Napoleon wäre neidisch: Lars Klingbeil ist jetzt Parteichef, Finanzminister, Vizekanzler – und von Freunden umgeben. Doch im „House of Lars“ verkommt die SPD-Basis zur Statistin. Und mit wem außer der Union will die SPD künftig koalieren?


SPD-Fraktionschef war er zwischendrin auch noch: Lars Klingbeil im Deutschen Bundestag

Foto: Hans Christian Plambeck/Laif


Betrachten wir das Ganze erst mal positiv. Machtstrategisch war es eine Meisterleistung, wie hier ein Parteivorsitzender seine Chance am Schopf packte und sich nach einem derart katastrophalen Wahlergebnis hinstellte und auch noch den Fraktionsvorsitz für sich reklamierte. So viel Chuzpe hätte man einem Sozialdemokraten gar nicht zugetraut. Lars Klingbeils Durchmarsch zum unumschränkten Lenker der Partei nötigte so manchem Beobachter Respekt ab. Weil es schnell ging, effizient war und jede Menge langatmiger Gremiensitzungen und innerparteilicher Aushandlungsprozesse ersparte. Klingbeil handelte, wie die neue Regierung gern sein möchte: flink, unbürokratisch, autoritär.

Alle weg außer Boris Pistorius

Ebenso beeindruckte, wie konsequent Klingbeil sich

sch, autoritär.Alle weg außer Boris PistoriusEbenso beeindruckte, wie konsequent Klingbeil sich – an der Mitvorsitzenden Saskia Esken vorbei – zum Wortführer bei den Koalitionsverhandlungen aufschwang, sich selbst zum Finanzminister und Vizekanzler krönte und das Recht beanspruchte, die künftigen SPD-Minister auszuwählen. Bis auf den deutschen Publikumsliebling Boris Pistorius räumte er sämtliche Ressortchefs aus der gescheiterten Ampelregierung ab und kündigte einen Neuanfang per Generationswechsel an. Und nicht nur das. Obwohl er bei jeder Gelegenheit versichert, die SPD in der politischen Mitte halten zu wollen, befriedete er die Parteilinke durch eine Reihe von Personalentscheidungen zugunsten ihres arg gerupften Flügels: Bärbel Bas darf als Co-Vorsitzende künftig neben ihm Platz nehmen, Matthias Miersch rückt in den Fraktionsvorsitz auf und der Sprecher der Parlamentarischen Linken, Tim Klüssendorf, soll Generalsekretär werden.Klingbeils Toleranz gegenüber dem linken Flügel ist wohldurchdacht. Der zu den rechten Seeheimern zählende Parteichef achtet darauf, dass nur solche Sozialdemokraten auf wichtige Posten gelangen, die in ihren Wahlkreisen mit einer Mehrheit der Wähler überzeugen konnten. So ist der Lübecker Klüssendorf der einzige Sozialdemokrat in ganz Schleswig-Holstein, der bei der Bundestagswahl im Februar ein Direktmandat holte, Matthias Miersch gewann sein Direktmandat in Hannover-Land zum wiederholten Mal und Bärbel Bas verfügt in ihrem Duisburger Wahlkreis praktisch über ein Dauer-Abo. Klingbeil will zuverlässige, sympathische, mitten im Leben stehende Persönlichkeiten herausheben und nicht „Parteiapparatschiks“ fördern, auch wenn die journalistischen Leichtmatrosen auf Gabor Steingarts Medienschiffchen The Pioneer hier einen scharfen „Linkskurs“ erkennen wollen.Lars Klingbeil kann Gitarre spielen wie Willy Brandt und kommandieren wie Helmut SchmidtDer SPD-Vorsitzende orientiert sich bei Personalentscheidungen einfach an sich selbst. Mit seinem unaufgeregten Stil und seiner auf den ersten Blick knuddelbärigen Erscheinung gilt er als „nahbarer“ Kumpeltyp, den nichts aus der Ruhe bringt. Er kann Gitarre spielen wie Willy Brandt, kommandieren wie Helmut Schmidt und Basta-Politik treiben wie Gerhard Schröder. Wie Letzterer stammt er aus der niedersächsischen Provinz, wo er das beste SPD-Direktwahlergebnis aller 299 deutschen Wahlkreise einfuhr. Als Sohn eines Soldatenvaters passt er außerdem hervorragend in die Zeit der vorauseilenden Kriegstüchtigkeit.Damit aber genug der Lobhudelei! Klingbeils atemloser Durchmarsch wird nämlich von nicht wenigen auch als skrupelloser Putsch gesehen. Nicht nur, weil er seine Co-Parteivorsitzende Saskia Esken über längere Strecken im Regen stehen ließ, als diese auf schäbige Weise angegriffen wurde, sondern auch, weil er – mit Hilfe seiner Seeheimer Buddies – den beliebten Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich über Nacht verdrängte und ihm nicht mal den Vorsitz im Auswärtigen Ausschuss erkämpfte. Er selbst wäscht seine Hände dabei in Unschuld. Lieber lässt er die „Frols“, die „Friends of Lars“ (eine Anspielung auf Gerhard Schröders „Frogs“, den „Friends of Gerd“) über Bande agieren.Kein Wunder, dass sich bei manchen Genossen da die Faust in der Tasche ballt. Als bei der Kanzlerwahl 18 Abgeordnete der Koalition im ersten Wahlgang ihre Zustimmung verweigerten, zielte der Protest wohl weniger auf Friedrich Merz als auf Klingbeil. Man verübelte ihm die Rücksichtslosigkeit gegenüber verdienten Parteisoldaten. Dann warf ihm in Husum, beim Landesparteitag der schleswig-holsteinischen SPD, ein Delegierter vor, den Fraktionsvorsitz nur deshalb kurzzeitig an sich gerissen zu haben, um ihn als „Trittbrett“ für seinen Regierungseintritt zu benutzen: „Lars, dein persönlicher Aufstieg wirft Fragen auf“. Klingbeil habe eine „Selbstkrönung“ vorgenommen, „auf die selbst Napoleon neidisch gewesen wäre.