Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger

Wie es scheint, hat man bei der SPD Isaac Newton falsch verstanden – kein Wunder, denn was versteht man bei der SPD nicht falsch? Newton hatte einen „absoluten Raum“ postuliert, ging also davon aus, dass der physikalische Raum völlig von den darin enthaltenen Objekten und stattfindenden Aktivitäten unabhängig ist. Damit war aber nie gemeint, dass ein der SPD-Fraktion im Bundestag einmal zugewiesener Raum ihr auf immer und ewig in absoluter Weise zusteht, auch wenn man das bei den sogenannten Sozialdemokraten und ihren Verbündeten aus dem Kartell der „demokratischen Mitte“ so sieht.

Denn inzwischen hat der Ältestenrat des Bundestages entschieden: Die SPD darf ihren früheren Fraktionssaal, den sie selbst als Otto-Wels-Saal bezeichnet hat, auch in der laufenden Legislaturperiode verwenden, obwohl sie nur noch über 120 Abgeordnete verfügt, während sich die aus 151 Mitgliedern bestehende AfD-Fraktion mit einem wesentlich kleineren Saal zu bescheiden hat, den bisher die FDP nutzte. Überraschend war das nicht, schließlich ist der Ältestenrat genauso parteipolitisch beeinflusst wie andere Ausschüsse auch, und man konnte kaum erwarten, dass die SPD-, Unions- oder Grünenvertreter auch nur einen Finger rühren würden, um der AfD entgegen zu kommen.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die schlichten Zahlen. Aus 151 Abgeordneten besteht die Fraktion der AfD, während die SPD noch stattliche 120 Parlamentarier aufweisen kann. Der Fraktionssaal der AfD verfügt über 251 Quadratmeter, der Otto-Wels-Saal der SPD über 462. Schon jetzt könnte man auf die Idee kommen, dass ein leichtes Ungleichgewicht vorherrscht, aber solche Gedankengänge sind für viele Politiker schon zu kompliziert. Bisher wurde der AfD-Saal von der Fraktion der FDP genutzt, die inzwischen mangels Existenz keine Verwendung mehr für ihn hat, aber während der letzten Legislaturperiode aus 92 Abgeordneten bestand. Für jeden mehr oder weniger liberalen Abgeordneten standen daher 251/92 = 2,73 Quadratmeter zur Verfügung. Nun sollen sich die neuen Benutzer mit 251/151 = 1,66 Quadratmetern begnügen. Die Mitglieder der aus 206 Abgeordneten bestehenden alten SPD-Fraktion verfügten pro Person über 462/206 = 2,24 Quadratmeter in dem von ihnen so geliebten Saal, bei der neuen SPD-Fraktion sind es 462/120 = 3,85.

Das Missverhältnis ist offensichtlich, aber das ficht weder die SPD noch den Ältestenrat an. Tatsächlich haben aber die sozialdemokratischen Geistesgrößen nicht nur betroffen geweint, sondern wussten auch Argumente vorzubringen, drei an der Zahl, die eine Betrachtung lohnen.

Als Regierungsfraktion, so konnte man beim ZDF lesen, brauche man erstens den Platz für Besucher aus den Ministerien und zweitens die direkte Nähe zum Koalitionspartner, denn „der Saal der Unionsfraktion liegt direkt neben dem SPD-Saal“. Damit sind schon zwei Argumente vorgetragen, die der SPD-Abgeordnete Dirk Wiese als fachliche, sachliche und sehr gut nachvollziehbare Argumente bezeichnet hat, ohne dabei lachen zu müssen. Wie sieht es mit dem ersten der Argumente aus? Besuche der Minister in der Fraktion dürften eher einfach zu gestalten sein, denn sechs der sieben SPD-Minister gehören der Fraktion ohnehin an und brauchen keinen zusätzlichen Platz. Parlamentarische Staatssekretäre entstammen, wie der Namen schon sagt, grundsätzlich dem Parlament, auch ihre Besuche in der Fraktion, der sie angehören, sollten daher keine Erwähnung wert sein. Dass es darüber hinaus auch noch andere Besucher aus den Ministerien gibt, kann man nicht ausschließen, aber es ist nicht zu sehen, was das begründen soll. Denn jede andere Fraktion, insbesondere die größte unter den Oppositionsfraktionen, darf sich immer wieder über Besuch aus der Außenwelt freuen, weil man Sachverständige oder sonstige Gäste zum politischen Austausch einlädt. Solche Besuche sind nicht schlechter als andere und auch sie brauchen Platz.

