Ein Gastbeitrag von Klaus Kelle
In der CDU hat – endlich – eine umfassende Debatte über die selbst verschuldete Brandmauer gegenüber linken und rechten Parteien begonnen. Und über das von vielen Bundestagsabgeordneten betriebene Verbotsverfahren gegen die AfD, die in den Umfragen weiterhin auf Augenhöhe mit der Union rangiert.
In einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ ließ sich nun auch Bundeskanzler und CDU-Vorsitzender Friedrich Merz auf die Debatte ein. Merz, schon immer ein Gegner solcher Verbotsverfahren, sagte: „Das riecht mir zu sehr nach politischer Konkurrentenbeseitigung.“ Er habe das aktuelle Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) bisher nicht gelesen und warte darauf, was seine Experten im Innenministerium nach Auswertung dazu meinen, bevor er dazu etwas sagen werde.
Ausgewertet haben die 1107 Seiten indes viele andere
Der renommierte Hamburger Medienanwalt Joachim Steinhöfel ätzt bei NIUS: „Bewiesen ist gar nichts. Ein paar wildgewordene Leute, die sich als Agenten ansehen, haben etwas zusammenkopiert und wollen es nicht zeigen, weil sie sich wahrscheinlich schämen müssen für das, was sie zu Papier gebracht haben.“
Und in der Tat, das, was da zusammengetragen worden ist, sind vielfach alte Kamellen aus offen zugänglichen Quellen, so dass man sich fragen muss, warum das Papier überhaupt als Verschlusssache (VS) eingestuft wurde.
Viele der aufgelisteten Gründe für die neue Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ sind alles andere als staatsgefährdend, sondern normale Debatte in einem demokratischen Rechtsstaat. Und man darf da andere Auffassungen haben als die Regierung oder sogar eine Mehrheit der Bevölkerung.
Muss man unterscheiden zwischen „Bio-Deutschen“ oder „Pass-Deutschen“ bei der Betrachtung eines Staatsvolkes? Nein, das muss man nicht – aber man darf es. Sind singuläre Meinungsäußerungen ein Beleg für die Verfassungsfeindlichkeit einer ganzen Partei, die in Ostdeutschland inzwischen Volkspartei ist?
So wird etwa die AfD-Politikerin Anne Cyron in dem Gutachten zitiert, von der ich noch nie gehört hatte und die ich erst googlen musste. Sie ist eine inzwischen dort ausgeschiedene bayerische AfD-Landtagsabgeordnete, die gesagt hatte: „Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie längst verboten.“ Ein Kalauer, der gern an Stammtischen in Wirtshäusern zum Besten gegeben wird. Und Cyron habe auch noch gesagt: „Denke, dass wir ohne Bürgerkrieg aus dieser Nummer nicht mehr rauskommen werden.“ Ist das eine Ansage, dass sie einen Bürgerkrieg auslösen will? Oder ist das eine Beschreibung der Zustände anlässlich gewalttätiger Ausschreitungen von Erithreern und Palästinensern, die wir alle schon in Deutschland erleben mussten?
Dieses ganze Gutachten, das inzwischen im Internet zirkuliert, bewegt sich auf ganz dünnem Eis.
Steinhöfel ist sich sicher: „Er wird natürlich scheitern, der Schritt. Das ist ja lächerlich. Man sollte nicht so leicht lächerlich sagen in juristischen Sachen. Aber das, was wir bisher wissen, daraus ein Parteiverbot zu machen, ist juristisch lachhaft.“
Er sei „nicht glücklich mit dem Ablauf dieses Verfahrens“, bewertete auch der Bundeskanzler das Gutachten, dass von der „alten Regierung ohne sachliche Prüfung“ vorgelegt worden sei. Warum eigentlich so hastig noch vor der Amtsübergabe?
In der CDU selbst wird inzwischen mit harten Bandagen über die Frage des Umgangs mit vermeintlichen Extremisten rechts und links unseres Parteienspektrums gekämpft.
Als die Bundesbildungsministerin und CDU-Vize Karin Prien aus Schleswig-Holstein ihrer Partei Anfang der Woche über den linken „Stern“ empfahl, im Umgang mit der SED/Linken „pragmatisch abzuwägen“ und im Umgang mit der Partei Reichinneks und Gysis „die Stabilität der demokratischen Institutionen“ im Auge zu behalten, fing sie sich direkt eine Watsche von der brandenburgischen Bundestagsabgeordneten Saskia Ludwig (CDU) ein.
„Frau Prien offenbart mit ihren Worten eine Form von Geschichtsvergessenheit, die viele unserer Wähler mit völligem Unverständnis aufnehmen“, widersprach die aus Ostdeutschland stammende Frau Ludwig ihrer Parteifreundin aus Westdeutschland. Und weiter: „Frau Prien stellt mit ihren Äußerungen einen zentralen Grundsatz unserer Partei infrage: die klare Abgrenzung zu politischen Extremen. Wer an diesem Fundament rüttelt, riskiert die Glaubwürdigkeit der CDU als Partei der bürgerlichen Mitte und darf sich nicht wundern, wenn die Bürger in Ostdeutschland das Vertrauen verlieren – nicht nur in Parteien, sondern auch in die demokratische Debatte insgesamt.“
Ludwig weiter: „Die SED-Nachfolgepartei Die Linke steht für all das, was wir 1989 überwunden haben. Wer heute von einer Zusammenarbeit mit dieser Partei spricht, ignoriert die Lebenswirklichkeit und das historische Gedächtnis vieler Menschen in Ostdeutschland.“
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für viel gelesene Zeitungen und Internet-Blogs. Dieser Beitrag ist zuerst auf seinem Portal the-germanz.de erschienen.
Bild: Screenshot Youtube
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