiben ein großes Problem: Mulenga, 14, mit ihrem Säugling in einem abgelegenen Dorf in Sambia
Foto: Pieter Ten Hoopen/Laif
„Suffering gives knowledge“ (Leiden gibt Wissen), „Patience pays“ (Geduld zahlt sich aus) – mit diesen Weisheiten, eher Beschwörungen, empfängt Kabompos Geschäftswelt im Nordwesten Sambias die Besucher einer Ladenzeile. Wo es in den 1980er Jahren weder Zucker noch Seife gab, nur klapprige Busse und ein paar Autos über eine Schotterpiste in den Kupfergürtel fuhren, reiht sich heute entlang der Teerstraße ein gut bestücktes Geschäft an das andere. An der Moped-Taxi-Halte schwingt sich eine junge Frau in Jeans und Sneakers auf einen Rücksitz. Der Fahrer klopft auf den blank polierten Tank und saust los. Gegenüber, in einer langen Reihe von Telefonkiosken, warten junge Männer auf Kundschaft. Mit ein wenig Gl
lück nehmen sie am Tag 100 Kwacha ein, umgerechnet vier Euro.Erst vor kurzem wurde einer von ihnen Opfer eines Raubüberfalls, der Mörder nicht gefasst. „Wahrlich, Kabompo hat sich verändert. Wir sind nicht das Ende der Welt“, meint Jo Chanda, der auch die alten Zeiten noch kennt. „We are connected!“ Sein Haus ist mit einer Parabolantenne auf dem Dach ausgestattet. „Wir schauen BBC und UEFA. Wir wissen, was in der Welt passiert.“ Sambia gilt mit seinen 20 Millionen Einwohnern als Musterbeispiel für friedliche Regierungswechsel, den vorerst letzten gab es 2021. Wirtschaftlich kam das ressourcenreiche Land mit seinen Kupfervorkommen, dem hohen Agrarpotenzial und Wasserreichtum nie zur erwünschten ökonomischen Stabilität. Auf der UN-Skala zur menschlichen Entwicklung belegt es aktuell Rang 153 unter 193 Staaten. War die Armutsrate jahrelang gesunken, stieg sie zwischen 2015 und 2022 im Landesdurchschnitt wieder auf 60 Prozent, im städtischen Raum stärker als im ländlichen. Wegen massiver Engpässe bei der Ernährung und Energieversorgung in diesem Dürrejahr halten viele Menschen die derzeitige Regierung unter Präsident Hakainde Hichilema für überfordert. Die nächsten Wahlen stehen 2026 an.Im dünn besiedelten Kabompo-Distrikt leben 60.000 Menschen, mehr als die Hälfte ist unter 18 Jahre alt. Vier Fünftel der Bevölkerung wirtschaften für den Eigenbedarf und erzielen im Jahr Bareinkommen von umgerechnet 100 Euro bis 1.000 Euro. Kleinbauern, Handwerker, Bienenhalter, Beamte und Angestellte mit einem jährlichen Verdienst zwischen 700 und 3.500 Euro bilden eine schmale Mittelschicht, viele mit eigenem Auto. Während die Stadt Kabompo durch feste Ziegelhäuser mit Wellblech, Strom und Wasseranschluss sowie vitale Märkte geprägt ist, dominiert in den umliegenden Dörfern das einfache Gehöft ohne Strom und mit Wasser aus dem Brunnen.Aus der Kirche am alten Marktplatz von Kabompo dringen Schlagzeug-Rhythmen und ein schwungvoller Gospelchor. „God is hope.“ Jungs kicken barfuß mit einem selbst gebastelten Ball: „Where do you come from?“, fragt einer. Auf die Antwort „Germany“ hin ernte ich augenblicklich ein Lächeln. „Wisst ihr, wie die Hauptstadt heißt?“ Die drei beraten kurz: „Bavaria Munic!