Wie jetzt bei den Ukraine-Gesprächen in Istanbul hat es in der jüngeren Geschichte immer wieder Verhandlungen gegeben, während Kampfhandlungen noch andauerten. Wie ernsthaft suchen alle Beteiligten nach einem Kompromiss?


Russische, türkische und ukrainische Delegierte nehmen an Gesprächen zwischen Russland und der Ukraine in Istanbul teil

Foto: SNA/Imago Images


Wie man seinem Publikum ein spannendes Programm bietet, das weiß Wolodymyr Selenskyj genau. Vor einer Woche, am 11. Mai, sandte er einen Paukenschlag über die Plattform X: „Ich werde am Donnerstag auf Putin in der Türkei warten, persönlich“. Damit war ihm Aufmerksamkeit für die nächsten Tage garantiert. Zwar hatte Putin gar nicht angekündigt, in die Türkei reisen zu wollen. Doch mit seinem geschickt platzierten und formulierten Satz war Selenskyj der Star des Augenblicks.

Der russische Präsident entsandte zum 15. Mai lediglich eine russische Delegation zu Verhandlungen nach Istanbul unter Leitung seines Beraters Wladimir Medinskij. Der frühere Kulturminister sondierte schon 2022 in Istanbul mit Gesandten aus der Ukraine. Inzwisch

ach Istanbul unter Leitung seines Beraters Wladimir Medinskij. Der frühere Kulturminister sondierte schon 2022 in Istanbul mit Gesandten aus der Ukraine. Inzwischen hat es nach diesem in Istanbul eine erste Verhandlungsrunde gegeben, bei der ein umfangreicher Gefangenenaustausch vereinbart wurde. Jeweils gut tausend Personen auf beiden Seiten sollen davon betroffen sein. Außerdem ist nicht ausgeschlossen, dass die Gespräche früher oder später fortgesetzt werden. Vorerst scheint für Russland eine Feuerpause nur dann akzeptabel zu sein, wenn sie an Bedingungen gebunden ist, zum Beispiel einen Rückzug, ukrainischer Truppen von der Front und ein Aussetzen westlicher Waffenlieferungen Im Vorfeld der Sondierungen hatte Selenskyj den Eindruck erweckt, er sei immer schon für einen Waffenstillstand eingetreten. Er konnte darauf vertrauen, wie vergesslich Politik und Medienmacher sind. Ende Juli 2024 hatte er im Interview mit dem japanischen Fernsehsender NHK erklärt, er könne „nicht auf die Forderung nach einem Waffenstillstand eingehen, solange Russland ukrainisches Territorium besetzt halte“. Und am 8. November 2024 zitierte der Spiegel Selenskyj mit der Aussage, die Aufforderung zu einer Waffenruhe sei eine „sehr gefährliche Rhetorik“.Frankreich und Deutschland haben die Vermittlerrolle verloren, die sie bei Minsk II noch hattenDer Umgang mit diesem Thema, bei dem Selenskyj je nach Bedarf laviert, lässt europäische Politiker in die Rolle unkritischer Gehilfen geraten, die sich ernsthafte Fragen nicht erlauben dürfen, weil die sich gegen den Nimbus Selenskyjs behaupten müssten, wenn sie riskiert würden. Zum Beispiel danach, welche Verhandlungsstrategie Kiew eigentlich verfolgt oder ob es nur darauf ankommt, den Gegner Russland als Verhandlungspartner zu desavouieren. Weshalb derzeitz Frankreich und Deutschland gegenüber Kiew weniger denn je kritikfähig sind, ist erklärbar. Sie haben schlichtweg die Vermittlerrolle verloren, die sie beim „Minsker Format“ nach dem Abschluss des Minsk-II-Abkommens im Februar 2015 durchaus hatten. Heute verfügen weder Emmanuel Macron noch Friedrich Merz über eine Verhandlungsstrategie, sondern beide imitieren sie nur. Und das hat Gründe. Das Instrument der Sanktionen gegen Russland bleibt seit längerem hinter den Erwartungen zurück. Ultimaten aus Berlin, London oder Paris schrecken in Moskau niemanden und werden als Kraftmeierei mit dem gleitenden Übergang zum Bluff empfunden. Zwei Jahre lang, 1951 bis 1953, wurde in Korea heftig gekämpft und parallel verhandeltOb es wirklich zu weiteren Begegnungen zwischen ukrainischen und russischen Unterhändler kommt, ist offen. Dabei sollten europäische Politiker nicht den Eindruck erwecken, als sei es eine eherne Regel der Politik, dass Gespräche über Krieg und Frieden nur während einer Waffenruhe möglich seien. Die Geschichte von Verhandlungen, die auf das Ende von Kriegen zielten, zeigt, dass meist das Gegenteil der Fall war. Am Anfang saßen sich Kriegsgegner sehr oft gegenüber, während noch gekämpft wurde. Im Korea-Krieg begannen im Juli 1951 die Friedensgespräche in der nordkoreanischen Stadt Kaesong. Später gingen sie in Panmunjon weiter, wo schließlich am 27. Juli 1953 das Abkommen über eine Waffenruhe unterzeichnet wurde. Zwei Jahre lang wurde zuvor heftig gekämpft und parallel verhandelt. Noch länger, von 1968 bis 1973, zogen sich die Pariser Verhandlungen über eine Beendigung des Vietnamkrieges hin. Die Gespräche starteten, während die USA noch massive Luftangriffe gegen den Norden Vietnams flogen und mit mehr als 500.000 Soldaten in Südvietnam standen.Der zähe Gesprächsprozess endete schließlich im Januar 1973 mit dem Pariser Abkommen, das den Abzug der US-Truppen und einen Waffenstillstand vorsah. Die von den USA ausgehaltene Republik Südvietnam war an den Verhandlungen nicht beteiligt, musste das Ergebnis aber respektieren. Das Regime des Präsidenten Nguyễn Văn Thiệu brach im April 1975 zusammen, als die eigenen Streitkräfte (ARVN) dem nordvietnamesischen Vormarsch nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Auch die Sondierungen zur Beendigung des Jom Kippur-Krieges zwischen Israel auf der einen sowie Ägypten und Syrien auf der anderen Seite im Oktober 1973 liefen an, als die Kampfhandlungen noch in vollem Gange waren. Der damalige US-Außenminister Henry Kissinger und die sowjetische Regierung drängten auf eine diplomatische Lösung. Selbst die Dayton-Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien Bosnien, Serbien und Kroatien begannen parallel zu Luftangriffen der NATO auf serbische Stellungen im Raum Sarajevo. Die im November 1995 in den USA unterzeichnete Übereinkunft regelte den Status von Bosnien-Herzegowina und einer weitgehend autonomen Republika Srpska der bosnischen Serbien.



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Von Veritatis

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