Doch das ist nicht alles, auch die Zahlen widersprechen dem vorgetragenen fachlichen, sachlichen und gut nachvollziehbaren Argument. Im Schulbau pflegt man für die Klassenräume seit geraumer Zeit einen Planungswert von zwei Quadratmetern Platz pro Schüler anzusetzen. Da man kaum davon ausgehen kann, dass SPD-Abgeordnete einen höheren Bewegungsdrang aufweisen als Grundschüler, setze ich somit diese zwei Quadratmeter als bisherigen Platzbedarf für sozialdemokratische Parlamentarier an. Warum „bisherig“? Weil nach der neuesten Entscheidung des Ältestenrates offenbar auch 1,66 Quadratmeter für jeden Abgeordneten reichen, es sei denn, die Mitglieder dieses Rates geben zu, dass die neue Zahl nur für die verpönte Partei gilt. Wenn aber jeder der früheren 206 SPD-Abgeordneten zwei Quadratmeter für sich beanspruchen durfte, dann wurden im Otto-Wels-Saal in der guten alten Zeit 2*206 = 412 Quadratmeter für die Bedürfnisse der Fraktionsmitglieder gebraucht. Da fehlen noch 50 an die 462 Quadratmeter, die der Saal vorweisen kann, und diese 50 Quadratmeter haben natürlich problemlos für Besuche aus den Ministerien oder aus den NGOs gereicht. Nun wechseln wir die Bühne und versetzen die 120 aktuellen Sozialdemokraten in den kleineren Raum mit 251 Quadratmetern, in dem – der Ältestenrat hat es bestätigt – man auch mit 1,66 Quadratmetern pro Person auskommt. Aber 1,66*120, das ergibt ziemlich genau 200. Auf nur 200 Quadratmeter beläuft sich der persönliche Platzbedarf der so schmerzlich reduzierten SPD-Fraktion. Und wie durch ein Wunder bleiben dann zur Raumgröße noch 51 Quadratmeter übrig, denn gerade einmal 251 Quadratmeter hat der aktuelle Fraktionssaal der AfD.

Kurz zusammengefasst: Nach alten Platzgepflogenheiten konnte die alte SPD-Fraktion ihren Besuchern 50 Quadratmeter Spielwiese im Otto-Wels-Saal bieten. Im kleineren Saal wären es nach den neuen Gepflogenheiten 51, das ist, wie selbst Linke merken können, nicht weniger. Und damit bricht das erste Argument endgültig in sich zusammen.

Ist das zweite besser? Keinen Deut. Man brauche die Nähe zum Koalitionspartner, dessen Saal direkt neben dem eigenen liege. Mir war neu, dass man unter SPD-Parlamentariern noch nichts von aktuellen Kommunikationstechniken gehört hat. Die beiden Fraktionen könnten Tausende von Kilometern voneinander entfernt tagen und dennoch in steter Kommunikation verbunden sein, ohne dass ständig jemand von einem Raum zum andern laufen muss. Das ist lächerlich. Und unhistorisch ist es außerdem. Ich darf daran erinnern: Der Unionssaal liegt direkt neben dem SPD-Saal. Der AfD-Saal liegt offenbar deutlich weiter weg. In den seligen Zeiten der Ampelkoalition tagte dort aber die FDP-Fraktion, und die befand sich in trauter Einigkeit in einer Koalition mit der SPD. Zwei Koalitionspartner und die beiden Fraktionssäle waren weit voneinander entfernt – sollte etwa deshalb die Regierung so katastrophal gewesen sein? Oder lag es doch eher daran, dass die zugehörigen Politiker schon damals nicht klüger waren als heute?

Zwei angeblich fachliche, sachliche und gut nachvollziehbare Argumente erweisen sich als heiße Luft. Wie sieht es mit dem dritten aus? Das ZDF verschweigt es nicht: „Offiziell heißt der Saal „3 S 001“. Die SPD hat ihn nach dem früheren SPD-Chef Otto Wels benannt“, also nach dem SPD-Politiker, der 1933 in einer tatsächlich bewegenden Rede die Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes durch die SPD begründet hat. „Die Vorstellung, dass ausgerechnet die gesichert rechtsextreme AfD künftig in diesem Raum tagen sollte, war für meine Fraktion und mich und im übrigen auch für die Familie von Otto Wels unerträglich“, so der bereits erwähnte Dirk Wiese. Das soll ein Argument sein, nur für den Fall, dass es jemand vergessen hat. Natürlich verwendet Wiese hier die schöne Erzählung über die „gesichert rechtsextreme“ Ausrichtung der AfD, die inzwischen selbst der Verfassungsschutz sicherheitshalber erst einmal nicht mehr erwähnt. Aber vor allem weiß sogar das ZDF, dass der in Frage stehende Raum offiziell den Namen „3 S 001“ trägt, was nicht unbedingt einen starken historischen Bezug aufweist. Den Namen „Otto-Wels-Saal“ hat ihm die SPD selbst gegeben, was sie auch gerne tun darf, doch die private Bezeichnung eines auf Zeit verliehenen Saals hat keinen Ewigkeitswert und verschwindet, sobald der bisherige Benutzer den Raum verlässt. Jeder kann seine Mietwohnung „Saskia Esken“ oder „Lauterbach“ nennen, aber nach Beendigung des Mietverhältnisses verschwindet der Name wie Schall und Rauch. Selbstverständlich stünde es der SPD frei, auch einen neuen Saal nach Otto Wels zu benennen, doch es steht ihr nicht frei, diesen Namen ein für alle Mal festzuschreiben, denn der Saal gehört ihr nicht.

Vom Winde verweht ist daher auch das dritte Argument, und es bleibt nur eines: Die Bösen sollen unseren Raum nicht bekommen, wir bleiben einfach sitzen. Und da wir uns in „unserer Demokratie“ befinden, spielt der Ältestenrat mit.

So denkt man in der SPD, so denkt man im Deutschen Bundestag. Solche Leute wollen das Land regieren. „In der Politik ist Dummheit kein Handicap“, sagte einst Napoleon Bonaparte. Wie gern würde ich ihm widersprechen!

Aber dann müsste ich lügen.

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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

Bild: Screenshot Youtube

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