Der Ludwig-Erhard-Gipfel des neuen Kulturstaatsministers Wolfram Weimer soll die Keimzelle der neuen Bundesregierung gewesen sein. Was ist das für ein Nährboden? Unser Autor sah sich beim aktuellen Gipfel am Tegernsee genauer um
Herrlich ist’s am Tegernsee. Zwischen bewaldeten Vorbergen und sanften Blumenwiesen erstreckt sich das kristallklare Gebirgswasser: Eine Idylle, die viele lockt, und ob inzwischen mehr Milchkühe oder Multimillionäre im „Tal der Reichen“ (Süddeutsche Zeitung) beziehungsweise am „Lago di Bonzo“ (Volksmund) residieren, muss noch gezählt werden.
Wo sich solcher Reichtum ballt, ist die Macht oft nicht weit. Kein Wunder also, dass hier am Tegernsee die „Keimzelle der neuen Bundesregierung“ liegt – zumindest, wenn man Christiane Goetz-Weimer glaubt, Ehefrau des neuen Kulturstaatsministers Wolfram Weimer und Gastgeberin des illustren Ludwig-Erhard-Gipfels. Bei diesem treffen sich seit 2014 „Top-Entscheider“ aus Politik
wenn man Christiane Goetz-Weimer glaubt, Ehefrau des neuen Kulturstaatsministers Wolfram Weimer und Gastgeberin des illustren Ludwig-Erhard-Gipfels. Bei diesem treffen sich seit 2014 „Top-Entscheider“ aus Politik und Wirtschaft, und hier, „abseits des kalten politischen Berlins, sind sich Lars Klingbeil und Friedrich Merz auf andere Weise begegnet“, wie Goetz-Weimer kürzlich dem Münchner Merkur verriet.Was ist das also für ein Ort, dem unsere neue Bundesregierung entsprossen sein soll?Erst mal: ein alter. Ein Vierseithof aus dem 15. Jahrhundert, malerisch zwischen gewellten Wiesen am Nordufer des Tegernsees gelegen und mit eigener Oldtimer-Sammlung: Hier findet der jährliche Wirtschaftsgipfel statt, benannt nach Deutschlands erstem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, der als Vater der sozialen Marktwirtschaft und des Wirtschaftswunders gilt. Dass dieses Wirtschaftswunder weniger mit Erhards Genius und mehr mit dem Wohlwollen der Alliierten im Systemkampf mit der Sowjetunion zu tun hatte: geschenkt. Ach ja, am Tegernsee hat er natürlich auch gewohnt.Placeholder image-3Zurück zum Gipfel, bei dem man sich einig ist: so ein Erhard’sches Wirtschaftswunder ist genau das, was Deutschland nach zwei Jahren ohne Wachstum wieder nötig hat. Und so treffen sich auch dieses Jahr viele mächtige Männer und auch ein paar mächtige Frauen, die ganz genau wissen, was die Wirtschaft jetzt braucht, um rauszukommen aus der Krise. Weil sie es so genau wissen, teilen sie es sich gegenseitig auf einer Vielzahl von Panels mit, und für schlappe 2.700 Euro kann man drei Tage dabei sein. Trotz des Preises geht es hier durchaus divers zu: smarte Start-up-Bros in Slim-Fit-Anzügen vom Typ menschgewordenes Linkedin-Profil sind genauso anzutreffen wie bayerisch-bodenständige Bauunternehmer in Lodenjankern und mit roten Gesichtern.Kulturstaatsminister Wolfram Weimer gab die Geschäftsführung ab – an seine FrauGeladen hat die Weimer Media Group, eher ein Grüppchen von wenig auflagenstarken Wirtschaftsblättern, gegründet 2012 von dem konservativen Wirtschaftsjournalisten Wolfram Weimer und dessen Ehefrau, der Verlegerin Christiane Goetz-Weimer. Die beiden leben – wo auch sonst – am Tegernsee, im selben Ort, in dem auch Bundeskanzler Friedrich Merz seinen Zweitwohnsitz hat und wohl regelmäßig Kränze an Ludwig Erhards Grab spendet. Merz ist gern gesehener Gast beim Ludwig-Erhard-Gipfel, und auch sonst scheinen die Weimers und Merzens, die schon beim gemeinsamen Wandern im Tegernseer Tal gesichtet wurden, eine gute Nachbarschaft zu pflegen. So gut, dass Merz sich Wolfram Weimer auch in Berlin nicht nur als Nachbarn, sondern gleich als Mitbewohner wünscht und ihn kurzerhand zu seinem Kulturstaatsminister ernannt hat. Als solcher residiert Weimer im Kanzleramt ein Stockwerk über den Räumlichkeiten des neuen Bundeskanzlers.Und weil sich die Rolle des Staatsministers mit der des Journalisten und Verlegers nicht so gut verträgt, hat Weimer nach der Ernennung selbstverständlich seine Rolle als Geschäftsführer der Weimer Media Group abgegeben, um Interessenkonflikte zu vermeiden. An wen? An Ehefrau Christiane Goetz-Weimer. Interessenkonflikte ausgeschlossen.Placeholder image-2Während nun im fernen Berlin Wolfram Weimer aufgrund vergangener Einlassungen von der „biologischen Selbstaufgabe“ Europas, das es versäumt habe, „die Fortdauer der eigenen Familie, des eigenen Blutes, der Sippe, des Stammes, der Nation, der Kultur, der Zivilisation“ zu sichern, einigen Gegenwind aus der Kulturszene aushalten muss, interessieren die völkischen Thesen beim Tegernseer Gipfeltreffen niemanden. Dringender