Während ganz Deutschland über die Personalie Wolfram Weimer diskutiert, übersieht man das wahre Problem der neuen Bundesregierung: Manager, Lobbyisten und Wirtschaftsakteure übernehmen Schlüsselressorts – fast ohne Widerspruch


Die designierten Bundesminister*innen der CDU

Foto: Imago/Photothek


Keine andere Personalie der neuen Bundesregierung hat im Vorfeld so viel Diskussion ausgelöst wie diese: Friedrich Merz, Bald-Kanzler, Multimillionär, stolzer Besitzer eines eigenen Flugzeugs und laut Eigenaussage Angehöriger der gehobenen Mittelschicht, hat Wolfram Weimer zum Kulturstaatsminister gemacht. Praktischerweise hatte sich Weimer im vergangenen Jahr öffentlich für die Kanzlerkandidatur von Merz ausgesprochen. Praktisch ist auch, dass sich die Familien Merz und Weimer gut vom Tegernsee kennen, wo sie jeweils ein Haus besitzen. Laut Medienberichten sind Weimer und Merz gut befreundet.

Doch nicht nur die persönliche wie lokale Nähe zwischen Merz und Weimer hat ein Geschmäckle. Weimer steht gesellschaftspolitisch ziemlich weit rechts. So klagte

eimer und Merz gut befreundet.Doch nicht nur die persönliche wie lokale Nähe zwischen Merz und Weimer hat ein Geschmäckle. Weimer steht gesellschaftspolitisch ziemlich weit rechts. So klagte er etwa darüber, dass Europa aufgehört habe, sich zu „vermehren“ – wirtschaftlich, kulturell und biologisch. Er sprach von einer „biologischen Selbstaufgabe Europas“, weil man nicht mehr „Familie, Sippe, Stamm und Blut“ bewahren wolle. Nachvollziehbarerweise bezeichnet die taz Weimer als rechten Kulturkämpfer. Selbst FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube stelle sich gegen Merz’ Freund. Kulturschaffende starteten gar eine Petition gegen Weimers Berufung, die Zehntausende unterzeichnet haben. Und dann fand die ZEIT noch heraus, dass Weimer in seinen Büchern Das konservative Manifest und Sehnsucht nach Gott eine Stellen abgeschrieben hat – und zwar, ohne die Urheber zu nennen.Und doch ist die Aufregung um Weimer, der aus vielerlei Gründen tatsächlich eine fragwürdige Wahl für dieses Amt ist, auch ein Symptom eines Grundproblems linker Kritik. Die ganze Debatte ist ein Paradebeispiel für die Fallstricke des Kulturkampfs. Dem Beauftragten für Kultur und Medien stehen 2025 zwei Milliarden Euro zur VerfügungEs handelt sich um eine Kritik entlang eines erwartbaren Reiz-Reaktions-Schemas. Wieder einmal wird sich nur am Personal abgearbeitet, statt eigene Akzente zu setzen, indem etwa gesellschaftliche Konflikte markiert und geführt werden, die aus linker Sicht wirklich weiterführen würden. Wieder einmal lässt man sich auf das Terrain der Rechten ein – um dort das zu tun, was man immer tut, wenn man auf dem Platz des Gegners spielt: verlieren.Dabei handelt es sich um eine vergleichsweise irrelevante Personalie. Dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien stehen laut aktuellem Haushaltsentwurf knapp zwei Milliarden Euro zur Verfügung. Zum Vergleich: Für das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz – nach altem Zuschnitt – waren über zehn Milliarden vorgesehen.Damit sind wir direkt beim schwerwiegendsten Argument gegen den Fokus auf Kulturthemen: Er lenkt ab von Klassenverhältnissen, die sich in der neuen Bundesregierung besonders deutlich zeigen. Etwa bei der kommenden Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche. Sie gehört zum marktradikalen Flügel der Union, war aktiv im Lobbyverband CDU-Wirtschaftsrat und ist Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung. Aktuell ist noch Geschäftsführerin von Westenergie, der größten Tochtergesellschaft des Energiekonzerns E.ON. Angesichts dieser Karriere drängt sich die Frage auf, wie unabhängig eine Wirtschaftsministerin agieren kann, wenn sie gerade noch Führungspositionen im Umfeld eines Giganten der weithin fossilistischen Kapitalfraktionen innehatte.Und Reiche ist kein Einzelfall im neuen Kabinett.Warum der Landwirtschaftsminister will, dass in Kindergärten wieder mehr Fleisch gegessen wirdAuch Karsten Wildberger, parteilos, aber ebenfalls im Wirtschaftsrat der CDU aktiv, dort sogar Vorsitzender der Bundesfachkommission Energiepolitik, hat ähnliche Überschneidungen. Bis 2021 war er Vorstandsmitglied von E.ON, dann war er CEO der Ceconomy AG und Geschäftsführer der Media-Saturn-Holding. Auch beim neuen Bundesminister für Digitalisierung und Staatsmodernisierung stellt sich die Frage nach der Unabhängigkeit.Und selbst der neue Landwirtschaftsminister dürfte sein Ressort nicht ohne Interessenkonflikte führen. Alois Rainer, CSU, ist Metzgermeister und betreibt laut eigenen Angaben auf seiner Homepage seit 1987 einen Gasthof mit Metzgerei im Bayerischen Wald. Dass er sich dafür einsetzen möchte, in Kindergärten wieder mehr Fleisch zu servieren, dürfte nicht nur der Fleischindustrie gefallen – sondern auch seinem eigenen Unternehmen. Manager, Lobbyisten und Unternehmer haben über Jahre Kapitalinteressen vertreten und sollen nun Politik für die Allgemeinheit machen. Ein Problem, das für jemanden wie Friedrich Merz kaum eines ist – schließlich war er selbst bis 2020 Lobbyist beim Investmentgiganten BlackRock.Doch auch weite Teile der Öffentlichkeit, einschließlich der linken, scheint sich so richtig daran zu stören. Kritik an diesen Personalien gab es allenfalls am Rande. LobbyControl warnte, auch die Ökonomin Claudia Kemfert vom DIW wies auf mögliche Interessenkonflikte hin. Vereinzelt gab es kritische Beiträge. Doch insgesamt musste man nach kritischen Stimmen mit der Lupe suchen. Stattdessen berichteten viele Medien lieber darüber, dass die beiden nun deutlich weniger Gehalt beziehen würden. Von links heißt es häufig: Man dürfe das eine nicht gegen das andere ausspielen. Kulturkampf und Klassenkampf seien keine Gegensätze. Theoretisch stimmt das. Praktisch aber zeigt die aktuelle Debatte erneut, dass Prioritäten klar gesetzt sind – gerade in der medialen Auseinandersetzung. Die dominierende Konfliktlinie bleibt die zwischen „progressiv“ und „rechtskonservativ“. Der Kampf zwischen oben und unten hingegen ist allenfalls Nebenschauplatz. Der Kulturkampf nützt am Ende nicht nur den Konservativen, sondern allen voran der Kapital-Seite.



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Von Veritatis

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