Nicht nur die CDU, auch die anderen Parteien der Mitte machen im Umgang mit rechtspopulistischer Politik einiges falsch. Unser Autor will sie aufrütteln: Hört auf, die extreme Rechte zu stärken, indem ihr sie imitiert!


Die Dinge liegen offen vor uns: Rechtsextreme sagen, was ihre Ziele sind

Foto: Kirill Kudryavtsev/AFP/Getty Images


Seit Monaten häufen sich die Berichte über Umtriebe aus dem rechtsextremen Spektrum. Mal geht es um gewalttätige Übergriffe, mal um Drohungen und andere Straftaten, um Aufmärsche, um Wahlerfolge der AfD oder um weitere Risse in der Brandmauer. Außerdem ist derzeit immer öfter von der Rückkehr der „Baseballschlägerjahre“ die Rede. Junge Neonazis organisieren sich vor allem wieder in Ostdeutschland und greifen Menschen an.

Für viele Aktivist*innen, Journalist*innen und rassifizierte Menschen sind diese Meldungen Teil eines alarmierenden Gesamtbildes. Ein ihren Alltag belastendes Störgeräusch. Es fühlt sich an wie ein Netz, das sich über das ganze Land legt und dessen Maschen immer dichter werden. Ich habe den Eindruck, dass