“ Sie begleiten mich schließlich zum „Kaunda-Haus“, heute ein Nationaldenkmal, in dem der Freiheitskämpfer und erste Präsident 1961 inhaftiert war (siehe Glossar). Ein Stück weiter, an der lokalen Radiostation „Kabompo FM 101,5 – The cream of North-Western“ ist Patrick on air. Der junge Mann will demnächst Moderator in der Hauptstadt Lusaka werden.Ist das Wetter gut, geht es dem Land gutAm weitläufigen Verwaltungskomplex des Distrikts ist alles frisch gestrichen, auf dem Parkplatz steht eine Flotte neuer weißer Pick-ups, Dienstfahrzeuge. Statt dieser teuren Anschaffungen, kritisiert die Presse, hätte man direkt Brunnen bohren sollen. Janett Mufambwe hingegen, die hier ihr Büro hat, ist begeistert vom neuen Spielraum, den der kräftig aufgestockte Gemeindeentwicklungsfonds gebracht hat. „Jetzt kann es endlich wieder vorangehen“, sprudelt es aus der 60-Jährigen nur so heraus. Ihr Schreibtisch ist von Akten überfüllt, drei Handys vibrieren abwechselnd, während sie von einem Foto zum anderen wischt: Eine Frauengruppe mit einer neuen Hühnerzucht ist zu sehen, ein gerade eingeweihtes Schulgebäude, ein Dorfbrunnen mit Handpumpe. „Gerade in Notzeiten ist der Fonds so wichtig.“„Wenn das Wetter mitspielt, geht es dem Distrikt gut“, erklärt der Bauer Chinuya, der mich wenige Kilometer außerhalb der Stadt an seinem Haus begrüßt. Mit zehn Hektar Land, teilweise bewässert, einem eigenen Ochsenpaar zum Pflügen, gelegentlich einem geliehenen Traktor von der Genossenschaft gehört er zu den wenigen Großbauern. Dünger und Saatgut finanziert Chinuya mit einem privaten Kredit. Mais sei ein gutes Geschäft, wobei er von Monokultur, die eine ausreichende Regeneration des Bodens verhindert, auf eine Fruchtfolge mit Erdnüssen und Soja umgestellt hat. Doch in dieser Saison konnte er dürrebedingt nur die Hälfte ernten, womit er zumindest genug zu essen hat.Hinter dem Haus befindet sich eine solarbetriebene Hammermühle. Eine junge Frau hievt einen halben Sack Maiskörner vom Gepäckträger ihres Männerrads. „Wie früher im Mörser das harte Korn stampfen?“, frage ich. Sie schüttelt den Kopf, das mache sie nicht mehr. Tatsächlich gehören die Mühlen für die Frauen zu den größten technischen Fortschritten der zurückliegenden Jahrzehnte. Derzeit jedoch nützt ihr das wenig. „Schau!“ Sie hält mir ein paar mickrige Maiskolben hin. „Fast leer.“ Vier Sack Ernte reichen gerade ein paar Monate. „Und woher soll das Geld für Speiseöl kommen, von Zucker gar nicht zu reden? Ich koche kleinere Portionen, ich spare am Salz!“ Immerhin hat sie noch ein Maniok-Feld, das dürreresistent ist.Verbesserungen in der GesundheitsfürsorgeBei der gesundheitlichen Fürsorge wandelte sich einiges zum Besseren, auch wenn in dieser Provinz die Mütter- und Kindersterblichkeit weiterhin erschreckend hoch ist. Landesweit sank sie zwischen 2000 und 2020 auf 135 von 1.000 Lebendgeburten (zum Vergleich: 2020 lag der Wert in Deutschland bei vier). Im Wartesaal des Loloma-Hospitals harren 20 Menschen geduldig auf Bänken aus. „Wir sind gut ausgestattet“, meint Schwester Rebeca. Die 30-Jährige ist gebürtige Kanadierin. Seit diesem Jahr verfüge man sogar über zwei Intensivbetten. Stolz führt sie über das schattige Gelände der Missionsklinik mit ihren verschiedenen Bettentrakten – überall Moskitonetze, ein Röntgenraum, ein Operationssaal, ein Mutter-und-Kind-Bereich mit Kreißsaal, sogar ein Brutkasten, wo gerade ein Winzling um sein Leben ringt. Die häufigsten Krankheiten in dieser Gegend bleiben Malaria und Durchfall.Die Finanzierung des Krankenhauses bestreiten die kanadische und australische Christian Missions in Many Lands, der sambische Staat wie die Vereinten Nationen mit diversen Programmen. „Under-five works“, sagt Rebeca und zeigt auf ein Schild, dem zu entnehmen ist: Montag Familienplanung, Dienstag Schwangeren-Vorsorge, Mittwoch Säuglinge, Donnerstag Kleinkinder wiegen und impfen. Der Anteil untergewichtiger Kinder lag in diesem