“Bärbel Bas und Lars Klingbeil: Zwei Kabinettsmitglieder an der SPD-SpitzeÄhnlich harsch fiel die Kritik in Duisburg aus, wo sich Mitte Mai die nordrhein-westfälische SPD versammelte. Die Parteibasis werde bei den Sozialdemokraten offenbar nur noch als Statistin im „House of Lars“ gebraucht. Sie dürfe bestenfalls abnicken, was in kleinen Führungszirkeln ausgekungelt worden sei. Die Schwächung der innerparteilichen Demokratie zugunsten von personalisierter Zentralisierung führe aber letztlich zu einer haarsträubenden Fehleranfälligkeit. Das habe sich nach dem Bruch der Ampel in eklatanten Fehleinschätzungen wie der völlig vergurkten Wahlkampfstrategie und der abermaligen Nominierung von Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten niedergeschlagen.Die nächsten Fehler deuten sich bereits an. Denn so beliebt Bärbel Bas und Lars Klingbeil in der Öffentlichkeit auch sein mögen, die Wahl von zwei Ministern zu Parteivorsitzenden ist nichts anderes als ein Maulkorb für die Partei. Tim Klüssendorf, der designierte SPD-Generalsekretär, wird sich erstmal einarbeiten müssen und dürfte schon deshalb seine Zunge im Zaum halten. Es könnte ihm ähnlich ergehen wie seinem Juso-Vorgänger Kevin Kühnert, der im Rekordtempo vom GroKo-Schreck zum GroKo-Schutzheiligen mutierte. Hinzu kommt, dass in einer Zeit, in der die Weltpolitik den öffentlichen Diskurs bestimmt, ausgerechnet zwei Innenpolitiker, der Finanzminister und die Arbeitsministerin, die Parteiführung übernehmen. Das wird sich rächen, zumal die Partei in den Bundesländern kaum noch über Experten und Ideengeber verfügt, die solche Lücken füllen können. Es fehlen profilierte Vordenker wie Egon Bahr, Erhard Eppler, Hermann Scheer, Peter von Oertzen oder Peter Glotz.Die SPD müsste schon aus rein strategischen Gründen auf Die Linke zugehenSchädlich ist auch die unnötige Einigelung in der politischen Mitte. Die Linkspartei – das hat die Februar-Wahl gezeigt – ist als neue USPD zunehmend konkurrenzfähig und könnte schon bald mit der SPD gleichziehen. Während die staatstragende, überalterte SPD und die zur Mitte drängenden Grünen fast 1,3 Millionen Wähler an die Linke verloren haben, glänzt diese durch hohen Mitgliederzuwachs, insbesondere bei jungen Frauen.Ein durchdachtes Kampagnenkonzept mit klaren Aussagen und vielen Hausbesuchen, ein Optimismus und Modernität ausstrahlendes Führungsteam sowie die Bereitschaft, in bestimmten Fragen lagerübergreifend zu kooperieren, hat der Linken ein „cooles“ Image verschafft, das den beiden Verliererparteien die eigenen Defizite verdeutlicht. Vor allem der SPD wird klargeworden sein, dass sie nun keine Wahl mehr hat. Wenn ein Ampelbündnis nicht funktioniert, rot-grün für Mehrheiten nicht ausreicht und die Linkspartei ausgegrenzt wird, bleibt nur die Anbindung ans Gängelband der Union. Man müsste also schon aus rein strategischen Gründen auf die Linke zugehen.Neuer Grundsatzprogrammprozess? Der zerschellte zuletzt schon bei der CDU am AlltagsopportunismusOb der kommende SPD-Parteitag hier eine Klärung erreichen kann oder ob sich die Delegierten durch das Anschieben eines umständlichen Grundsatzprogrammprozesses von Klingbeil einlullen lassen, dürfte für die weitere Entwicklung der SPD entscheidend sein. Der mühsame Weg der CDU zu ihrem neuen Grundsatzprogramm hat den Christdemokraten jedenfalls kaum genutzt. Denn die Führungszirkel von Parteien halten sich schon lange nicht mehr an Prinzipien oder Grundsätze, für sie zählt allein der Alltagsopportunismus, der es ihnen erlaubt, sich täglich „neuen Realitäten“ anzupassen. Begünstigt wird dieser „Pragmatismus“ durch die Konzentration auf eine Führungsperson. Klingbeil ist nur das jüngste Beispiel.Auch Robert Habeck, Kanzlerkandidat der Grünen, boxte seinen offensichtlichen Strategiefehler, sich auf das Abwerben moderater Unionswähler zu konzentrieren und linksgrüne Positionen dabei zu vernachlässigen, gegen eine weitgehend teilnahmslos bleibende Parteibasis durch. Viele Kommentatoren hielten die „Habeckisierung“ der Grünen für einen klugen Schachzug, obwohl sie dazu führte, dass scharenweise grüne Wähler an die Linkspartei verloren gingen. In welchen Sackgassen die extreme Personalisierung enden kann, erlebten auch Christian Lindners FDP und Sahra Wagenknechts BSW. Denn letztlich gilt: Zu Fehlentwicklungen gehören immer zwei. Jemand, der sein Ding rücksichtslos durchzieht, und jene, die das widerstandslos mit sich machen lassen.



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Von Veritatis

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