Bei der Rüstungsbranche knallen die Sektkorken: Selten hat man so gut am Krieg verdient wie heute. In Deutschland wächst damit der militärisch-industrielle Komplex. Was heißt das für uns? Haben wir bald eine Situation wie in den USA?
Haben Sie das Knallgeräusch gehört? Nein, das waren keine russischen Granaten – es waren die Sektkorken in den Chefetagen der deutschen Rüstungsindustrie. Wir dürfen davon ausgehen, dass die Stimmung dort angesichts der Auftragslage und steigender Aktienkurse einigermaßen euphorisch ist.
Und mehr als das: Sie darf sich zugleich über ihre wachsende gesellschaftspolitische Bedeutung freuen. Die engen Verbindungen zwischen Militär, Wirtschaft und politischen Eliten werden in den USA schon länger als militärisch-industrieller Komplex bezeichnet. Entsteht nun so etwas auch in Deutschland? Und wenn ja, was bedeutet das?
„Der 24. Februar 2022“, als Russland völkerrechtswidrig in der Ukraine einmarschierte, „markiert eine Zeit
deutet das?„Der 24. Februar 2022“, als Russland völkerrechtswidrig in der Ukraine einmarschierte, „markiert eine Zeitenwende“. So begründete zumindest der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die „große nationale Kraftanstrengung“, „eine leistungsfähige, hochmoderne, fortschrittliche Bundeswehr“ zu schaffen, „die uns zuverlässig schützt“. Deutschland werde ab sofort das Zweiprozentziel der NATO erfüllen. Bis dahin betrugen die Rüstungsausgaben kaum mehr als ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).Der Bundestag stimmte also für ein 100 Milliarden Euro großes Sondervermögen Bundeswehr. 2025 setzte dann die Nachfolgeregierung unter Friedrich Merz die Schuldenbremse aus – für alle Militärausgaben, die über ein Prozent des BIP hinausgehen.Seit Scholz’ Zeitenwende-Rede hat sich die Bedrohung offenbar um das Zweieinhalbfache gesteigert: Jüngst folgten auf dem NATO-Gipfel in Den Haag die Europäer der Forderung von US-Präsident Donald Trump, fünf Prozent ihres BIP für die Rüstung auszugeben. Zeitgleich hatten sie dessen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Iran ausdrücklich begrüßt.Aus dem Haushalt der Bundesregierung würde damit jedenfalls künftig jeder zweite Euro für Kriegstüchtigkeit ausgegeben. Friedrich Merz gab in seiner ersten Regierungserklärung das Ziel aus, die Bundeswehr „konventionell zur stärksten Armee Europas“ zu machen. Die Anschaffung von Kriegsschiffen, die offensichtlich nicht der Landesverteidigung dienen, sondern der globalen Machtprojektion, war da schon beschlossen. Placeholder image-2Die Profiteure des Schreckens: Steigende Aktienkurse bei der RüstungsbrancheDie Profiteure sind die Rüstungskonzerne: Rheinmetall, Thyssenkrupp Marine Systems, Hensoldt, RENK, Diehl Defence – dazu aber auch die europäischen Kriegsgerätehersteller wie EADS. Und, da die Europäer ihre Rüstungsgüter in etwa zur Hälfte dort kaufen: der militärisch-industrielle Komplex der USA. Die fünf größten Waffenschmieden der Welt sind dort zu Hause. Die Kursgewinne der US-Rüstungskonzerne sind dabei zwar groß, aber prozentual sogar geringer als in Deutschland.Rheinmetall rechnet mit Wachstum, wie wir es noch nie erlebt haben All diese Milliarden und die Aussicht auf potenziell unbegrenzte Ausgaben für Verteidigung und Rüstung haben hierzulande eine neue Dynamik entfacht: „Inzwischen sind 340 Unternehmen bei uns Mitglied und damit 100 mehr als Ende vergangenen Jahres“, sagte jüngst der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) Hans Christoph Atzpodien. Bei seinem Amtsantritt 2017 hatte der BDSV nur 70 Mitglieder.Die Bundesagentur für Arbeit registrierte jüngst in der