Vorzeigehospital 2023 bei neun Prozent. Teenager-Schwangerschaften bleiben ein großes Problem. Die Gründe dafür seien „Naivität, Prostitution für ein altes Handy, ja, auch Nötigung“, so Schwester Rebeca. Zwei Mütter seien im Vorjahr nach der Geburt verblutet, dazu eine junge Frau, die einer stümperhaften Abtreibung zum Opfer fiel. Alle wurden sie zu spät in die Klinik gebracht, manchmal geschah das mit einem Ochsenkarren.Warten auf den AufschwungIn den entlegenen Dörfern fern der Teerstraße wähnt man sich in die Zeiten von Kenneth Kaunda zurückversetzt. Dabei brummt es mancherorts – buchstäblich. Luasongwa in Richtung Angola erreiche ich nach drei Stunden Fahrt über eine 80 Kilometer lange Piste, auf der metertiefe Schlaglöcher keine Seltenheit sind. Seit Jahren wird hier von chinesischen Firmen im großen Stil kostbares Rosenholz geschlagen. „Außer ein paar Hilfsjobs haben wir nichts davon“, zürnt ein Bienenhalter. „Im Gegenteil. Die Straßen sind so kaputt, dass kein Händler mehr kommt. Das letzte Jagdwild hat der Lärm vertrieben.“An einer Gesundheitsstation hält ein junger Krankenpfleger tapfer die Stellung. Die Medikamentenversorgung aus Loloma reiche nicht. Ein ungünstiger Zeitpunkt, denn wegen der Trucker würden Geschlechtskrankheiten kursieren. Auf dem trostlosen Marktplatz mit Brunnen langweilen sich magere Jugendliche. Aus der Schule kommt ein Lehrer auf mich zu. „Die Leute ziehen in die Häuser an der Straße, recht haben sie“, sagt er.Vom Rosenholz ist nicht mehr viel übrig. Andererseits wurden in diesem Teil Sambias beachtliche Vorkommen an Kupfer und Kobalt, in kleineren Mengen auch Gold und Öl gefunden. Im beschaulichen Kabompo soll dank chinesischen Investitionen von 15 Milliarden Dollar eine der größten Kupferschmelzen des Kontinents entstehen. Außerdem wurden Öllizenzen an australische und britisch-südafrikanische Konzerne, aber ebenso an sambische Unternehmen vergeben. Würden die Bürger dazu konsultiert, lautete die Forderung stets: Jobs für die Lokalen! Tatsächlich haben neue Minen im Norden der Provinz die Wirtschaft belebt. Der zuständige Parlamentsabgeordnete für Kabompo, Verteidigungsminister Ambrose Lufuma, den ich in Lusaka treffe, kommentiert: „Ja, wir haben nach wie vor große Probleme. Aber der Aufschwung wird kommen. Wir werden nicht noch einmal 60 Jahre brauchen, die Basis ist heute eine andere.“ Geduld wird trotzdem nötig sein.Kenneth Kaunda Am 24. Oktober 1964 schreitet der damals 40-jährige Kenneth Kaunda eine Ehrenformation eigener Streitkräfte ab. Damit ist besiegelt, was seit Anfang der 1960er Jahre unaufhaltsam wurde: Sambias Unabhängigkeit. Die britische Kolonialmacht, unter der das Land im südlichen Afrika Nordrhodesien hieß, ist unwiderruflich Geschichte. Kaunda, der Pfarrers- und Missionarssohn, gewinnt mit seiner Vereinigten Nationalen Unabhängigkeitspartei (UNIP) eine erste Parlamentswahl und wird in den folgenden Jahren ein autoritäres Regime bevorzugen. Die antikoloniale Bewegung in Südrhodesien (später Simbabwe) findet ebenso seinen Beistand wie die in Angola und Mosambik. Zugleich profiliert er sich als Fürsprecher der Nichtpaktgebundenen Staaten. Das zwischenzeitlich aufgehobene Mehrparteiensystem kehrt in den frühen 1990er Jahren nach Sambia zurück und kostet Kenneth Kaunda die Präsidentschaft. Er stirbt 2021 mit 97 Jahren in Lusaka. LHMaria Tekülve ist freie Autorin. Sie hat von 1988 bis 1993 in der Nordwestprovinz Sambias gearbeitet und ist danach immer wieder dorthin zurückgekehrt