Das Oberverwaltungsgericht Münster hat entschieden, dass ein Sticker mit politischen Warnhinweisen von einem Buch in der Stadtbücherei Münster entfernt werden muss. Bibliotheksnutzer seien „mündige Staatsbürger“, die nicht gelenkt werden sollen.

von Max Hoppestedt

Das Oberverwaltungsgericht in Münster entschied am Dienstag, dass Aufkleber mit der Aufschrift „Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt. Dieses Exemplar wird aufgrund der Zensur-, Meinungs- und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt“ von zwei Büchern in der Stadtbücherei Münster entfernt werden müssen. Einer der betroffenen Autoren hatte einen Eilantrag gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Münster eingereicht, das die Sticker erlaubt hatte. 

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Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts kann nicht angefochten werden. Die Stadtbücherei Münster hatte je ein Exemplar des Buches „Putin, Herr des Geschehens?“ von Jacques Baud und „2024 – das andere Jahrbuch: verheimlicht, vertuscht, vergessen“ von Gerhard Wisnewski mit den Warnhinweisen versehen, weil der Inhalt „unter Umständen nicht mit den Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft vereinbar“ sei, wie es in einer ersten Version des Stickers hieß.

Der Bestsellerautor Gerhard Wisnewski hatte einen Antrag auf einstweilige gerichtliche Anordnung gestellt, dass der Sticker entfernt wird. Am 11. April entschied das Verwaltungsgericht Münster jedoch, dass der Sticker auf dem Buch bleiben darf. Zwar sei „eine solche negativ konnotierte Äußerung über ein Buch“ seitens einer öffentlichen Bibliothek „geeignet, sich abträglich auf das Ansehen des Autors in der Öffentlichkeit auszuwirken“, argumentierte das Gericht in seiner Urteilsbegründung.  Jedoch sei dieser Eingriff gerechtfertigt, weil Bibliotheken laut Paragraf 48 des Kulturgesetzbuches NRW den Auftrag hätten, die „demokratische Willensbildung und gleichberechtigte Teilhabe“ ermöglichen (mehr dazu hier). Das Oberverwaltungsgericht widerspricht dieser Lesart des Auftrags von öffentlichen Bibliotheken in seiner Urteilsbegründung deutlich.

„Der Einordnungshinweis verletzt den Autor in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit sowie in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht“, heißt es in einer Pressemitteilung des Oberverwaltungsgerichts vom Dienstag. „Diese Grundrechtseingriffe sind nicht gerechtfertigt, weil sie nicht von der Aufgabenzuweisung im Kulturgesetzbuch NRW gedeckt sind.“ Durch den Sticker würde die Meinung des Buches abgewertet werden und ein potenzieller Leser könnte von der Lektüre abgeschreckt werden. 

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Es sei nicht die Aufgabe von öffentlichen Bibliotheken, zu Werken inhaltlich Stellung zu nehmen. Sie dürfen nur darüber entscheiden, welche Bücher sie anschaffen. Die gesetzlichen Vorgaben sollen es laut dem Oberverwaltungsgericht vielmehr ermöglichen, dass Bibliotheksnutzern „als mündigen Staatsbürgern eine selbstbestimmte und ungehinderte Information“ ermöglicht wird und „sich – ohne insoweit gelenkt zu werden – dadurch eine eigene Meinung zu bilden“. 

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts ist zwar unanfechtbar und somit hat der Autor einen Erfolg erzielt. Es ist jedoch fraglich, ob manche Bibliotheken sich langfristig nicht andere Wege überlegen werden, um aus ihrer Sichtweise unliebsame Bücher zu markieren. Denn der Berufsverband „Information Bibliothek“, dem 5.200 Mitglieder angehören, empfiehlt, politisch rechte Bücher zu kontextualisieren, indem Warnhinweise angebracht werden oder Bücher zum gleichen Thema mit einer anderen, also eher linken Sichtweise neben den rechten Büchern zu platzieren.

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Von Veritatis

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