Rüstungsbranche ein Beschäftigtenplus von fast 50 Prozent im Vergleich zu 2015. Während sie nur 17.000 Menschen in diesem Feld erfasst, wird die tatsächliche Zahl der direkt und indirekt Beschäftigten teilweise deutlich höher geschätzt.Gesellschaftlich sind die Folgen spürbar: Nach dem ARD-Deutschlandtrend von Juni 2025 sind 50 Prozent der Befragten für das neue Fünfprozentziel der NATO. Weiteren sieben Prozent geht sogar das nicht weit genug. Was zu allerhand Nebeneffekten führt: Der 1. FC Nürnberg erklärte jüngst eine Premium-Partnerschaft mit dem Rüstungskonzern Saab. Die Aktie des Konzerns war seit Februar 2022 beachtlich gestiegen.Damit ist er nicht alleine: Auch die Aktie von Rheinmetall, dem größten deutschen Kriegsgerätehersteller und auf dem Börsenparkett aktuell der Star, stieg von 96,44 Euro am Vorabend des Ukrainekriegs auf heute 1.755,50 Euro. Das entspricht einer Steigerung um 1.720 Prozent.Wer in der Woche vor der russischen Invasion in Anteilspapiere von Hensoldt investiert hatte, steigerte seine Anlage um 802 ProzentWer in der Woche vor der russischen Invasion wiederum in Anteilspapiere von Hensoldt investiert hatte, steigerte seine Anlage um 802 Prozent. Auf die Gewinne von Thyssenkrupp Marine Systems wiederum dürfte in Teilen zurückzuführen sein, dass auch der kriselnde Mutterkonzern einen positiven Aktientrend aufweist.Kein Wunder also, dass in diesem oder nächstem Jahr auch KNDS (vormals Krauss-Maffei Wegmann und Nexter) noch an die Börse will, um von der Hausse zu profitieren. So wie der Rüstungskonzern RENK, der Anfang 2024 an die Börse ging und seinen Kurs fast verdreifachte. Auch bei den nicht-börsennotierten Rüstungsunternehmen sind, während der Rest der Wirtschaft von zwei Jahren Negativwachstum geprägt ist, die Aussichten rosig und die Stimmung bombig.Auf europäischer Ebene sieht es ähnlich aus. Die Aktie von Airbus Defence and Space stieg von 114,94 auf 175,12 Euro. MBDA, in das die Rüstungskonzerne BAE Systems, Airbus und der italienische Konzern Leonardo investiert haben, steigerte seinen Umsatz um 9 Prozent auf 4,9 Mrd. Euro in 2024. Placeholder image-1Die außenpolitische Wende als langfristiges ZielDoch ist diese Entwicklung wirklich auf die russische Invasion in die Ukraine zurückführen? Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung wurde im November 2021 der Öffentlichkeit vorgestellt, nur wenige Wochen vor den ersten Warnungen vor einem möglicherweise bevorstehenden Einmarsch Russlands in die Ukraine. Abrüsten wollte die Regierung angeblich damals, doch studiert man den Vertrag im Detail, ging es nur um Waffen, die sie faktisch gar nicht besitzt – atomare. Alle anderen der – später mit der „russischen Bedrohung“ begründeten – Militäraufrüstungen waren derweil schon lange vor 2022 beschlossen worden. Im Koalitionsvertrag hatte man sich zudem dazu verpflichtet, neue Kampfflugzeuge anzuschaffen.Die außenpolitische Wende wurde als Ziel schon vorher ausgegeben: Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück erklärte 2014 zum „Jahr der weltpolitischen Zäsur“ und rechtfertigte die schon damals längst eingesetzte Steigerung der deutschen Rüstungsausgaben mit neuen „Bedrohungsszenarien“. Dazu zählte er den „blinde(n) Terror des IS (…), Russlands Rückfall in die Großmächtepolitik des 19. und 20. Jahrhunderts“ und Ebola.Der ukrainische Bürgerkrieg begann aber erst am 22. Februar 2014, die völkerrechtswidrige „Krim-Annexion“ ereignete sich am 18. März, die Donbass-Sezession im April. Faktisch war die Zäsur längst beschlossen. Die russische Bedrohung diente allein der Rechtfertigung, um das faktisch