Julias Grinbergs Büchlein mit Texten und Gedichten legt man nicht einfach zur Seite, sobald es zu Ende gelesen ist. Man will es immer wieder aufschlagen


Fühlte sich noch nie zugehörig – die Schriftstellerin Julia Grinberg

Foto: Alexander Paul Englert


Julia Grinberg, die Verfasserin des Journals einer Unzugehörigkeit (Elif Verlag, 140 S., 20 €), ist in der UdSSR geboren, in der DDR und in der Ukraine aufgewachsen und lebt seit 25 Jahren, knapp die Hälfte ihres Lebens, in Wiesbaden. Das kann man in der knappen autobiografischen Notiz erfahren, die am Ende ihres Journals zu finden ist, und mehr erfährt man auch nicht, wenn man im Internet sucht. Aber klar wird aus diesen kargen Informationen: Sie ist sicher eine Expertin, wenn es darum geht, wie es ist, sich nicht zugehörig zu fühlen.

Eindringliche Bilder, die dem, dem das alles doch vertraut ist, etwas sichtbar machen

Das nacherlebbar zu machen, ist die Kunst, die man in diesem schmalen Büchlein mit dem rätselhaften Cover findet. In vielen, meist noch nicht mal eine Seite langen Einträgen, die sich wie ein Tagebuch des Fremdseins lesen, oft lyrisch, hin und wieder tatsächlich in Versform. Wobei, und das ist das Überraschende, viele der Erlebnisse auch dem, der sich zugehörig fühlt, nicht so fremd sind. Sie sind sogar vertraut. Dennoch macht Julia Grinberg in ihren kleinen Texten sichtbar, wie es ist, sich nie ganz zugehörig fühlen zu können. Der Blick bleibt immer distanziert und verwundert, spöttisch oder irritiert, wie auf Besuch in der Fremde, auch wenn doch alles schon über Jahre bekannt ist. Und auch die Ungewissheit, ob man selbst nicht ständig als Fremde wahrgenommen wird, bleibt in den Skizzen immer präsent. Mit dem Gefühl der Unzugehörigkeit werden die Sinne schärfer, die Wahrnehmungen wacher. So entstehen auch ganz eindringliche Bilder, die dem, dem das alles doch vertraut ist, etwas sichtbar machen, was er immer übersehen hat.

Dieses Buch wird man immer wieder aufschlagen können. Man legt es nicht für immer weg wie einen Roman, wenn man hinten angekommen ist und die Geschichte verstanden hat. Man kann es immer wieder zur Hand nehmen, darin blättern, ein Gedicht oder eine kleine Geschichte neu lesen und, mal mit einem Schmunzeln und mal mit Traurigkeit, erleben, wie es ist, wenn die Welt, in der man lebt, einem immer etwas fremd und ungeheuer bleibt, sosehr man sie auch durchschaut und kennengelernt hat.



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Von Veritatis

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