h an wie ein Netz, das sich über das ganze Land legt und dessen Maschen immer dichter werden. Ich habe den Eindruck, dass die große Mehrheit, auch aus Politik und Medien, die Ereignisse nicht als etwas Ganzes sieht. Als wedelte jeder mit einem Puzzleteil, ohne es mit den anderen Teilen zusammenzubringen. Dabei liegen die Dinge offen vor uns, weil Rechtsextreme eines schon immer tun: Sagen, was ihre Ziele sind.Besonders gut zeigt das Die Rechte Wende, ein 2017 produzierter Dokumentarfilm von Katja und Clemens Riha, den man sich auf ihrer Webseite anschauen kann. Schon vor acht Jahren lieferte der Film tiefe Einblicke in die Pläne und in das Who is Who der sogenannten Neuen Rechten, die sich aus verschiedenen rechtsradikalen und rechtsextremen Akteuren zusammensetzt.In der Doku wird deutlich, wie wichtig das Jahr 2017 für die Neue Rechte war. Der AfD gelang mit mehr als zwölf Prozent Stimmenanteil zum ersten Mal der Einzug in den Bundestag. Im Sommer desselben Jahres marschierten einige hundert Anhänger der rechtsextremen Identitären Bewegung um Martin Sellner im migrantisch geprägten Berliner Stadtteil Wedding auf. Dort skandierten sie Parolen gegen Einwanderung und für die „Festung Europa“. Und im Herbst desselben Jahres feierte die Neue Rechte rund um ihren Vordenker und Verleger Götz Kubitschek ihre umstrittene und aufgrund von Gegenprotesten öffentlichkeitswirksam eskalierte Premiere auf der Frankfurter Buchmesse.Die Worte eines Rechtsextremen klingen heute nicht mehr absurdZur sogenannten Flüchtlingskrise von 2015 sagt Kubitschek: „Das ist eine echte Wunde. Die muss ausgebrannt werden, da muss mal richtig nachgeschaut werden, was da los ist. Und ich hoffe sehr, dass die Krise so massiv ist und so gründlich, dass wir danach eine echte Wende haben.“In einem bereits 2011 gedrehten Interview für die gleiche Doku orakelte er: „Das ist ganz klar, dass die Probleme, die auf unser Land zukommen, in denen wir stecken, die Antworten nicht von links, sondern von rechts kommen.“ Seine Worte mögen 2011 wie die übertriebene Vision eines größenwahnsinnigen Rechtsextremen geklungen haben, selbst 2017 noch wirkten sie einigermaßen entrückt. Heute klingen sie bei Weitem nicht mehr absurd.Placeholder image-1Seit der Erstausstrahlung vor acht Jahren habe ich mir die Doku rauf und runter angeschaut, mindestens einmal im Jahr. Jedes Mal musste ich mir dabei wieder und wieder die Haare raufen, weil es schockierend ist, mit welcher Konstanz seither rechtsextreme Talking Points in den Mainstream sickern und die im Film ausführlich skizzierte Strategie mehr und mehr aufzugehen scheint. Martin Sellner von den Identitären konstatiert im Interview mit den Filmemachern: „Wir werden jeden Tag stärker, weil sie uns stärker werden lassen.“Und tatsächlich verantwortet die Neue Rechte den Großteil ihres Erfolgs nicht selbst. Ohne weite Teile der Gesellschaft, der Politik und Medien wäre das folgenreiche Agenda-Setting nicht wirklich denkbar. In der Hauptsache aus Angst vor einem demokratiegefährdenden Rechtsruck, einem Wahldebakel oder einem Shitstorm im Internet: Die neurechten Positionen werden reproduziert und dadurch erst salonfähig.Kubitschek, Sellner und Co. folgen keinem bloßen Trend, sie sind Trendsetter. Es ist kein pubertärer Irrweg, der scheinbar wieder verlassen wird, wenn die Hormone oder was auch immer ihr Gleichgewicht wiedererlangt haben. Jedenfalls wurde das während der ersten Baseballschlägerjahre in den 1990ern gerne mal behauptet. Damals, als noch von akzeptierender Jugendarbeit die Rede war und die einstige Bundesjugendministerin, eine gewisse Angela Merkel, vor ostdeutschen Jugendklubs und neben waschechten Jung-Nazis für die Presse posierte. Oder wenn die „Migrationskrise“, wie 1993 auch schon, mit einem weiteren faulen Asylkompromiss nur vermeintlich beendet wird.Es gibt rein gar nichts zu gewinnen, wenn man AfD-Positionen übernimmtMit ihrer extremistischen Wucht steht die Neue Rechte der alten von vor dreißig Jahren in nichts nach. Strategisch ist sie jedoch wesentlich gewiefter und tritt um Welten anschlussfähiger auf – ausgestattet mit einem langen Atem, einer aus ihrer Sicht klaren Zukunftsvision und klugen Köpfen, denen das Denken leider nicht so schwerfällt, wie den „Ärschen mit Ohren“ in den Baseballschlägerjahren. Auch nicht wie den „Hooligans ohne Satzbau“ aus späteren Jahren. Mit der AfD hat ihr parlamentarischer Arm inzwischen die Oppositionsführerschaft im Bundestag übernommen. Im Januar dieses Jahres hat sich durch die gemeinsame Abstimmung von Union und FDP eine Dynamik entfaltet, die die gesamte Neue Rechte beflügelt. Seit Jahren treibt die AfD Union und FDP, aber auch SPD und Grüne erfolgreich vor sich her. Der Journalist Friedrich Küppersbusch warnte jüngst durch die Übernahme von AfD-Positionen sinngemäß, dass die AfD nicht eines Tages ankommen und sagen werde: Liebe Union, ihr habt alle unsere Forderungen übernommen, wir lösen uns jetzt auf. Recht hat er! Es gibt rein gar nichts zu gewinnen, macht man die extreme Rechte zur Hauptreferenz der eigenen politischen Haltung.Inzwischen gibt es die strikteste Asylgesetzgebung seit Bestehen der Bundesrepublik, die Zahl der Asylbewerber sinkt. Und was hat das alles gebracht? 20,8 Prozent für die AfD! In Interviews und Talkshows lässt sie sich bislang nicht entzaubern. Lediglich in den Wahlarenen während des vergangenen Bundestagswahlkampfs gerieten ihre Vertreter*innen gelegentlich durch kluge Zuschauerfragen unter Druck. Von diesen Ausnahmen mal abgesehen, zieht sie regelmäßig als Gewinnerin vom Feld. Entweder, weil sie ihre Inhalte setzen oder sich als Opfer gerieren konnte.Launischer Umgang mit der AfDNicht zu vergessen, die mutmaßliche Unterstützung durch russische Agenten, die offenbar durch gezielte Aktionen Diskurse anheizen, für eine weitere Polarisierung sorgen und damit das Vertrauen in die Demokratie unterminieren wollen. Leider zeigt sich auch hier bei den meisten Parteien nur eine geringe Bereitschaft zur Antizipation. Aus Angst, die AfD könnte einen Vorteil aus einem Anschlag oder einer Gewalttat ziehen, prescht man lieber vor und macht sich im schlechtesten aller Fälle zum Erfüllungsgehilfen der Demokratiefeinde.Placeholder image-2In mehr und mehr Landkreisen macht sich eine rechtsextreme Hegemonie breit. Nicht nur im Osten verstetigen sich vorhandene extremistische Strukturen. Kommunalpolitiker:innen ziehen sich aus Angst vor Übergriffen zurück. Der Verzicht auf eine erneute Bundestagskandidatur von CDU-Mann Marco Wanderwitz, dem ehemaligen Ostbeauftragten und Verfechter eines AfD-Verbotsverfahrens, ist nur ein prominentes von inzwischen vielen erschütternden Beispielen.Die Doku Die Rechte Wende hat einen Untertitel, er lautet „Beobachtungen jenseits der Mitte“. Wenn es der Mitte unter Führung der neuen Bundesregierung nicht bald gelingt, Beobachtungen jenseits der Rechten anzustellen und daraus eine inklusive Zukunftsvision zu formulieren, geht es früher oder später um ein etwas anderes Jenseits – für die offene Gesellschaft und die parlamentarische Demokratie. Denn der launische Umgang mit der Hochstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch lässt einen derzeit gleichermaßen ratlos zurück.Carsten Linnemann (CDU) gab gerade erst zu, dass er die gemeinsame Abstimmung mit der AfD im Januar bereue. Aber nicht etwa, weil sie die Rechtsextremisten in Ekstase versetzte. Er bereue sie, weil sie die Linke mobilisiert habe. So spricht jemand, der allem Anschein nach zwischen den Feinden und den Anhängern der Demokratie nicht mehr unterscheiden möchte.Ein Verrat an allen, die in ihrem Alltag rechtsextremen Positionen die Stirn bietenTja, und was nun?Im April war die AfD in einer Umfrage zum ersten Mal stärkste Kraft. Mit 25 Prozent lag sie einen Punkt vor der Union und das gesamte Land stand Kopf. Schon wieder überboten sich fast alle demokratischen Parteien aus dem Bundestag mit inhaltlicher Mimikry neurechter Positionen.Ein Viertel der Stimmen für eine rechtsextreme Partei lässt die eingangs erwähnten Aktivist*innen, Journalist*innen und rassifizierten Personen nicht ruhiger schlafen. Auch die Nächte der zurückgetretenen Kommunalpolitiker werden dadurch nicht erholsamer. Aber aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass der ständige Versuch, die AfD und ihr neurechtes Umfeld rechts zu überholen, nicht nur schwerer wiegt, weil sie die AfD noch stärker macht. Sondern weil es ein Verrat an allen ist, die in ihrem Alltag den Rechten die Stirn bieten.Sie fragen sich, wir alle fragen uns, wann wieder Politik für diejenigen gemacht wird, die die tatsächliche demokratische Mehrheit in Deutschland ausmachen. Es sind so viele, dass ihre Vertreter im Bundestag sogar noch eine Zweidrittelmehrheit gestemmt bekommen. Warum kann das nicht mal ein Anfang für eine demokratische Gegenerzählung sein?Bobby Rafiq, 1976 in Kabul geboren und in West-Berlin aufgewachsen, ist Autor und Producer für TV, Print und Bühne in Berlin



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Von Veritatis

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