Proaktive und Offensive als reaktiv und defensiv darzustellen.Ein entscheidender Schritt in dieser Entwicklung war ebenso der NATO-Krieg und Regime-Change in LibyenEin entscheidender Schritt in dieser Entwicklung war ebenso der NATO-Krieg und Regime-Change in Libyen im März 2011. Außenpolitische Eliten haderten zu dieser Zeit mit der „Politik der militärischen Zurückhaltung“, die als „Genscherismus“ verächtlich gemacht wurde. Deutschland könne es sich nicht leisten, ein „wirtschaftlicher Riese“, aber „außenpolitischer Zwerg“ zu sein. Die Enthaltung des damaligen Außenministers Guido Westerwelle (FDP) während des Regime-Change in Libyen bezeichnete die Mehrheit in Politik und Medien als „deutschen Sonderweg“ und „diplomatischen Scherbenhaufen“.Der Koalitionsvertrag der 2013 gewählten Regierung aus Union und SPD sollte dies korrigieren. Eine breite Phalanx aus Rüstungskonzernen, Thinktanks, Transatlantik-Netzwerken und Lobbygruppen trat eine Kampagne los, dass Deutschland noch „mehr Verantwortung“ übernehmen müsse – zu dieser Zeit war es weltweit in mehr als zwölf Militäreinsätzen involviert.„Neue Macht – neue Verantwortung“ hieß dann auch eine einflussreiche Studie der regierungsnahen Denkfabrik „Stiftung Wissenschaft und Politik“ und dem „German Marshall Fund of the United States“, die bis 2013 erarbeitet wurde und als Grundlage für den Koalitionsvertrag diente. Bei den damaligen Verhandlungen, berichtete die FAZ, hätten „die Koalitionshändler“ außenpolitisch „fast vollständig vom selben Blatt gesungen.“ Man habe „einen Abschied von der Kultur außenpolitischer Zurückhaltung“ vereinbart und „eine selbstbewusste Rolle Deutschlands beschrieben, die mit dem Bekenntnis beginnt, die Bundesregierung wolle die globale Ordnung aktiv mitgestalten.“ Die Kampagne für die „Zäsur“ erreichte Ende Januar 2014 mit der Münchner Sicherheitskonferenz ihren Höhepunkt: Von linksliberal bis konservativ erteilte der deutsche Blätterwald oft im selben Wortlaut eine Absage an das „deutsche Ohnemicheltum“ (Die Welt), den „ewigen Ohnemichel“ (ZEIT ONLINE), Deutschlands „defensive Bequemlichkeit“ (Süddeutsche) und die „altrepublikanische Selbstverzwergung in der Außen- und Sicherheitspolitik“ (FAZ). So entstand ein neuer „imperialer Realismus“, wie es der Politikwissenschaftler Frank Deppe nannte – eben lange vor dem ukrainischen Bürgerkrieg. Auch die Zeitenwende des SagbarenDie „Zäsur“ manifestierte sich zugleich auch als Zeitenwende des Sagbaren: 2010 musste der damalige Bundespräsident Horst Köhler noch zurücktreten, als er den deutschen Afghanistankrieg mit dem Argument rechtfertigte: „Ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit (muss) auch wissen, dass im Zweifel, im Notfall, auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren.“ Drei Jahre und zwei Bundespräsidenten Joachim Gauck später ist das die regierungsoffizielle und allgemein akzeptierte Position. Oder wie es in „Neue Macht – neue Verantwortung“ formuliert ist: Da „Deutschland überdurchschnittlich globalisiert ist“ und seine „Unternehmen auf allen Kontinenten operieren“, sei „[d]as überragende strategische Ziel Deutschlands (…) der Erhalt und die Fortentwicklung dieser (…) Ordnung“. Deutschland müsse „künftig schon mehr tun als jetzt, um diesen für es vorteilhaften Status quo zu bewahren.