ist die Suche nach dem Geheimrezept, das Deutschlands Wirtschaft wieder wachsen lässt. Wobei die Lösungen, die an den bis zu elfstündigen Gipfeltagen von diversen Top-Entscheidern auffällig unkontrovers ausgebreitet werden, sich durch eine gewisse Phrasenhaftigkeit auszeichnen: Es brauche ein neues Mindset, heißt es da, ergänzt durch das passende Skillset. Die Politik müsse wieder ideologiefrei agieren und endlich anfangen zu liefern, und auf Speed komme es an. Das Land brauche eine Wirtschaftswunder-Mentalität und müsse außerdem endlich seine Faxgeräte einmotten. Sowieso müssten Regulierungen abgebaut werden, damit alles schneller wird. Vor allem brauche Deutschland eine neue Willkommenskultur für Innovationen. Und, das darf natürlich nicht fehlen: Die Krise muss zur Chance werden. Die zwei großen Zukunftschancen, die für die Wirtschaft ausgemacht werden, heißen künstliche Intelligenz und Aufrüstung.Der innere Widerspruch, wieder und wieder mehr Fortschritt und Innovation einzufordern, dabei aber nur 30 Jahre alte Wirtschaftskonzepte aus der neoliberalen Mottenkiste zu zaubern, fällt den Panelist:innen derweil nicht weiter auf. So manche sitzen aber vermutlich auch einfach deshalb auf der Bühne, weil ihre Unternehmen als Sponsoren des Ludwig-Erhard-Gipfels auftreten. Als solche dürfen sie dann im Programm neben so wichtigen Männern wie Carsten Maschmeyer (angekündigt als „Visionär, Mentor und Investor“) auftauchen.Statt Friedrich Merz und Lars Klingbeil ist Philipp Amthor daWenn es doch einmal konkret wird, werden knallharte Lobbyinteressen geltend gemacht: Vertreter der Pharmaindustrie kritisieren, dass Medikamente aufgrund der Regulierung viel zu günstig seien, und Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, den sogar Ulf Poschardt zuletzt als „feige Lobbyisten“ bezeichnete, beschwert sich über das Verbrennerverbot 2035 und die „Steuerlast am oberen Rande“.Dabei herrscht an den Inhalten der Panels sowieso nur eingeschränktes Interesse: Die meisten Anwesenden dürften weniger wegen des offiziellen Programms hier sein, sondern vor allem auf lukrative Kontakte und Geschäftsmöglichkeiten lauern. Wer solcherlei Optionen im Privaten ausloten möchte, hat die Wahl, ob er sich in die „Denkerstube Ludwig“ oder die „Denkerstube Erhard“ zurückziehen möchte.Und so drängt sich der Eindruck auf, dass es ein gewisser Klüngel aus Politik und Wirtschaft ist, der sich hier jedes Jahr am schönen Tegernsee die Klinke in die Hand gibt. Auch die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche, die bei noch keinem einzigen Ludwig-Erhard-Gipfel gefehlt haben soll, lässt sich dieses Jahr wieder blicken. Gleichzeitig ist das Energieunternehmen Westenergie AG, dem Reiche noch vor Wochen als CEO vorstand, als einer der größten Sponsoren des Gipfels vertreten. Und Reiches Nachfolger als CEO spricht am selben Tag wie die Wirtschaftsministerin auf einem Panel zum Thema „Die neue Energiepolitik: Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit statt Klima?“. Eine Frage, die wenig überraschend mit Ja beantwortet wird.Placeholder image-1Bei all dem Bussi-Bussi und Hallo muss man dem bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger fast dankbar sein, als er zum Schluss seiner Rede frei heraus ausspricht, was hier in der Luft liegt: „Sagen Sie der Politik wo’s brennt, ich nehm alles entgegen.“ Dafür gibt es besonders warmen Applaus von den anwesenden Bankern und Unternehmerinnen, und sogar der ein oder andere anwesende Journalist stimmt mit ein. Es ist aber auch einfach schön, wenn ein Minister so direkt ansprechbar für die Sorgen und Nöte der Bürger:innen ist.Placeholder image-4Und doch: Es herrscht auch Unzufriedenheit am Tegernsee. Die angekündigten Friedrich Merz und Lars Klingbeil hatten sich wenige Tage vor Gipfelbeginn entschuldigen lassen. Die Auftritte von Linkedin-Poet Karl-Theodor zu Guttenberg und Shootingstar Philipp Amthor (der seinen Lobbyskandal offensichtlich gut überwunden hat) können die Enttäuschung darüber, dass die ganz mächtigen Männer der Republik dieses Jahr doch nicht erscheinen, nur bedingt lindern.Zumindest können all jene, die auf die 2.700 Euro für den Gipfel noch einmal 800 Euro für die Afterparty im Lifestylehotel Das Tegernsee draufgelegt haben, ihre Ernüchterung bei unbegrenzt Champagner und gebratenen Stubenküken vergessen. Als es schließlich Zeit wird zu gehen, ruft noch jemand lautstark über den Hotelparkplatz: „Sehen wir uns bald am Comer See?“ Ja, sogar der Tegernsee hat Konkurrenz.Collage: der Freitag, Material: Weimer Media Group, Getty Images