“Der neue Konsens war dabei aber nur bedingt EU-Großmachtstreben, sondern viel mehr transatlantisch bestimmtDer neue „imperiale Konsens“ war dabei aber nur bedingt autonomes deutsch-europäisches und EU-Großmachtstreben, sondern viel mehr transatlantisch bestimmt. Schon die USA unter Obama erhöhten den Druck auf die Europäer, die USA militärisch zu entlasten. Im September 2014 beschlossen die NATO-Staaten dann während des NATO-Gipfels in Vilnius, dass der US-Anteil am Haushalt des Kriegsbündnisses auf unter 50 Prozent gedrückt werden müsse. „Verantwortung“ bedeutete hier: Mehr Rüstungsausgaben und mehr Kriegseinsätze zur gemeinsamen Verwaltung des „American Empire“.In diesem Sinne stellte Trump nach der Fünfprozentzusage der Europäer dieselben Forderungen auch an die Verbündeten Japan, die Philippinen, Australien und Neuseeland – mit dem Ziel der Einkreisung Chinas.Bis 2029 kriegstüchtig werdenWo hat in Deutschland diese Politik hingeführt? Von Grüne bis CDU/CSU scheint man sich bei der Aufrüstung einig zu sein. „Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig werden, um zu verhindern, dass es zum Äußersten kommt“, drückte dies der alte und neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) aus. Bundeskanzler Friedrich Merz bezeichnet derweil völkerrechtswidrige Angriffe der israelischen Regierung auf den Iran als „Drecksarbeit für uns alle“. Deutschland steigerte letztlich von 2013 bis 2021 seine Rüstungsausgaben um 30 Prozent – das Fünfprozentziel würde eine nochmalige Steigerung um 370 Prozent im Vergleich zu 2021 bedeuten. Damit verbunden ist auch die illusionäre Hoffnung, dass Rüstungskeynesianismus die Krise des deutschen Exportmodells beheben könne.Die Rüstungsindustrie freut sich jedenfalls auf die kommende Zeit. Rheinmetall-Chef Armin Papperger sieht eine glorreiche Zukunft bevorstehen: In den kommenden Jahren rechnet er mit „Wachstumsperspektiven, wie wir sie noch nie erlebt haben“.Da denkt man dann wieder an Karl Marx. Der schrieb einst: „Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig (…) 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.“Die AkteureDie wichtigsten Akteure des militärisch-industriellen Komplexes, der gerade in Deutschland entsteht:Placeholder image-4Florian Hahn (CSU) War bis 2017 Vizepräsident der Interessengemeinschaft Deutsche Luftwaffe, vorher arbeitete er bei Krauss-Maffei Wegmann Tätigkeit: Seit 2021 verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, seit 2025 Staatsminister beim Bundesminister des AuswärtigenPlaceholder image-3Armin Papperger CEO von Rheinmetall Tätigkeit: Vom Zulieferer zum größten deut- schen Rüstungskonzern: Das Unternehmen Rheinmetall hat bislang vom Sondervermögen Bundeswehr am meisten profitiertPlaceholder image-5Henning Otte (CDU) Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages Tätigkeit: Bis 2017 Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik, bis 2023 Vizepräsident Förderkreis Deutsches Heer e. V.Placeholder image-10Hans Christoph Atzpodien Geschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungs- industrie BDSV Tätigkeit: Cheflobbyist der deutschen RüstungsindustriePlaceholder image-9Oliver Burkhard CEO von Thyssenkrupp Marine Systems Tätigkeit: War einst Verwaltungsfachangestellter im Statistischen Bundesamt. Seit April 2025 Manager des größten deutschen U-Boot-HerstellersPlaceholder image-6Oliver Dörre CEO des Rüstungskonzerns Hensoldt AG Tätigkeit: War zwischen 1988 und 2010 Generalstabsoffizier der Luftwaffe, Diplom-Informatiker (Bundeswehruniversität München)Placeholder image-7Jean-Paul Alary CEO von KNDS Tätigkeit: Seit April 2025 CEO des deutsch-französischen Rüstungskonzerns KNDS, der sich auf Landfahrzeuge und Panzer spezialisiert hatPlaceholder image-8Michael Schöllhorn CEO von Airbus Defence and Space Tätigkeit: Bundeswehroffizier und Hubschrauberpilot, seit 2021 zudem Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie